Mittwoch, Februar 5

Ein Jahrzehnt ist es her, dass die Publigroupe mit ihrer Flaggschiff-Marke Publicitas aus dem Markt ausschied. Es war keine Pleite, aber der leise Niedergang des Riesen spiegelt den Zustand der Branche.

In allen Landessprachen schweigt die eitle Medienwelt, die sonst jeden erdenklichen Gedenktag zelebriert, über das vor zehn Jahren vollzogene Ende des mit Abstand grössten und mächtigsten Medienkonglomerats, das es in der Schweiz je gegeben hat. Zuerst verschwand die Marke Publicitas, dann deren Holding (Publigroupe), ein substanzstarkes Unternehmen mit ihren in vielen goldenen Jahren angehäuften Reserven in dreistelliger Millionenhöhe, vorwiegend angelegt in erstklassigen Stadtliegenschaften.

Am 2. April 2014 gab die Publigroupe bekannt, ihre mit Abstand grösste und bekannteste Marke, Publicitas, an deutsche Firmenbroker zu verkaufen, weil das Geschäftsmodell der Annoncenagentur die Fixkosten des weitverzweigten Filialnetzes nicht mehr zu decken vermochte. 2018 schickten die glücklosen Käufer die Publicitas in den Konkurs. Über 1000 Arbeitsplätze gingen verloren. Die Publigroupe wurde von der Börse weggenommen und zerlegt.

Ein Filetstück schnappte sich dank einem Vorkaufsrecht die Swisscom. Die mitbietende Tamedia, die früh von den Verkaufsabsichten des Publigroupe-VR wusste, unterlag zwar. Sie erwarb aber in aller Stille viele Publigroupe-Aktien, die infolge der Medienkrise stark abgewertet waren. Laut verlässlicher Quelle schaute aus dem Verkauf der Minderheitsbeteiligung an Swisscom für Tamedia ein «Trostpreis» von ungefähr 200 Millionen heraus.

Die Telegramm-Adresse als Markenzeichen

Das Kerngeschäft der Publicitas war die Anzeigenvermittlung. Diese wurde, vereinfacht gesagt, von zwei Faktoren ausradiert: vom Internet und von einer Reihe von heute unverständlichen strategischen Fehlentscheidungen des Verwaltungsrates.

Der Kaufmann Ferdinand Haasenstein war 1858 in Altona der Erste gewesen, der im starken Wachstum der lokal verankerten Zeitungen ein neues Geschäftsmodell entdeckte und realisierte: eine Agentur zur Vermittlung von Anzeigenaufträgen über Regionen und Länder hinweg gegen Kommission. 1866 expandierte er in die Schweiz.

Ab 1916, als deutsche Namen wie «Haasenstein & Vogler» in der Schweiz unmöglich wurden, nannte sich das stark wachsende Unternehmen «Publicitas» – das war auch seine damalige Telegramm-Adresse, mit der man in dringenden Fällen kommunizierte.

Charles W. George, der die Firma inzwischen übernommen hatte, starb 1923, als sie rund 500 Personen beschäftigte und heftige Verluste schrieb. Der Treuhänder Jean Hegnauer sanierte die Firma zunächst im Auftrag der Witwe, später übernahm er deren Aktien. Fortan beherrschten drei Familien ­– alle aus dem Management – die Publicitas. Deren fortwährende Uneinigkeit war einer der Gründe für die späteren Probleme. Trotzdem gelang es der «P.», wie sie in der Branche respektvoll genannt wurde, die Konkurrenten Orell Füssli Werbe AG, Mosse Annoncen und Assa zu kontrollieren und sich an ersten Zeitungsverlagen («La Suisse», «Tribune de Genève») zu beteiligen. Die mageren Aktivdienstjahre überlebte sie mit Anstand.

Goldgrube und strategische Falle zugleich

Das von der Publicitas erfundene Pachtsystem war Goldgrube und strategische Falle zugleich. Vor allem kleine und mittlere Verleger verpachteten ihren Anzeigenteil oder deren überregionale Teile an die «P.». So sparten sie die Fixkosten einer eigenen Verkaufsorganisation, zahlten aber – je kleiner der Umsatz, desto höher der «P.»-Anteil – bis zu 40 Prozent Kommission. Vor allem die grossen Pachtverträge, zum Beispiel mit dem «St. Galler Tagblatt» oder der «National-Zeitung», brachten für beide Parteien glänzende Erträge.

Sodann war Publicitas «die Bank der Verleger», weil sie bei Krisen oder Nachfolgeregelungen bereitwillig mit billigen Krediten aushalf – immer gegen Verlängerung der Pachtverträge. Zugleich wachte sie mit Argusaugen über die Einhaltung der Tarife und führte einen ewigen Kleinkrieg mit den Kommissionen heischenden Werbeberatern.

Geduldetes Kartell

Interessant war, dass noch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts die Wettbewerbsbehörden die Publicitas weitgehend in Ruhe liessen. Dies war wohl dem Einfluss der Politiker geschuldet, die überall Lokal- und Regionalzeitungen als Plattformen für die Kommunikation brauchten. Dank der Publicitas, welche die (meist zu hohen) Tarife unnachgiebig durchsetzte, hat manche kleinere Zeitung überlebt.

Infolge der ewigen Streitereien zwischen den drei starken Aktionärsgruppen hatte die finanzstarke und marktführende «P.» (ab 1997 als Publigroupe Holding auftretend) keine Langzeit-Strategie. Ein Teil des jüngeren Managements war auch auf internationalem Niveau durchaus konkurrenzfähig und gerüstet für die digitale Welt. Ihnen aber standen die intern starken «Regionalfürsten» gegenüber, die Niederlassungsdirektoren, die meist taten, was ihre Pachtverleger befahlen. So blieb das Geschäft auf die Printmedien-Werbung beschränkt.

Während die rubrizierten Kleinanzeigen von Wohnungen, Fahrzeugen oder Arbeitsstellen von den Internet-Portalen abgeräumt wurden, liess die «P.» den Druckverlegern zuliebe viele grosse Chancen aus. Ihr wichtigstes Anliegen war es, sich mit den Pachtverlegern gut zu stellen. Diese waren mehrheitlich auf die Bewahrung des Bestehenden, also der Drucktechnologie, bedacht. Alles, was die Verleger als mögliche Konkurrenzierung beargwöhnten, wurde blockiert.

So geschah es, dass der Verwaltungsrat mehrmals den Einstieg in naheliegende neue Geschäftsfelder ausdrücklich ablehnte. Radio- und Fernsehwerbung, die Vermarktung digitaler Werbung, sodann der Bau eigener Portale – alles ging an der reichen alten Tante «P.» vorbei und läutete ihren Niedergang ein.

Karl Lüönd war Mitglied der Chefredaktion des «Blicks» sowie Chefredaktor und zeitweise Verleger der «Züri-Woche». Er verfasste zahlreiche Bücher.

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