Freitag, März 14

Die Münchner Sicherheitskonferenz hat die Europäer aufgeschreckt. Viele beschwören gar das Ende der liberalen Weltordnung. Wenn sie sich jedoch auf eine Aufgabenteilung mit den USA einlassen, lässt sich dieses Szenario abwenden. Erste Anzeichen dafür gibt es schon.

Die Europäer verliessen München am Sonntag in Endzeitstimmung. Am letzten Tag der Sicherheitskonferenz war auf den Panels und in den Gängen des «Bayerischen Hofs» gar vom Ende der liberalen Weltordnung die Rede. Die konfrontative Rede des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance hat aus Sicht vieler einen Keil zwischen Europa und die USA getrieben.

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In Europa reiht sich nun ein Krisentreffen an das nächste. Am Sonntagmorgen kamen die EU-Aussenminister in München zu einem ausserplanmässigen Treffen zusammen. Der amerikanische Sondergesandte Keith Kellogg hatte am Vorabend angedeutet, die Europäer würden bei Friedensverhandlungen zur Ukraine nicht mit am Tisch sitzen. Aus europäischer Sicht ein weiterer Affront. Am Montag sollte die Krisenkommunikation in Paris fortgeführt werden.

Der harsche Ton der neuen amerikanischen Regierung hat viele in Europa aufgeschreckt. In der Sache können die Aussagen jedoch eigentlich niemanden überrascht haben. Seit Jahren kommunizieren die Amerikaner, dass sie von Europa mehr Engagement für die eigene Verteidigung erwarten. Diese Sätze wurden zum Mantra republikanischer wie demokratischer Regierungen.

Fokus der USA hat sich gen Asien verschoben

Der aussenpolitische Fokus der USA hat sich gen Asien verschoben. Nicht erst seit Donald Trump. Schon Barack Obama nannte sich den «ersten pazifischen Präsidenten». Unter Joe Biden sicherten sich die USA Zugang zu weiteren Militärbasen im Indopazifik. Aus Sicht der Amerikaner sitzt ihr Hauptfeind nicht in Moskau, sondern in Peking. Und die Bedrohung wächst. China baut sein Atomwaffenarsenal und die Marine stetig aus.

Auch eine Grossmacht wie die USA kann jedoch nicht dauerhaft in Europa und Asien militärische Präsenz zeigen. Sie muss zum Schutz ihrer Bevölkerung gemäss ihrer Gefahreneinschätzung priorisieren. Vor diesem Hintergrund erscheint das europäische Verhalten aus amerikanischer Sicht geradezu dekadent. Der implizite Vorwurf: Während sich die wohlhabenden Staaten Europas ein im Vergleich zu den USA aufgeblähtes Sozialsystem leisten, erwarten sie, dass die amerikanischen Steuerzahler für ihre Verteidigung aufkommen.

Ken Weinstein vom konservativen Hudson Institute in Washington formuliert es gegenüber der NZZ so: «Die Europäer müssen begreifen, dass ihre Ferien von der Geschichte zu Ende sind.» Es sei nun ihre Aufgabe, Russlands Imperialismus einzuhegen und dauerhaft abzuschrecken.

Folgt man Weinstein, würden die USA ihre Ressourcen künftig lieber ins Südchinesische Meer verlagern und mehr Geld in pazifische Bündnisse wie Aukus stecken. Sie erwarten, dass die Europäer die dadurch entstehende Lücke in der Nato füllen. An einer Spaltung des transatlantischen Verhältnisses kann den Amerikanern deshalb nicht gelegen sein.

Andere Töne hinter verschlossenen Türen

Dazu passte, dass die harschen Worte auf offener Bühne in deutlichem Kontrast zu dem standen, was europäische Vertreter von ihren Gesprächen mit den Amerikanern hinter verschlossenen Türen berichteten. Die Atmosphäre wurde als positiv beschrieben; die Rede war von pragmatischen Gesprächen unter Partnern. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sagte nach ihren Treffen mit Vance und Kellogg etwa, sie haben von ihnen «ganz andere Töne gehört».

In der Kommunikation erwartet die neue amerikanische Regierung einen Neuanfang. «Die Europäer müssen aufhören, andere zu belehren», sagt Weinstein. Pedanterie bringe das europäisch-amerikanische Verhältnis nicht weiter.

