Samstag, Januar 18

Millionen an nicht bezahlten Unterhaltsbeiträgen. Tausende von Familien, die deshalb staatliche Hilfe brauchen. Was passiert, wenn der Ex-Partner keinen Unterhalt zahlt.

Als die Ehe von Angela Schmidt (Name geändert) zerbricht, verliert sie alles. Sie fällt psychisch in ein Loch. Aus ihrem Partner wird ein erbitterter Feind. Der Kontakt zu ihren beiden Kindern bricht ab. Jobverlust, Geldprobleme, psychische Krise – bis sie irgendwann nicht mehr kann.

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Fast fünfzehn Jahre ist die Scheidung von Schmidt nun her. Geblieben ist ihr von der einst heilen Familie nichts – ausser einem drohenden Schuldenberg gigantischen Ausmasses. Und einem Strafverfahren, das bitter für sie endet.

Sie ist mit dieser Geschichte kein Einzelfall.

50 Millionen Franken: So viel geschuldete Unterhaltsbeiträge verzeichnet der Kanton Zürich jedes Jahr – die Spitze des Eisbergs, da nur ein Bruchteil der ausstehenden Gelder den Behörden gemeldet wird. Über 9000 Zürcherinnen und Zürcher – zwei Drittel von ihnen Frauen – sind gemäss dem Bundesamt für Statistik wegen fehlender Alimente auf staatliche Hilfe angewiesen.

Brigit Rösli, die als Anwältin schon vielen Betroffenen begegnet ist, sagt: «Es gibt zwei Arten von Fällen: Entweder kann jemand nicht zahlen – weil er kein Geld hat oder seine Finanzen nicht im Griff hat. Oder er will nicht zahlen, nach dem Motto: Wer sich von mir trennt und die Kinder mitnimmt, soll selber schauen, wie er zurechtkommt.»

Die Frage, die sich die Zürcher Strafverfolger bei Angela Schmidt stellen, ist: Welcher dieser Fälle ist sie?

Ein hartnäckiges Phänomen

Dass ein Elternteil keine Alimente bezahlt, ist in der Schweiz Alltag. Über 20 000 betroffene Familien erfasst das Bundesamt für Statistik. Wobei in dieser Zahl nur jene enthalten sind, die wegen fehlender Alimente in starke finanzielle Probleme geraten.

Die Zahl der Betroffenen ist deutlich höher als noch während der nuller Jahre, sinkt jedoch nach einem sprunghaften Anstieg um 2014 seit einiger Zeit wieder leicht. Expertinnen und Experten sprechen von einem stabilen Phänomen, das auch die gesellschaftliche Entwicklung hin zur gemeinsamen Obhut für die Kinder schadlos überstanden hat.

Vor allem Eltern mit einem oder zwei Kindern sind die Leidtragenden. Es gibt jedoch auch eine steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die vergeblich auf Alimente von ihren Eltern warten.

Hinter diesen Zahlen stecken Geschichten wie jene eines 59-jährigen Schweizers, der seinem 17-jährigen Sohn und dessen Mutter knapp 105 000 Franken schuldete. Und deshalb vergangenen Herbst von der Winterthurer Staatsanwaltschaft per Strafbefehl verurteilt worden ist.

Oder die Geschichte eines Topbankers, der mit den Unterhaltsbeiträgen von monatlich über 30 000 Franken an seine Ex-Partnerin und zwei Töchter in Verzug geraten war – und ihr prompt vorwarf, sie verpulvere sein Geld.

Es sind aber auch Geschichten wie jene von Angela Schmidt und dem tragischen Ende ihrer Ehe.

Der Schmidtsche Scheidungskrieg

Ende der nuller Jahre ist im Leben von Schmidt und ihrem Mann noch alles in Ordnung – scheinbar zumindest. Im Abstand von etwas mehr als einem Jahr bekommt das Paar zwei Söhne. Doch die Liebe bröckelt. Und als der ältere der beiden Buben drei Jahre alt ist, trennen sich Angela und ihr damaliger Partner, wie aus einem Strafbefehl der Zürcher Staatsanwaltschaft hervorgeht.

Was genau dazu geführt hat, ist nicht klar. Sicher ist: Beim Ehepaar Schmidt führt die Trennung zum totalen Bruch. Die Fronten sind schliesslich so verhärtet, dass man sich gegenseitig nur das Böseste unterstellt.

