Das Parlament macht eine Kehrtwende. Es hatte vom Bundesrat ein Gesetzesprojekt für ein kurioses Steuerprivileg zugunsten der Hochsee-Schifffahrt gefordert, doch nun versenkt das Parlament das Projekt selber.

Die Stärkung des Unternehmensstandorts Schweiz ist nicht in Mode. Es geht den Schweizern ja gut kraft der Naturgesetze, und die Einwanderung ist jetzt schon viel höher, als manchen lieb ist. Zudem steht die Bundeskasse unter dem Druck stark gestiegener Ansprüche, so dass Steuererleichterungen, die kurzfristig Einbussen für den Fiskus bringen, wenig Anklang finden.

So hat das Volk in den letzten Jahren drei bürgerliche Steuerprojekte zur Stärkung des Firmenstandorts in einer Referendumsabstimmung abgelehnt: Erstauflage der Unternehmenssteuerreform (2017), Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital (2022) und Reform der Verrechnungssteuer (2022).

Ein weiteres Steuerprojekt für den Firmenstandort hat der Nationalrat am Dienstag beerdigt. Dabei ging es um die Einführung eines Steuerprivilegs für die Hochsee-Schifffahrt. Die Hochsee-Schifffahrt ist im Binnenland Schweiz weder ein Scherz noch eine Marginalie. Auch ohne direkten Meeresanschluss ist die Schweiz unter den Hochseefahrt-Nationen laut Branchenangaben die Nummer 9 der Welt und die Nummer 4 in Europa. Die gemessen an der Ladekapazität grösste Reederei der Welt hat ihren Hauptsitz in Genf: das Familienunternehmen MSC (Mediterranean Shipping Company).

21 EU-Länder haben es

Das vom Parlament einst verlangte Gesetzesprojekt des Bundesrats sah für die Branche die Möglichkeit vor, die jährlichen Steuern nicht mehr auf Basis des Firmengewinns zu zahlen, sondern anhand der Transportkapazitäten. Der Jargon spricht von «Tonnage-Steuer». Das klingt skurril, doch das Konzept ist international gängig.

Eine Tonnage-Steuer kennen zum Beispiel 21 EU-Länder, das Vereinigte Königreich, Norwegen, die USA, Japan, China und Indien. Die internationale Vereinbarung zur Einführung einer globalen Mindeststeuer für internationale Grossfirmen von 15 Prozent des massgebenden Gewinns sieht ausdrücklich eine Ausnahme für die Hochsee-Schifffahrt vor.

Die Unternehmen der Branche sind in der Wahl ihres Hauptsitzes naturgemäss sehr mobil. Das schafft Anreize für die Länder, diese Firmen mit Steuerprivilegien zu sich zu lotsen. Laut einer Analyse von 2020 hat das Aufkommen von Flaggenländern wie etwa Panama und Liberia mit Steuerbelastung nahe bei Null vor allen in den letzten drei Jahrzehnten andere Staaten in Zugzwang gesetzt. So war laut der Analyse Griechenland 1990 noch das einzige europäische Land mit Tonnage-Steuer, dreissig Jahre später gehörten schon etwa zwei Dutzend europäische Länder zum Klub.

In Verlustjahren zahlen die Firmen mit der Tonnage-Steuer mehr, als sie mit einer Gewinnsteuer zahlen müssten, in Boomjahren zahlen sie dagegen viel weniger. Im langfristigen Mittel sind in der Praxis mit der Tonnage-Steuer Belastungen von unter 10 Prozent des Gewinns möglich. Laut einer Studie über knapp 160 Schifffahrts-Gesellschaften für die Periode 2005 bis 2019 zahlten die betroffenen Firmen via Tonnage-Steuer faktisch im Mittel nur 7 Prozent ihres Gewinns als Steuern. Für die in Europa domizilierten Firmen lag der Durchschnitt bei 11 Prozent.

