Mittwoch, November 12

Darf der Staat Flüchtlinge zur Arbeit verpflichten? Und darf er diejenigen bestrafen, die sich weigern? Der Landrat André Schröder aus Sachsen-Anhalt ist einer von wenigen deutschen Politikern, die diese Fragen bejahen und entsprechend handeln. Im Interview erklärt er, warum ihn Kritik an seinem Vorgehen kaltlässt.

Herr Schröder, Anfang 2024 gab es in Ihrem Landkreis ein Hochwasser. Seit dem Frühjahr werden die Sandsäcke abtransportiert. Für diese Arbeit haben Sie auch Asylbewerber verpflichtet. Warum?

Ich bin überzeugt, dass alle Leistungsempfänger des Staates im Rahmen ihrer Möglichkeiten und ihrer Leistungsfähigkeit etwas zurückgeben sollten. In diesem Fall ging es um die Räumung von fast zwei Millionen Sandsäcken. Wir sind im Landkreis auf der Grundlage geltender Gesetze vorgegangen und haben insgesamt 64 Flüchtlinge per Bescheid zur Arbeit verpflichtet. 25 Personen sind dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Einige hatten Entschuldigungen. 16 sind einfach nicht erschienen.

Denen haben Sie zur Strafe die staatlichen Leistungen zusammengestrichen.

Wir haben von den gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten des Asylbewerberleistungsgesetzes Gebrauch gemacht und über einen maximal dreimonatigen Zeitraum Leistungskürzungen veranlasst.

Bitte konkret.

Ein alleinstehender Asylbewerber bekommt in dieser Zeit beispielsweise statt 470 Euro im Monat nur noch die Hälfte.

Haben Sie die Höhe der Kürzungen einfach selbst festgelegt?

Nein. Auch die Leistungskürzungen entsprechen dem Gesetz, in diesem Fall Paragraf 5, Absatz 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Welche Entschuldigungen der Asylbewerber haben Sie akzeptiert?

Wenn Integrationskurse, Sprachkurse oder gesundheitliche Gründe einem Einsatz entgegenstanden, dann haben wir die Leute nicht verpflichtet. Und was wichtig ist: Wir haben alle angehört. Es gab den Verdacht, dass es bei der Zustellung unserer Schreiben Übersetzungsprobleme gegeben haben könnte. Das ist nicht der Fall. Alle Asylbewerber sind beraten und aufgeklärt worden. Jeder wurde angehört. Und natürlich unterscheiden wir: Hat jemand Kinder? Wie ist der gesundheitliche Zustand? Die 16 Personen, die nicht gekommen sind, haben einfach die Sanktion der Arbeit vorgezogen.

Wie können sich Flüchtlinge eine solche Einbusse leisten? 235 Euro im Monat sind für diese Menschen viel Geld, sollte man meinen.

Der Verdacht liegt nahe, dass diese Personen andere Einnahmequellen haben und auf die Hilfe des Staates eigentlich nicht angewiesen sind.

Sie meinen Schwarzarbeit?

Welche Hintergründe das hat, darüber kann und will ich nicht spekulieren. Wir waren nur sehr überrascht. Wenn von 25 sanktionsgefährdeten Personen 16 die finanzielle Einbusse hinnehmen, dann ist das eine hohe Zahl. Wir hatten erwartet, dass die Androhung auch den Letzten bewegt, mitzumachen.

Was können Sie über die 39 Asylbewerber sagen, die beim Schleppen der Sandsäcke geholfen haben? Das war immerhin die Mehrheit.

Deren Hilfe ist positiv zu bewerten. Wir haben ein professionelles Unternehmen mit dem Transport und der Entsorgung der Säcke beauftragt. Zwei der Flüchtlinge könnte die Firma künftig sogar anstellen. Das ist aber noch nicht ganz entschieden.

Wie ist Ihr Umgang mit den arbeitsunwilligen Asylbewerbern im Landkreis aufgenommen worden?

Ich habe sehr viel Zuspruch bekommen. Die grosse Mehrheit der Menschen teilt die Überzeugung, dass jeder, der Leistungen des Staates empfängt, im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zurückgeben sollte.

Wenn das der gesellschaftliche Konsens ist und wenn das Gesetz Sanktionen erlaubt: Warum verpflichten so wenige deutsche Landkreise Flüchtlinge zur Arbeit und reagieren im Falle einer Arbeitsverweigerung mit finanziellen Strafen?

Grundsätzlich würden sicher viele Kommunalpolitiker so handeln wie wir. Aber der Verwaltungsaufwand ist hoch, beim Arbeitseinsatz und bei den Sanktionen. Ich muss für Übersetzungen sorgen. Ich muss die Menschen an die Baustelle bringen. Ich brauche eine Betreuung bei der Arbeit. Und dann gibt es die Interessenverbände der Flüchtlinge, die sich öffentlich zu Wort melden. Ich möchte niemandem etwas unterstellen. Vermutlich wägen viele ab und sagen dann: Ich beauftrage lieber eine Firma und habe meine Ruhe.

Aber sie könnten anders handeln?

Ja, das deutsche Gesetz erlaubt Sanktionen gegen Asylbewerber, die nicht arbeiten wollen. Man muss es nur anwenden. Anders als früher muss die allgemeinnützige Arbeit auch nicht mehr zusätzlich erfolgen.

Haben Sie ein Beispiel, also keine Notlage wie ein Hochwasser?

