Künftig soll es in der Schweiz nicht mehr möglich sein, Kinder aus dem Ausland zu adoptieren. Damit will der Bundesrat das Kindeswohl ins Zentrum stellen und einem Geschäftsmodell, das während Jahrzehnten viel Leid verursacht hat, den Garaus machen.
Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, die Bundesrat Beat Jans am Mittwoch verkündet hat. «Bei Adoptionen ist das Wohl des Kindes höher zu gewichten als der Kinderwunsch der Adoptiveltern», sagte der Justizminister. «Das Kindeswohl steht an erster Stelle.» Doch bei der Adoption von ausländischen Kindern durch Schweizer Familien wurde dieser Grundsatz in den vergangenen Jahrzehnten sträflich missachtet.
Nachdem die illegalen Machenschaften durch mehrere wissenschaftliche Untersuchungen ans Licht gekommen sind, zieht der Bundesrat nun die Konsequenzen. Diese sind drastisch. In Zukunft soll es nicht mehr möglich sein, Kinder aus dem Ausland zu adoptieren. «Solche Missstände darf es nicht mehr geben», erklärte Jans vor den Medien. «Der Bundesrat hat die Versäumnisse bereits 2020 anerkannt und bringt sein Bedauern noch einmal zum Ausdruck.»
Niederlande als Vorreiterin
Bis spätestens Ende 2026 soll das Justizdepartement von Beat Jans eine Vorlage für ein Verbot von internationalen Adoptionen ausarbeiten. Adoptionen innerhalb der Schweiz sind von diesem Beschluss nicht betroffen. Zudem wird geprüft, ob auch Adoptionen innerhalb der Familie weiterhin zulässig bleiben sollen. Bereits laufende Adoptionsverfahren sind von der Praxisverschärfung nicht tangiert.
Der Bundesrat hat sich diesen Entscheid nicht leicht gemacht und stützt sich auf die Arbeit einer externen Expertengruppe unter der Rechtswissenschafterin Monika Pfaffinger. Die Experten kamen zu dem Schluss, dass mit einem Reformszenario, also einer Verschärfung des bestehenden Adoptionsrechts, Missbräuche nicht ausgeschlossen werden können. Ein Verbot sei die beste Möglichkeit, die betroffenen Kinder zu schützen.
Die Schweiz steht mit der angestrebten Praxisänderung nicht alleine da. Die Niederlande haben 2024 ein Moratorium für internationale Adoptionen beschlossen. Belgien, Norwegen, Frankreich und der kanadische Teilstaat Quebec prüfen gemäss dem Direktor des Bundesamts für Justiz, Michael Schöll, ebenfalls Verschärfungen der Adoptionsgesetzgebung.
Nicht zuletzt die Aufdeckung zahlreicher Skandale hat dazu geführt, dass die internationalen Adoptionen in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen sind. Gegenwärtig sind es noch rund dreissig pro Jahr. Früher wurden jedes Jahr mehrere hundert Kinder an Familien in der Schweiz vermittelt. Die grosse Menge führte dazu, dass Adoptionen für Hilfswerke zum Geschäft wurden, wo die Nachfrage das Angebot bestimmte. «Zum Beispiel bei den Adoptionen aus Sri Lanka im Kanton St. Gallen war bis 2002 keine einzige ganz legal», erklärte Jans.
Und die Adoptionen aus Sri Lanka, die bis heute am besten historisch erforscht sind, machen nur einen Bruchteil aller Fälle aus.
Gefälschte Identitäten
Zu einem eigentlichen Boom von internationalen Adoptionen kam es ab den 1970er Jahren. Damals nahm die Zahl von Schweizer Kindern, die zur Adoption freigegeben wurden, stark ab. Der Hauptgrund waren Anpassungen im Zivilgesetzbuch: Durch die Stärkung der Rechte von Frauen wurden etwa alleinerziehende Mütter nicht mehr dazu gedrängt, ihren Nachwuchs abzugeben. In den 1980er Jahren kam es mit über 6000 Fällen bereits zu einer Verdoppelung der Einreisebewilligungen für «Pflegekinder aus dem Ausland zwecks späterer Adoption» im Vergleich zu den 1970er Jahren. Wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
Im Auftrag des Bundesamts für Justiz ging ein Forscherteam der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) den «Hinweisen auf illegale Adoptionen von Kindern aus zehn Herkunftsländern in der Schweiz, von 1970 bis in die 1990er Jahre», nach. Die Resultate, die 2023 veröffentlicht wurden, zeigen, wie verbreitet die Praxis zweifelhafter Adoptionen damals war: Die höchsten Fallzahlen betreffen Kinder aus Indien (2799), Kolumbien (222), Brasilien (1222) und Korea (1065). Die Untersuchung komplettieren Zahlen zu Bangladesh, Chile, Guatemala, Peru, Rumänien und Libanon. Und obwohl dies erst der Anfang einer seriösen historischen Aufarbeitung sein kann, sind die Befunde erschreckend.
Die Behörden waren anfangs von der schieren Menge der Auslandsadoptionen überfordert. Dann folgte eine Laisser-faire-Politik, sprich: Man schaute bei der Vermittlungspraxis nicht genau hin – oder einfach weg. So wurden Eltern und ihre Kinder in fremden Ländern zu Opfern von Kinderhandel. Die Armut und die sozialen Ausnahmesituationen von Müttern wurden von Schweizer Hilfswerken wie Terre des Hommes Lausanne, von Geschäftsleuten wie der St. Gallerin Alice Honegger, von im Ausland tätigen Ordensschwestern und von lokalen Partnern ausgenutzt.