Der Wind hat gekehrt

Die bürgerliche Parlamentsmehrheit wollte einst eine Schweizer Tonnage-Steuer, um einen Wettbewerbsnachteil zu beseitigen. In der Vergangenheit waren für viele internationale Firmen in gewissen Konstellationen Steuerbelastungen von etwa 9 bis 11 Prozent möglich, wovon auch die Hochseefahrt-Branche profitiert hatte. Doch die Schweiz hatte 2020 aufgrund von internationalem Druck gewisse Steuerprivilegien abgeschafft; die Übergangsfristen laufen grossenteils Ende 2024 aus. So könnte der Standortnachteil der Schweiz bezüglich Hochsee-Schifffahrt künftig stärker ins Gewicht fallen.

Der Wind hat aber in den letzten Jahren im Parlament gekehrt. Der Nationalrat hatte 2022 in der ersten Lesung ein Reformprojekt für die Tonnage-Steuer mit Vorbehalten noch knapp angenommen, doch im Ständerat fiel das Projekt diesen März klar durch. Nun hat auch der Nationalrat in seiner zweiten Lesung mit 108 zu 75 Stimmen beschlossen, gar nicht auf die Reform einzutreten. Das Geschäft ist damit beerdigt.

Nebst dem Linksblock sprachen sich auch die Mitte, die Grünliberalen und rund die Hälfte der FDP-Fraktion gegen das Gesetzesprojekt aus; klar dafür war nur noch die SVP. Bürgerliche Vertreter nannten vor allem drei Gründe für den Sinneswandel: Der Ausblick auf die Bundesfinanzen habe sich in letzter Zeit verdüstert, der Bundesrat habe keine verlässliche Schätzung zu den Folgen der Reform für die Bundeskasse liefern können, und verfassungsrechtlich sei die Reform gemäss den Bundesjuristen zweifelhaft.

Der Kanton Genf als der am stärksten betroffene Kanton rechnete per saldo mit Mehreinnahmen als Folge der Reform, weil die Tonnage-Steuer Abwanderung verhindern und neue Zuwanderungen ermöglichen könne. Mittelfristig erscheint diese Mutmassung nicht unplausibel, doch wie immer gibt es keine Garantien.

Kühle Finanzministerin

Finanzministerin Karin Keller-Sutter erinnerte den Nationalrat daran, dass der Bundesrat das Gesetzesprojekt nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Wunsch des Parlaments vorgelegt habe. Der Bundesrat hatte 2022 in seiner Botschaft ans Parlament die Tonnage-Steuer aus verfassungsrechtlicher Sicht als «vertretbar» bezeichnet. Eine solche Einschätzung ist ungefähr vergleichbar mit folgendem Satz in einem Arbeitszeugnis: «Er hat sich stets Mühe gegeben.»

Die Tonnage-Steuer würde eine steuerliche Sonderbehandlung für nur eine Branche unabhängig von der Gewinnentwicklung einführen und widerspräche damit den verfassungsrechtlichen Prinzipien der Gleichbehandlung und der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Ob die Tonnage-Steuer durch andere Verfassungsbestimmungen etwa zur Aussenwirtschaftspolitik und Strukturpolitik gedeckt wäre, ist unter Juristen umstritten und zumindest zweifelhaft. Letztlich ging es hier wohl eher um eine politische als eine juristische Frage.

Politisch hätte es die diskutierte Reform auch mit einer Zustimmung des Parlaments schwer gehabt. Ein linkes Referendum war bereits angekündigt. Für die Befürworter der Reform wäre es sehr schwer gewesen, die Tonnage-Steuer dem Volk zu erklären. Eine weitere Erschwernis: Die betroffene Branche produzierte in den letzten Jahren hohe Gewinne, und zu den Profiteuren der Tonnage-Steuer hätten auch die nicht sonderlich populären Rohstoffhändler mit eigenen Schiffen gehört.

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