Ein typisches Beispiel ist die Pflege öffentlicher Einrichtungen und Grünflächen. Dafür kann ich Asylbewerber oder auch Bürgergeldempfänger einsetzen, um die eigenen Angestellten zu entlasten.

Sie haben als möglichen Grund, der Kommunalpolitiker von Sanktionen abhält, migrantische Interessengruppen erwähnt. In Ihrem Fall hat das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt protestiert: Flüchtlinge seien keine willfährigen, billigen Arbeitskräfte, denen man einfach einen Arbeitseinsatz befehlen könne. Was sagen Sie dazu?

Das trifft mich nicht persönlich. Ich kann Kritik an der Umsetzung von geltendem Bundesrecht nur als Kritik an ebendiesem Recht zur Kenntnis nehmen. Das Netzwerk muss sich im Zweifel an die entsprechenden Stellen wenden.

Wie bewerten Sie die deutsche Migrationspolitik?

Wir dürfen die Probleme, die wir mit der Migration haben, nicht bei den Betroffenen abladen. Es kommen Menschen mit ihren Träumen, Problemen, mit ihren Sorgen, aber auch mit ihren Traumata. Und diese Menschen nutzen die Möglichkeiten, die sie in Deutschland haben. Es sind unsere Gesetze und Regeln, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Jedes Land, das Migration erfolgreich managt, muss für sich drei entscheidende Fragen beantworten. Erstens: Wissen wir, wer kommt? Zweitens: Entscheiden wir als aufnehmende Gesellschaft darüber, wer bleibt? Und drittens: Schicken wir die, die nicht bleiben sollen, tatsächlich wieder weg? Wenn ein Staat diese Fragen nicht beantworten kann oder will, darf man sich nicht bei denen beschweren, die ein besseres Leben suchen.

Das klingt, als seien Sie mit den deutschen Antworten auf diese Fragen nicht zufrieden.

Die Bundesregierung wurde zum Handeln genötigt. Sie hat nicht aus innerer Einsicht, sondern nur auf den parteiübergreifenden Druck der Kommunen reagiert.

Ist das, was die Bundesregierung inzwischen tut, ausreichend?

Nein. Die Regierung handelt, wie gesagt, ohne innere Einsicht. Deshalb ist das, was sie tut, auch nicht ausreichend. Das fängt bei Zusagen für Finanzmittel an, auf die wir teilweise bis heute warten. Und es geht weiter bei der schleppenden Umsetzung geplanter Asylverfahren an den EU-Aussengrenzen. Beim Rückkehrmanagement sehen wir, dass selbst Vereinbarungen mit Staaten nicht umgesetzt werden, zum Beispiel Indien. Den Visa-Hebel, den klassische Einwanderungsländer als Druckmittel einsetzen, nutzt die Bundesregierung nicht; also Visa nur für Bürger aus Ländern, die ihre Staatsbürger zurücknehmen. Es gibt auch kein Junktim zwischen Rücknahmeverpflichtung und deutscher Entwicklungshilfe. Das ist alles Bundespolitik, also nicht mein Spielfeld. Aber wenn Sie mich fragen: Nein, es ist noch nicht ausreichend, was die Bundesregierung macht.

Gibt es Entscheidungen, die Sie richtig finden?

Die Grenzkontrollen haben eine gewisse Wirkung gezeigt. Aber sie sind nicht die Lösung des Problems.

Aus vielen deutschen Landkreisen hört man schon länger, dass es dort keine Kapazitäten mehr für die Unterbringung und Versorgung von Migranten gebe. Wie ist die Lage in Mansfeld-Südharz?

Die Ressource Raum ist bei uns kein Problem, würde man Turnhallen, Zelte oder leere Wohnungen nutzen wollen. Aber das reicht ja nicht. Eine gelingende Zuwanderung setzt Integrationsangebote voraus, die der aufnehmende Staat anbieten und die der Zugewanderte nutzen muss. Ich brauche zum Beispiel Plätze in Schulen und Kitas. Ich brauche genügend medizinische Betreuung. Bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern gibt es zum Beispiel eine Betreuungsquote und eine Qualifikationsanforderung, die ich schon lange nicht mehr erfüllen kann, weil es die nötigen Personen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gibt. Das ist die Überforderung, um die es geht. Integrationsleistungen, die heute nicht erbracht werden, rächen sich später. Das reicht vom sinkenden Niveau der Schulbildung bis zur inneren Sicherheit.

Im September stehen drei Landtagswahlen im Osten an, nicht bei Ihnen, aber in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die AfD liegt in den Umfragen überall vorne. Welchen Anteil daran hat Ihre eigene Partei, die CDU?

Die CDU ist die letzte bürgerliche Volkspartei der politischen Mitte in Ostdeutschland und die einzige nennenswerte Kraft, die der AfD noch etwas entgegensetzen kann.

Das ist keine Antwort auf meine Frage.

Ich war auch noch nicht fertig. Es bleibt die Aufgabe der Union, die konservativen Kräfte im Land in die politische Mitte zu integrieren. Das zu kommunizieren, gelingt ihr durch Kompromisse in den Koalitionsregierungen nicht immer. Das Versagen liegt aktuell bei den Parteien, die die Bundesregierung stellen. SPD, Grüne und FDP kamen bei der letzten Europawahl in meinem Landkreis noch auf etwa zehn Prozent. Alle zusammen! Einen solchen Ansehensverlust für die Bundesregierung habe ich in meiner politischen Laufbahn noch nicht erlebt.

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