Mittwoch, Januar 15

Der im Juli erzielte Kompromiss in der Ampelregierung kam nur durch einige «Kunstgriffe» zustande. Gegen diese gibt es nun von Experten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Der Streit über Sparmöglichkeiten und Schuldenbremse dürfte von vorn beginnen.

Die Freude in der Ampelregierung über die Einigung auf einen Haushalt für das Jahr 2025 hat nur sehr kurz gewährt. Erst Anfang Juli hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner nach monatelangen Diskussionen und erbitterten letzten Verhandlungen auf einen Entwurf geeinigt, allerdings mit einigen Kunstgriffen. Rund vier Wochen später werden diese nun von externen Experten zerpflückt.

Im Kern geht es zwar nur um ein Loch von 8 bis 9 Milliarden Euro im Bundeshaushalt mit seiner Gesamthöhe von 481 Milliarden Euro. Doch der Streit unter den Regierungsparteien dürfte wieder beginnen und wird voraussichtlich nochmals an Schärfe zunehmen.

Zwei Gutachten im Auftrag von Finanzminister Lindner

Der liberale Finanzminister Lindner hatte nach der Einigung zwei Gutachten in Auftrag gegeben, die der NZZ und anderen Medien inzwischen vorliegen, um die Rechtmässigkeit der von der SPD vorgeschlagenen Kunstgriffe prüfen zu lassen. In den Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums und des Rechtsprofessors Johannes Hellermann werden nun mehrfach verfassungsrechtliche Zweifel geäussert. Dabei geht es vor allem um zwei umstrittene Ideen, mit denen das Haushaltsloch gemäss dem erzielten Kompromiss von 17 auf etwa 9 Milliarden Euro sinken sollte.

Eine noch verbleibende Lücke in dieser Grössenordnung gilt als unbedenklich, weil in den vergangenen Jahren viele Ministerien ihre Budgets am Ende des Jahres nicht vollständig ausgeschöpft hatten, beispielsweise weil Projekte gestrichen wurden oder sich verzögerten. Bereits im Vorjahr hatte Lindner mit einem Milliardenloch kalkuliert, das er dann zum Ultimo auch problemlos schliessen konnte.

Um die Lücke im Haushalt für 2025 zu verkleinern, einigte sich die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zum einen darauf, ungenutzte Gelder über 4,9 Milliarden Euro aus der Gaspreisbremse zu verwenden. Die Mittel liegen derzeit bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Der Verfassungsrechtler Hellermann ist jedoch der Meinung, dass diese Gelder allein zur Schuldentilgung verwendet werden dürften, nicht jedoch zur Schliessung von Haushaltslöchern.

Die Idee ist besonders heikel, weil es während der Corona-Krise einen ähnlichen Fall gab, bei dem die Regierung 60 Milliarden Euro an ungenutzten Krediten in einen Klimafonds verschoben hatte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dieses Vorgehen jedoch im vergangenen Jahr für verfassungswidrig, was die Ampelregierung in eine Haushaltskrise gestürzt hat. Eine neue öffentliche Klatsche vor Gericht will Lindner offenbar unbedingt vermeiden.

Umwandlung von Zuschüssen in Darlehen

Zum anderen wollte die Bundesregierung geplante Zuschüsse an die Staatsunternehmen Autobahn GmbH und Deutsche Bahn AG in Darlehen umwandeln. Dadurch hätten die Gelder nicht mehr als schuldenfinanzierte Ausgaben gegolten, sondern als Kredite. Bei der Autobahn GmbH ist jedoch das Problem, dass das Unternehmen nicht über eigene Einnahmen verfügt und deshalb keine Kredite aufnehmen darf. Eine Gesetzesänderung würde jedoch zu lange dauern, um neue Manövriermöglichkeiten für den Haushalt 2025 zu generieren.

Darlehen an die Deutsche Bahn wären hingegen weniger heikel, aber auch nicht unproblematisch, beispielsweise aus europarechtlichen Gründen. Zudem ist das Unternehmen mit 33 Milliarden Euro bereits immens verschuldet. Bei der Bahn erwägt die Regierung nun laut Medienberichten als Alternative eine Aufstockung des Eigenkapitals, die den Etat immerhin um bis zu 3,6 Milliarden Euro entlasten könnte.

Lindner nimmt die Bedenken der Experten offenbar sehr ernst und soll seine Kabinettskollegen bereits dazu aufgefordert haben, Vorschläge für zusätzliche Einsparungen zu machen. Dabei hat er gemessen an früheren Äusserungen vermutlich den Sozialetat besonders im Auge. Bei den Grünen von Wirtschaftsminister Habeck und vor allem bei der SPD von Kanzler Scholz dürfte das einmal mehr auf starken Widerstand stossen.

«Linke-Tasche-rechte-Tasche-Tricks haben in einem soliden Haushalt nichts zu suchen», sagte Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Lobby-Vereinigung «Die Familienunternehmer» zu den Gutachten. Alle steuerzahlenden Arbeitnehmer könnten froh sein, dass es die Schuldenbremse als Brandmauer gebe. Auf der Grundlage der jetzt veröffentlichten wissenschaftlichen Bewertungen kann es laut Ostermann nur einen Weg zum verfassungskonformen Haushalt geben: Sparen – und zwar dort, wo sich Deutschland mit überbordenden Sozialausgaben wie dem Bürgergeld meilenweit von den Erfolgsfaktoren der Sozialen Marktwirtschaft entfernt habe.

Neue Sparideen oder Aufweichung der Schuldenbremse

Laut bisherigem Plan sollte dem Deutschen Bundestag bis Mitte August ein konsolidierter Haushaltsentwurf zugeleitet werden. Ob es noch dazu kommt, scheint nun fraglich. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat bereits mitgeteilt, dass er nicht willens sei, die bestehenden Haushaltsprobleme im Bundestag zu lösen. Bereits in der Vergangenheit habe sich bei einigen Ressortchefs eine Haltung herausgebildet, Probleme und Ungereimtheiten dem Bundestag zu überantworten, ohne selbst Verantwortung tragen zu wollen, sagte Mützenich in der Freitagsausgabe der «Süddeutschen Zeitung».

Damit spielte er vor allem auf Lindner an, mit dem ihn eine innige Feindschaft verbindet. Der Finanzminister hatte das linke SPD-Urgestein erst vor kurzem als Risiko für die Koalition bezeichnet. Die Sozialdemokraten dürften nun einmal mehr darauf drängen, eine haushaltspolitische Notlage zu erklären, um die Schuldenbremse abermals auszusetzen. Dagegen sperrt sich Lindner jedoch kategorisch. Entsprechend ist das Feld für den nächsten Regierungsstreit bestellt. Dieser käme nur wenige Wochen vor den wichtigen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September jedoch besonders ungelegen.

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