Montag, Oktober 7

Die Ärztevereinigung FMH zieht der eigenen Publikation den Stecker, 35 Mitarbeiter des Verlags verlieren den Job. Die Macher der «Ärztezeitung» fühlen sich verraten.

Es waren provokative Zeilen, die der Mediziner Martin Guggenheim Mitte August in der «Schweizerischen Ärztezeitung» («SÄZ») veröffentlichte: Es sei eine ärztliche Pflicht, sterbewilligen Menschen zu helfen. Aus Sicht von Guggenheim ist es unhaltbar, dass die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihren Richtlinien festhält, Suizidhilfe bei gesunden Personen sei «ethisch nicht vertretbar». Denn wer sterben wolle, könne nicht als gesund gelten.

Kaum ein Thema wird in der Ärzteschaft kontroverser diskutiert als die Sterbehilfe und die Rolle, die die Mediziner dabei spielen sollen. Entsprechend gab es in der gleichen Ausgabe der «SÄZ» dezidierten Widerspruch eines Vertreters der SAMW, der festhielt, Suizidhilfe sei keine genuin ärztliche Aufgabe.

Solche Debatten wird es künftig nicht mehr geben, zumindest nicht in der «Schweizerischen Ärztezeitung». Die Publikation, wie man sie gekannt hat, ist tot. Nach mehr als hundert Jahren Existenz. Schon die Ausgabe von dieser Woche, die parat zum Druck gewesen wäre, erscheint nicht mehr.

Existenzgrundlage entzogen

So will es die Ärztevereinigung FMH: Sie verbiete ihnen, weitere Ausgaben der «SÄZ» herauszugeben, erklärt Ludwig Heuss, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Spital Zollikerberg und Interimspräsident des Verwaltungsrats des Schweizerischen Ärzteverlags EMH. Nicht einmal mehr auf die Adresslisten der Ärzteschaft kann der EMH zurückgreifen.

Das Absurde an der Situation ist, dass der Verlag mehrheitlich der FMH gehört. Doch wie die Präsidentin Yvonne Gilli in einer E-Mail an die Mitglieder schreibt, hat die FMH die Zusammenarbeit mit dem EMH «aufgrund verschiedener Vorkommnisse» per sofort beendet. Betroffen ist nicht nur die Printausgabe der «SÄZ», sondern auch die Weiterbildungszeitschrift «Swiss Medical Forum» und der Online-Auftritt des Verlags, der eingestellt wird.

«Sie entziehen dem eigenen Verlag vorsätzlich die Existenzgrundlage», sagt Heuss. Das Unternehmen war wegen eines Rückgangs der Werbeeinnahmen und hoher Investitionen in die Online-Strategie in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die FMH zeigte keine Lust, die Löcher zu stopfen. Und auch ein verzweifelter Spendenaufruf von Heuss vor zwei Wochen nützte so nichts mehr.

Kommt es zum Rechtsstreit?

Durch den Entschluss der FMH würden sämtliche 35 Mitarbeitende des EMH ihre Arbeitsstelle verlieren, schreibt Heuss in einer Mitteilung auf der Website des Verlags. «Das ist nicht nur unverständlich, sondern auch sozial unverantwortlich.» Finanziell wäre das Überleben des Verlags laut Heuss bis Ende Jahr gesichert gewesen – dank der Unterstützung durch einige hundert Ärzte.

Der Verwaltungsrat, die Geschäftsführung und die Mitarbeiterschaft des Ärzteverlags seien über das nicht nachvollziehbare Vorgehen der FMH fassungslos und behielten sich rechtliche Schritte vor, sagt Heuss. «Mit der ‹SÄZ› und den weiteren Produkten geht etwas ausserordentlich Wertvolles verloren: eine Plattform, auf der man offen und frei über die Zukunft des Berufsbildes und der Gesundheitsversorgung diskutieren konnte.»

Heuss verweist auf eine Aussage des früheren FMH-Präsidenten Hans Heinrich Brunner: Er habe gesagt, die «SÄZ» dürfe niemals zu einer Art «Osservatore Romano» werden, der nur unkritisch die Verlautbarungen des Heiligen Stuhls wiedergebe. Doch genau dies schwebe nun der heutigen FMH-Spitze vor.

Ein Vertreter der Ärztevereinigung im EMH-Verwaltungsrat habe bei einer der letzten Sitzungen gesagt, die FMH wolle bestimmen, was in der Zeitung stehe, sagt Heuss. «Offensichtlich ist ihnen ein kritischer, unabhängiger Journalismus zu medizinischen Themen nicht genehm. Sie wollen lieber ein Propagandablättli.»

«Ärztezeitung» in abgespeckter Version

Die FMH hat angekündigt, die «SÄZ» in Eigenregie als offizielles Verbandsorgan weiterzuführen. Das dürfte bedeuten, dass es in der Zeitung keine journalistischen Beiträge mehr gibt, sondern nur noch die offiziellen Mitteilungen des Verbandes, die auch bisher Teil der «SÄZ» waren. Als Übergangslösung soll alle zwei Wochen eine digitale «Ärztezeitung» auf der FMH-Website publiziert werden, produziert vom Kommunikationsteam des Verbandes.

Auf die Frage, ob die «SÄZ» zu kritisch gewesen sei, antwortet die FMH, die bisherige Zusammenarbeit habe ein hohes Mass an gegenseitigem Vertrauen erfordert. «Dieses Vertrauen lag jedoch nicht mehr vor, somit fehlte die erforderliche Grundlage für eine Weiterführung der Zusammenarbeit.»

Einen möglichen Stellenabbau beim EMH bedauert die FMH, betont aber, sie trage gleichzeitig auch eine hohe Verantwortung für die ihr anvertrauten Finanzmittel. Sie könne schon aus statutarischen Gründen die beim EMH entstandenen Finanzlöcher nicht mit ihren Mitgliederbeiträgen ausgleichen. «Auch die Weiterführung der Zusammenarbeit hinsichtlich der ‹SÄZ› hätte an dieser Gesamtsituation nichts geändert.»

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