Systematisch wurden die Identitäten der Kinder gefälscht. Auch die für die Einreise in die Schweiz notwendige Zustimmungserklärung der leiblichen Eltern erfolgte nicht selten unter Täuschung oder Zwang. In Brasilien sind Fälle dokumentiert, bei denen kurzerhand die künftigen Adoptiveltern im Geburtsschein der Kinder als leibliche Eltern eingetragen wurden. Die Schweizer Behörden sprachen angesichts fehlender oder fehlerhafter Dokumente von einem «Fait accompli», «Selbsthilfe von Adoptiveltern» oder «wilden Beschaffungen» – und nicht von illegaler Adoption.
«Versandhaus für Kinder»
Das Argument, das damals alles zu rechtfertigen schien: Die Kinder würden durch die Adoption in der Schweiz ein besseres Leben haben als in ihren ärmlichen Herkunftsländern. Kurzum: Man tue ja Gutes! Dass dahinter meist illegale Praktiken standen und Säuglinge ihren Eltern entrissen wurden, wurde grosszügig ausgeblendet. Kinder verkamen zu einer international gehandelten Ware, mit einem Preisschild von einigen tausend Dollar pro Exemplar. Es wurden Kinder für Eltern gesucht, und nicht Eltern für Kinder.
Die künftigen Adoptiveltern gaben nicht selten unverblümt ihre Wünsche durch: lieber ein Mädchen, lieber ein Junge, bitte «nichtmoslemisch» – und nicht selten sollte das Kind «möglichst unserer Hautfarbe ähnlich sein, also hellhäutig». Die diplomatischen Vertretungen im Ausland wurden von Anfragen überhäuft, ob sie helfen könnten. Viele Schweizer Paare umgingen aber auch die Wartelisten und reisten selbst vor Ort, in der Hoffnung, mit einem Baby zurückzukehren. Wie viele von ihnen wussten, worauf sie sich einliessen, ist noch kaum erforscht.
Die Missstände waren aber früh bekannt und wurden auch publik. Juristen warnten vor Gesetzeslücken, Beamte beschwerten sich, Medien berichteten über die zahlreichen internationalen Skandale. Die Gesandtschaften und Botschaften sammelten sogar Zeitungsberichte darüber. Einige Diplomaten meldeten ihre Bedenken nach Bern: «Die Botschaft hat sich geflissentlich von einer aktiven Beteiligung an dieser eher fragwürdigen Vermittlung ferngehalten», schrieb Anfang der 1980er Jahre der Schweizer Vertreter in Delhi. Und sein Kollege in Colombo kritisierte, Sri Lanka sei «zum Versandhaus für Kinder geworden».
Doch viel zu lange passierte nichts. Selbst wenn Adoptionen in einem der Herkunftsländer wegen gesetzeswidriger Praktiken vorübergehend unterbunden worden waren, wie etwa im Fall von Peru, suchten die Schweizer Behörden nach Lösungen, sie bald wieder zu ermöglichen. So gross war die Nachfrage. Auch Politiker mischten sich ein, etwa der mächtige St. Galler CVP-Nationalrat Edgar Oehler, der selbst vier Kinder aus Sri Lanka adoptiert hatte. Als die Bundesbehörden in den 1980er Jahren die Einreiseverfahren verschärften, intervenierte er beim Bundesamt für Ausländerfragen, damit dieses zur lascheren Praxis zurückkehre.
Die grosse Zäsur markierte das Jahr 2003, als das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption auch in der Schweiz in Kraft trat – und für eine stärkere Kontrolle gesorgt hat.
Weitere Reformen notwendig
Der Entscheid des Bundesrats von diesem Mittwoch ist nicht unumstritten und wird zu Diskussionen führen. So fordert etwa der Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt in einem 2024 eingereichten Vorstoss, dass internationale Adoptionen wieder gestärkt werden sollen. Müller-Altermatt, der Vater eines Adoptivsohns aus Armenien ist, schlägt vor, Adoptionen auf jene Länder zu beschränken, bei denen gute Erfolgsaussichten bestehen.
Die Gegner eines Verbots von internationalen Adoptionen befürchten, dass ein Schwarzmarkt entsteht, wenn sich der Staat aus der Vermittlung von Kindern zurückzieht. Jans widersprach dieser Annahme dezidiert. Missbräuche würden auf diese Weise verhindert und nicht gefördert. Ein Grund für die Missstände in der Vergangenheit sei gewesen, dass es die Möglichkeit solcher Adoptionen überhaupt gegeben habe. «Die Schweiz war Teil dieses Marktes, und das ist bedauerlich», so Jans.
Die vom Bund eingesetzte Expertengruppe hat sich neben der Zukunft der internationalen Adoptionen mit weiteren Fragen befasst. Sie kam bei ihren Untersuchungen zu dem Schluss, dass im Zusammenhang mit Adoptionen weitere Reformen notwendig sind. Diese sollen gewährleisten, dass adoptierte Personen das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wahrnehmen können. Aufgrund der gefälschten Dokumente bei vielen Adoptionen ist es indes für viele Betroffene kaum mehr möglich, herauszufinden, wer ihre leiblichen Eltern sind.
Begangenes Unrecht kann man durch alle Verbote und Reformen nicht wiedergutmachen. Das ist auch für Bundesrat Jans klar, zumal die Eltern, die ausländische Kinder adoptiert haben, in guter Absicht gehandelt hätten. «Es gibt einen grossen Bedarf an Pflegefamilien. Auch so kann man einem Kind helfen», so lautete der Tipp des Justizministers für Eltern, deren Wunsch nach einer Adoption aus dem Ausland nun zu platzen droht.