Im Fall einer Scheidung hält das Gesetz fest, dass beide Elternteile verpflichtet sind, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. In der Regel zahlt entweder der Elternteil, der nicht für die Kinder sorgt, dem anderen einen monatlichen Betrag. Oder, wenn die Kinder bei beiden leben, der Besserverdienende dem anderen Alimente.

Im Fall des Zürcher Paares bleiben die beiden Buben beim Vater, und Angela zahlt ihm Unterhalt – statistisch eher die Ausnahme. Nur allzu typisch ist dafür, was danach folgt: ein jahrelanges Hickhack vor Gericht. Mehrere Male wird die Höhe der Unterhaltsbeiträge geändert. Schliesslich, fast fünf Jahre nach der Trennung, verpflichtet ein Gericht Schmidt dazu, bis zum vollendeten 12. Lebensjahr ihrer Söhne pro Kind 650 und danach 850 Franken monatlich an Alimenten zu überweisen.

Doch Schmidt scheint das alles nicht akzeptieren zu können. Die Scheidung wirft sie völlig aus der Bahn. So sehr, dass sie in eine Abwärtsspirale aus Jobverlust, Lohnpfändungen und psychischen Krisen gerät, aus der sie sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann. Doch Arbeitslosengelder und später Sozialhilfe beantragt sie laut Strafbefehl nicht.

Die Alimente, die sie eigentlich bezahlen sollte, überweist sie nur sporadisch. So leistet sie etwa zwischen Herbst 2018 und Sommer 2021 gar keine Zahlungen.

Die unbezahlten Rechnungen häufen sich. Die Zürcher Staatsanwaltschaft wird später berechnen, Angela Schmidt habe Alimente in der Höhe von insgesamt fast 53 000 Franken nicht bezahlt.

Angesichts ihrer Situation bleibt die Frage: Hätte sie dieses Geld realistischerweise überhaupt noch zahlen können? Oder entspricht das Urteil, mit dem Schmidt zu den Unterhaltszahlungen an ihre Kinder verpflichtet wurde, schlicht nicht mehr der Realität?

Was die Expertinnen sagen

Alimentenschulden von teilweise über 100 000 Franken, Elternteile, die während Jahren, manchmal Jahrzehnten keinen Unterhalt zahlen: Das ist für Harald Willimann Alltag. Der Leiter der Stadtzürcher Alimentenstelle unterstützt mit seinem Team jedes Jahr Hunderte, die wegen unbezahlter Unterhaltsbeiträge am finanziellen Abgrund stehen.

«Zu uns kommen vor allem Frauen, die im Tieflohnbereich arbeiten. Oft haben sie mehrere Jobs und stehen ohne die Alimente vor grossen Problemen», sagt er. Umgekehrt befänden sich auch ihre Ex-Partner oft ebenfalls in einer finanziell schwierigen Lage.

Da sind jedoch auch die anderen Fälle. «Es gibt Väter, die einfach nicht zahlen», sagt Willimann. Plötzlich haben sie einen neuen Job mit tieferem Lohn. Oder sie sind Selbständige, die auf einmal niedrige Einnahmen angeben. Willimann hat in seinen zehn Jahren als Alimentenberater schon einige Situationen gesehen, in denen säumige Ex-Partner ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen.

«Viele haben aber auch einfach so hohe Schulden, dass unsere Betreibung ihnen keinen Eindruck macht. Sie haben aufgegeben», sagt Willimann. Und dann gibt es die Männer, die abtauchen – ins Ausland, ohne Abmeldung oder Adresse.

«Das sind die traurigsten Fälle», sagt der langjährige Berater. «Wenn die Mütter nicht wissen, wo ihr Ex-Partner ist – und die Kinder ihren Vater nicht einmal kennen.»

Zahlt der Vater oder die Mutter nicht, muss im Notfall der Staat einspringen. Elternteile mit säumigem Ex-Partner und genügend tiefem Einkommen haben in der Schweiz Anrecht auf sogenannte Alimentenbevorschussung – also Beiträge, die der Staat vorschiesst und dann selbst bei den Schuldnern eintreibt.

Das Ziel: Engpässe überbrücken und das Abgleiten in die Sozialhilfe verhindern. Die Zuschüsse sind allerdings auf maximal 1008 Franken pro Monat begrenzt. Entsprechend sind viele Bezüger – in der Stadt Zürich rund die Hälfte – trotzdem auf Sozialhilfe angewiesen.

