Donnerstag, Mai 22

Der nigerianische Pop-Star reflektiert sein Leben und den Kampf seiner berühmten Familie gegen politische Missstände. In seiner Musik verbindet er Spiritualität mit seiner persönlichen Gefühlslage.

Er werde der Politik manchmal überdrüssig, sagt Femi Kuti. «Sie hat mich zu langweilen begonnen.» Der 62-jährige Musiker spricht im Video-Call aus Lagos. Er sitzt in seinem Übungszimmer und will auf sein Innenleben zu sprechen kommen, das sein neues Album präge. Selbstreflexion bietet sich für ein Werk mit dem Titel «Journey Through Life» an. Aber wenn ein Kuti davon redet, die Politik beiseitezulegen, dann hängt das gesamte familiäre Vermächtnis in der Luft. Und tatsächlich lässt sie sich auch im Gespräch nie ganz vergessen.

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Femi Kutis Vater war Fela Kuti, einer der bedeutendsten Musiker, den Afrika je hervorgebracht hat. Er war der Gründer des Afrobeats; einer Musik, die westafrikanische Rhythmen mit Jazz, Funk und Wechselgesängen in Pidgin-Englisch mischt (aber wenig mit den heute populären Afrobeats zu tun hat). An der internationalen Strahlkraft von Fela Kutis Musik lag es auch, dass in den siebziger Jahren Stars wie Paul McCartney oder Stevie Wonder nach Lagos pilgerten, um seine legendären Live-Shows zu erleben. Bis heute lassen sich Musiker aus aller Welt von Fela Kuti und seinen Nachkommen inspirieren.

Vater der Nation

In Afrika reicht Fela Kutis Einfluss allerdings weit über die Musik hinaus. Bis zu seinem Tod infolge seiner Aids-Erkrankung 1997 kämpfte der Musiker und Revolutionär für Menschenrechte und gehörte zu den schärfsten Kritikern der nigerianischen Regierung. Immer wieder wurde er unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet.

«Im Grunde war er der Vater der Nation», sagt Femi Kuti. Für ihn als Sohn war dieser Ikonenstatus immer eine Herausforderung: «In der Schule musste ich ihn verteidigen.» Kutis rebellischer Lebensstil war den Lehrern und vielen Eltern zunächst ein Dorn im Auge. «Und heute sagen mir die Leute: ‹Du wirst nie so gut sein wie dein Vater!›»

Femi Kuti lacht, als er davon erzählt, sagt aber auch, dass das Aufwachsen in dieser besonderen Familie in ihm und seinen Geschwistern viel Schmerz hinterlassen habe. Mit dem Song «Chop and Run» erinnert er an den Tag, an dem Hunderte von Soldaten Fela Kutis «Kalakuta-Republic»-Kommune stürmten. Um die sechzig Personen landeten im Spital. Fela Kuti landete im Gefängnis. Seine Mutter aber, selber eine einflussreiche Politikerin und Vorkämpferin für die Rechte der nigerianischen Frauen, wurde aus einem Fenster gestossen und starb an ihren Verletzungen.

Der Song «Chop and Run», erhitzt durch afro-kubanische Rhythmen, prangert in typischer Kuti-Manier abermals die Regierung an. Aber das thematische Spektrum auf Femi Kutis Album ist breit. «Oga Doctor» etwa handelt von sexuellen Übergriffen in Arztpraxen. Das Original stammt von 1992, das Lied hat aber bis heute nichts an Relevanz eingebüsst. Die anhaltende Misogynie sei ein globales Problem, das ihn rasend mache, sagt der sonst ruhige Femi Kuti. Feminismus ist ihm ein Anliegen: «Es geht darum, dass niemand unterdrückt wird, weder Frauen noch Männer. Es geht um Menschenrechte.»

Sein Verständnis für die Anliegen der Frauen kommt nicht von ungefähr. Femi Kutis Leben ist zwar geprägt von der Musik und dem Aktivismus seines Vaters, aber mindestens so sehr vom Gedankengut seiner weiblichen Verwandten. Bevor er sich als Teenager Egypt 80, der Band seines Vaters, anschloss, lebte der älteste Kuti-Sohn mit zwei Schwestern bei seiner Mutter. Sie und seine Grossmutter haben sein politisches und soziales Denken inspiriert.

In ihrem Sinne lehnt er Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken ab: «In einem traditionellen afrikanischen Zuhause geht es um die Gemeinschaft. Man sagt nicht ‹mein Kind›, man sagt ‹unser Kind›. Weil jede und jeder für dieses Kind verantwortlich ist. Weil alle für alles verantwortlich sind.» Daraus würde er gerne eine Lösung für das politische Chaos in der Welt ableiten: «Wir brauchen ein Regierungssystem, in dem es nicht um Mehrheiten geht.» Er sei skeptisch gegenüber den Demokratien, in denen Zeit und Energie in Machtkämpfen verlorengingen. Vielmehr müsse man Harmonie anstreben – im Sinne einer einenden Spiritualität.

Täglich wird geübt

Als sein Vater 1984 im Gefängnis landete, vertrat Femi Kuti ihn als Bandleader bei Egypt 80. Er emanzipierte sich aber, indem er 1986 eine eigene Band gründete: The Positive Force. Um eine künstlerische Abkehr ging es dabei nicht. Femi Kuti hält die Fahne des Afrobeats bis heute hoch. Aber er entwickelte die Musik seines Vaters weiter.

Täglich übt er acht Stunden lang seine Instrumente: «Morgens drei Stunden das Saxofon, nach dem Mittag eine Stunde Klavier – was ich hasse, weil ich ein schrecklich schlechter Pianist bin –, und von 15 bis 19 Uhr Trompete.» Jeden Sonntagabend steht er mit seiner Band im «New African Shrine» auf der Bühne, dem Musikklub, den er vor 25 Jahren mit seiner Schwester Yeni gründete – in Erinnerung an Fela Kutis legendären «Shrine».

Live-Musik, die eine besondere Energie entwickelt – sie prägt auch das neue Album. So entfalten Songs wie das wütende, Punk-gefärbte «Shotan» über gut fünf Spielminuten einen fiebrigen Sog. Auf «Oga Doctor» entfesselt die Band den Funk. «Last Mugu» wiederum webt psychedelische Instrumentalpassagen und Chorstimmen um Femi Kutis charakteristischen Sprechgesang.

«Work on Myself», das letzte Lied auf «Journey Through Life», soll eine Gedächtnisstütze sein: Die Arbeit an sich selbst solle dazu dienen, dass er mit der Musik über sich hinauswirken und Liebe und Frieden verbreiten könne, sagt der Künstler. Das Innenleben pflegen, um besser nach aussen zu wirken: Femi ist eben doch ein typischer Kuti.

Femi Kuti: Journey Through Live (Partisan Records).

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