Mittwoch, Januar 15

Die Euphorie um das Geschäft mit der Energiewende ist verflogen. Shell und BP liessen sich anstecken – und rudern immer weiter zurück.

Während die Aktien weltweit taumeln, hält sich auch das Schmiermittel der Weltwirtschaft nicht stabil. Rohöl der Sorte Brent hat sich seit Freitag um rund 5 Prozent auf etwa 76 Dollar je Fass verbilligt. Aber das ist noch nicht der tiefste Wert seit Jahresbeginn – die Ölkonzerne werden es verkraften: Shell, Europas grösster Erdölproduzent, erzielte von April bis Juni einen Gewinn von 6,3 Milliarden Dollar. Der Konkurrent BP erreichte im selben Zeitraum 2,8 Milliarden Dollar.

Beide Unternehmen übertrafen damit vor wenigen Tagen die Erwartungen der Analysten – und befeuerten die Hoffnung, dass sich der neue Fokus ihrer Strategie auszahlen wird. Ironischerweise ist der neue Fokus das, was die Branche jahrzehntelang dominiert hatte, bevor die Diskussion um den Klimawandel Fahrt aufnahm: rentable Erdöl- und Erdgasprojekte, die sich auch für die Aktionäre auszahlen.

Wer konsistent war, wurde belohnt

BP hob die Dividende nun um 10 Prozent an und versprach, das Aktienrückkaufprogramm fortzusetzen. Auch Shell kauft eigene Titel in unverändertem Ausmass zurück. Die Verknappung soll den Aktienkurs stützen. Der kann sowohl bei Shell wie auch bei BP solche Stützen gut gebrauchen. Seit über drei Jahren sind die Kurse der europäischen Riesen hinter jenen der Konkurrenten in den USA zurückgeblieben.

Anders als in Europa hielten die amerikanischen Ölkonzerne stärker an ihrem traditionellen Kerngeschäft fest und liessen sich weniger zu Expansionen in klimafreundlichere Geschäftsbereiche verleiten. Das war schmutziger, aber ertragreicher. Nur ein Wettbewerber vom alten Kontinent konnte an der Börse Schritt halten: Total aus Frankreich. Dies deshalb, weil der dritte Grosse im europäischen Bunde ebenfalls konsistent in seiner Strategie war.

Totals seit 2014 amtierender CEO Patrick Pouyanné treibt unbeirrt neue Erdöl- und Erdgasprojekte voran. Zwar steckt er parallel auch rund einen Drittel der Investitionen in erneuerbare Energien, also den Betrieb von Wind- und Solarparks. Aber das tut er nicht primär aus Sorge um die eigene Klimabilanz, sondern weil Pouyanné von langfristig steigenden Strompreisen ausgeht – also von steigenden Gewinnen.

Hingegen wurden Shell und BP von der Sorge um die eigenen Emissionen getrieben und wollten das Bild der Branche grüner machen. Doch in beiden Konzernen sind inzwischen neue Chefs am Ruder, die andere Prioritäten setzen als ihre um Klimaziele bemühten Vorgänger. Wael Sawan, seit Anfang 2023 CEO von Shell, brachte es jüngst auf den Punkt: Man wolle mehr Geld zur Verfügung haben und mehr Freiheiten, was man mit dem Geld tue.

Wichtig ist, was Rendite bringt

Unter seinem Vorgänger Ben van Beurden hatte Shell noch vor vier Jahren erklärt, die Intensität der Emissionen bis 2030 um 20 Prozent gegenüber 2016 zu senken. Diese Herangehensweise ist bereits weich, weil sie einen Anstieg der Gesamtemissionen erlaubt – entscheidend ist bei der Intensität nämlich der CO2-Ausstoss pro Produkt, also zum Beispiel pro Fass Erdöl. Dennoch hat Sawan dieses Ziel im März auf 15 bis 20 Prozent reduziert. Das Zwischenziel einer Reduktion von 45 Prozent bis 2035 wurde ganz gestrichen.

Das Endziel, die Klimaneutralität bis 2050, ist zwar geblieben. Doch an der letzten Generalversammlung fand eine Resolution, wonach Shell sich stärker an den Pariser Klimazielen orientieren solle, keine Mehrheit unter den institutionellen Investoren und Asset-Managern. Nur 19 Prozent der Anleger stimmten dafür. Shell wehrt sich auch vor Gericht gegen ein wegweisendes Urteil aus den Niederlanden aus dem Jahr 2021, das den Konzern zur Reduktion seiner absoluten Netto-Emissionen verpflichtet.

Stattdessen legt der Chef Sawan den Fokus auf die gewinnbringendsten Projekte. Er passt die Strategie an: Investitionen in Biokraftstoffe, Wasserstoff und erneuerbare Energien sollen selektiver erfolgen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Produktion von verflüssigtem Erdgas (LNG), das für die Stromerzeugung in Asien immer wichtiger wird und Brennstoffe wie Kohle verdrängen könnte. Shell erwartet, dass die Nachfrage nach Gas stärker wächst als jene nach Öl. Doch der Ausblick, dass die eigene Ölproduktion in naher Zukunft leicht sinken werde, wurde auch zurückgenommen.