Auch beim Eintreiben der vorgeschossenen Alimente ist die Bilanz bescheiden: Im Kanton Zürich werden rund zwei Drittel der Beträge nie zurückbezahlt, wie das Amt für Jugend und Berufsberatung der NZZ schreibt. Eine Quote, die seit Jahren recht stabil bleibt.

Und das, obwohl Willimann und seine Kollegen dafür alles Erdenkliche tun: Betreibungen in so gut wie allen Fällen, in denen ein ernstes Gespräch nicht reicht. Und Strafanzeigen, eine Handvoll pro Jahr, bei besonders renitenten Alimentensündern.

Ein Drama, das nur Verlierer kennt

Angezeigt wird schliesslich auch Angela Schmidt. Es ist ihr Ex-Mann, der den Strafantrag stellt. Der Verdacht des Mannes: Schmidts Alimente bleiben nicht aus, weil sie nicht zahlen kann, sondern, weil sie nicht will.

Nur in einem solchen Fall kann in der Schweiz das Strafrecht zur Anwendung kommen. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht wird dann geahndet, wenn eine Person die Mittel zur Erfüllung der Unterhaltspflicht hatte oder hätte haben können.

Die Staatsanwaltschaft fällt Ende 2024 ihren Entscheid im Fall Schmidt. Und kommt darin zu dem Schluss: Die Mutter hätte zahlen können. Sie verurteilt die 53-Jährige deshalb zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 30 Franken wegen Vernachlässigung ihrer Unterhaltspflichten.

Bezahlen muss sie die Geldstrafe, sollte sie sich in den nächsten drei Jahren etwas zuschulden kommen lassen. Zudem muss sie eine Busse in der Höhe von 700 Franken sowie die Verfahrenskosten von 1000 Franken übernehmen.

In ihrem Strafbefehl hält die Staatsanwaltschaft fest, Angela Schmidt habe ihre familienrechtlichen Unterhaltspflichten nicht erfüllt, obwohl sie die Möglichkeiten dazu gehabt habe. Immerhin habe sie in den Jahren 2018 und 2019 ein Einkommen von über 80 000 Franken erzielt. Und auch danach, als es ihr nicht mehr gutgegangen sei, hätte sie zumindest einen Teil der Alimente bezahlen können.

Angela Schmidt hat den Strafbefehl und damit den Schuldspruch akzeptiert. Aber ein versöhnliches Ende gibt es in dieser Geschichte dennoch nicht. Denn Schmidts Ex-Partner hat im vergangenen Sommer als gesetzlicher Vertreter der gemeinsamen Kinder eine Zivilklage eingereicht. Seine Forderung: Schadenersatz in der Höhe von 115 000 und eine Genugtuung von 8000 Franken. Angela Schmidt bestreitet diese Summe. Wahrscheinlich wird, wie so oft in dieser Geschichte, am Ende ein Gericht entscheiden müssen.

Der erbitterte Streit zwischen zwei Menschen, die sich einmal geliebt haben, er geht weiter. Es ist ein Drama, das nur Verlierer kennt.

Höchste Bezugsquote in Winterthur

fbi. Kommt jemand seiner Unterhaltspflicht bloss teilweise oder gar nicht nach, kann staatliche Inkassohilfe geltend gemacht werden. Die Alimentenhilfestelle kann Unterhaltszahlungen vorschiessen und Leistungen bei den säumigen Ex-Partnern einfordern. Zuständig ist im Kanton Zürich das Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB). Ausser in der Stadt Zürich, wo die Gemeinde die Aufgabe selbst übernimmt.

Um die 6000 Personen sind es, bei denen die Zürcher Behörden Alimentenschulden einzutreiben versuchen. Die effektive Zahl dürfte allerdings höher liegen, denn die Behörden erfassen nur Fälle, in denen eine unterhaltsberechtigte Person ein Gesuch um staatliche Inkassohilfe oder eine Alimentenbevorschussung gestellt hat.

Die Vorschüsse sind dabei von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen abhängig. Nur wer knapp bei Kasse ist, erhält Hilfe.

Die höchste Bezugsquote hat die Stadt Winterthur. 0,88 Prozent der Winterthurerinnen und Winterthurer beziehen eine Alimentenbevorschussung. Zum Vergleich: In der Stadt Zürich sind es 0,61 und im ganzen Kanton 0,58 Prozent.

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