«Donald Trump ist an einem starken Europa gelegen», sagt Weinstein. Um als solches wahrgenommen zu werden, müssten die Europäer jedoch konkrete Angebote auf den Tisch legen. Dann könnten sie auch künftig nicht übergangen werden.

Bei den Europäern ist nun eine grössere Dringlichkeit zu vernehmen. Einige mögliche Ansätze, wie die Steigerung der Wehretats finanziert werden soll, kursierten bereits an der Konferenz in München. Die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen brachte etwa die Idee ins Spiel, die Maastricht-Kriterien für Rüstungsausgaben aufzuweichen, damit die Staaten diese einfacher finanzieren könnten. Auch eine finanzielle Lösung ausserhalb der EU-Institutionen wurde in München offenbar hinter verschlossenen Türen besprochen. Damit könnten auch Grossbritannien und Norwegen einbezogen werden.

Europäische Soldaten in der Ukraine?

Die Europäer müssen sich jedoch auch überlegen, ob sie bereit sind, ihre Freiheit auch mit eigenen Soldaten zu sichern. Auf amerikanischer Seite besteht die Erwartung, dass europäische Truppen einen möglichen Frieden in der Ukraine sichern sollen. Darüber sind die Europäer derzeit jedoch noch geteilter Meinung.

Die Ukrainer plädieren gar für eine gemeinsame europäische Armee. Seitens der Europäer wurde dieser Vorschlag in München weitestgehend ignoriert. Die Ukraine hat als Beitrittskandidat allerdings auch nicht sonderlich viele Druckmittel, um sie dazu zu bewegen.

Der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsausschusses im ukrainischen Parlament Jehor Tschernjew zeigte sich dennoch optimistisch, dass der Vorschlag noch Anklang finden könnte. Er verwies gegenüber der NZZ darauf, dass eine europäische Armee keine neue Idee sei. Einen entsprechenden Vorstoss habe es vor einigen Jahren schon vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegeben. «Damals war die Zeit noch nicht reif dafür, aber nun gibt es mit der russischen Bedrohung einen sehr guten Grund für eine europäische Armee», sagte er. Europa müsse lernen, sich selbst zu führen und sich nicht allein auf die USA zu verlassen.

Ukrainer verschieben Abkommen zu seltenen Erden

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hatte zuvor in seiner Rede an der Konferenz deutlich gemacht, dass er mehr Geschlossenheit von den Europäern erwartet und betont, dass sie bei Verhandlungen mit am Tisch sitzen müssten. Auf europäischer Seite wurde entsprechend begrüsst, dass er sich entgegen vorheriger Aussagen dagegen entschied, in München ein bilaterales Abkommen über die Nutzung seltener Erden mit den Amerikanern zu unterzeichnen. Damit hätte er einen wichtigen Verhandlungsvorteil aus der Hand gegeben, lautete die Befürchtung.

Die beiden Delegationen hätten über das mögliche Abkommen mehrere Stunden auf Ministerebene mit den Amerikanern verhandelt, sagte Tschernjew. Man sei noch immer bereit, ein Abkommen zu seltenen Erden zu schliessen, «der Teufel steckt aber im Detail». Im Gegenzug könne man sich etwa weitere Waffenlieferungen vorstellen, und zwar in einem Umfang, der es der Ukraine erlauben würde, von den Russen eroberte Gebiete zurückzugewinnen.

Zum Ende der Konferenz blicken nun alle nach Berlin. Am kommenden Wochenende finden die deutschen Bundestagswahlen statt. Auf Deutschland lastet ein enormer Erwartungsdruck. In vielen Gesprächen und Reden in München wurde deutlich, dass die anderen europäischen Staaten von einer neuen deutschen Regierung mehr Führung erwarten.

Die anschliessenden Koalitionsverhandlungen könnten rasche Entscheidungen jedoch noch einige Wochen, wenn nicht Monate blockieren. Aus Sicht von Weinstein kann sich Europa dies jedoch nicht leisten. «Es ist jetzt keine Zeit für einen 400-seitigen Koalitionsvertrag. Diese Verzögerung würde Deutschland und Europa angesichts der existenziellen Krise schwach erscheinen lassen.» Europa müsse sich dem Trump-Tempo anpassen.

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