Diese Rückbesinnung ist auch ein Resultat der Unsicherheit, wie es mit der Energiewende weitergeht. Die grünen Versprechen stammen aus einer Zeit, als die Corona-Pandemie die Ölpreise einbrechen liess. 2022 folgte der Preisschock in die andere Richtung, getrieben durch den Ukraine-Krieg. Seit Anfang 2023 wurde ein recht stabiles Niveau von rund 80 Dollar je Fass der Rohölsorte Brent erreicht.

Erdöl und Erdgas werden weiterhin gebraucht

Die Nachfrage ist weiterhin da. BP geht davon aus, dass der weltweite Energiebedarf zunehmen wird – aber alternative Energiequellen wie Wind- und Solarenergie nicht schnell genug wachsen, um Schritt zu halten. Das wird auch in dem im Juli publizierten Energieausblick des Konzerns deutlich, der branchenweit stark beachtet wird.

Neu erwartet BP 2035 eine weltweite Erdölnachfrage von knapp 98 Millionen Fass pro Tag, sofern die gegenwärtigen Trends sich nicht ändern. Das sind 5 Prozent mehr, als BP vor einem Jahr schätzte. Die Nachfrage im Jahr 2035 würde sich damit gegenüber heute kaum verändern. Der Verbrauch von Erdgas wurde um 3 Prozent nach oben korrigiert. Besonders auffällig: Selbst wenn die Welt mit allen Anstrengungen das Ziel verfolgt, im Jahr 2050 netto keine Treibhausgasemissionen mehr auszustossen, werden 2035 laut BP noch 80 Millionen Fass Erdöl pro Tag benötigt.

Dies zum Beispiel, weil zwar der Verbrauch durch Verbrennungsmotoren sinkt, aber der wachsende Wohlstand der Erdbevölkerung mehr Rohöl für die petrochemische Industrie erfordert. Folgerichtig kündigte BP vergangene Woche an, ein neues Feld im Golf von Mexiko zu erschliessen. Die Gewässer sind bekanntes Terrain für den Riesen.

Der Firmenchef Murray Auchincloss, der im Herbst 2023 auf den über zu enge Beziehungen zu Mitarbeitern gestolperten Bernard Looney folgte, will BPs Profil schärfen. Er rechnet spitz: Für das Jahr 2025 erwartet der Konzern einen Betriebsgewinn (Ebitda) von 46 bis 49 Milliarden Dollar. Davon sollen nur maximal 4 Milliarden von neuen Geschäftsfeldern stammen, darunter Offshore-Wind, Biokraftstoffe oder Ladesäulen für Elektroautos.

Die Reserven wurden vernachlässigt

Vorhersagen zur Entwicklung der Nachfrage sind allerdings schwierig – umso mehr, als die Politik ein grosses Wort mitzureden hat. Das zeigt der jüngste Einbruch beim Verkauf von Elektroautos in Europa, nachdem Subventionen gekürzt worden sind. Deshalb können jene Ölriesen gelassen sein, die für jedes Szenario über komfortable Reserven verfügen – und hier stehen die amerikanischen Konzerne besser da als die europäischen.

Insbesondere BP hinkt den anderen hinterher: Als sich der Konzern in Reaktion auf den Ukraine-Krieg aus Russland zurückzog, hat er durch das Ende der Zusammenarbeit mit dem Kreml-Riesen Rosneft die Hälfte seiner Vorkommen verloren. Doch auch grundsätzlich haben sich die Europäer mit Investitionen zurückgehalten. Ihre Reserven sind kleiner als jene der amerikanischen Platzhirsche ExxonMobil und Chevron.

Wichtig für die Rentabilität ist allerdings, wie günstig sich diese Vorkommen erschliessen lassen. Dieser Logik können sich auch Exxon Mobil und Chevron nicht entziehen, selbst wenn sie von der Sinnsuche ihrer europäischen Konkurrenten unbeeindruckt blieben. Doch Chevron ist in einem langen Rechtsstreit über die Beteiligung an einem besonders profitablen Feld in Guyana gefangen, wo sich das Öl zu sehr niedrigen Produktionskosten fördern lässt.

Auch deshalb baute Exxon Mobil den Vorsprung an der Börse gegenüber Chevron kontinuierlich aus und präsentierte vor wenigen Tagen deutlich bessere Gewinnzahlen. Aber Produktionskosten sind Herausforderungen, wie sie die Branche schon vor der Klimawandeldiskussion kannte. Und es dürfte nicht zu erwarten sein, dass ein möglicher Präsident Donald Trump die amerikanischen Riesen auf einen grüneren Kurs zwingt. Sie haben sich ein weniger kompliziertes Leben bewahrt.

Exit mobile version