Donnerstag, Oktober 10

Über den epischen Kampf um Radio Grischa. Und das Überleben einer Dynastie.

Das Reich namens Südostschweiz wird aus dem Büro des abgetretenen Königs verteidigt. Es liegt im obersten Stock eines Beton-Glas-Gebäudes, am Ende eines stillen Ganges. Hier bestimmte der Verleger Hanspeter Lebrument, 83, über die Medien von Somedia: Zeitungen, Radio, Fernsehen. Seit er vor einigen Jahren krank wurde und sich zurückziehen musste, ist im Büro kein Stuhl ausgewechselt worden. Und in diesen Tagen wirkt es auch abgesehen davon, als spukten Geister der Vergangenheit durch das Haus. Der Angriff eines alten Rivalen muss abgewehrt werden.

Hanspeter Lebrument war nicht nur König, sondern auch Krieger. Wurde ihm jemand gefährlich, hat er «zurückgepfeffert». Er sagte: «Kriege haben mich abgehärtet. Entweder zerbrechen Sie, oder Sie werden härter.» So baute er sich sein Medienreich. In den siebziger Jahren war er als mittelloser Mann nach Graubünden gekommen. Er war ein unerschrockener Journalist, der sich mit den Mächtigen im Kanton anlegte. Irgendwann gehörte ihm der Verlag – nach einem «unanständigen Zug» gegen einen damaligen Eigentümer, wie er selbst sagte.

Er übernahm Medien in Graubünden, Glarus, auch im Sankt-Gallischen. Journalisten, die ihn porträtieren wollten, führte er auf einen Gipfel. Dann sagte er: «Mit meinen treuen Verbündeten, den Bergen und den Rätoromanen, verdiene ich Kohle.» Bald war er Monopolist, und er freute sich darüber: «Ein Monopol zu haben, ist doch etwas Herrliches!» Als er all seine Marken bündelte, nannte er sie «Südostschweiz». Es klang, als gehöre ihm nicht ein Medienhaus, sondern ein Landesteil.

Mehrfach erklärte er, Freunde habe und brauche er nicht. Aber jetzt, da er als König abgedankt hat, holt eine seiner aufwendig gepflegten Feindschaften seine Kinder ein.

«Rache»

Das Büro des Vaters hat inzwischen der Sohn bezogen – er findet es «viel zu gross». Seit dem Jahr 2021 präsidiert Silvio Lebrument, 56, den Verwaltungsrat von Somedia. Er hat sich entschieden, die ausgestellten Erinnerungen noch nicht aus dem Büro zu räumen. Hier kämpft er jetzt den Kampf seines Vaters. «Es geht um eine Retourkutsche, um Rache», sagt Silvio Lebrument.

Im Januar gab das Bundesamt für Kommunikation bekannt, dass Radio Südostschweiz von Somedia ab dem nächsten Jahr keine Konzession und keine Gebührengelder mehr erhält. Es geht um etwa drei Millionen Franken jährlich. Das Geld bekommt künftig Roger Schawinski, der ewige Radiopionier aus Zürich. Schon im Jahr 2007 hatte er versucht, Hanspeter Lebrument in dessen Subventionsgebiet Südostschweiz zu besiegen. In einem jahrelangen Rechtsstreit verteidigte sich Lebrument aber erfolgreich. In der Medienbranche hiess es, die beiden Männer hätten Krieg. Nun sind sie alt geworden, aber Schawinski hat nicht aufgehört. In dem Moment, als sie in Chur nicht mehr damit gerechnet hatten (und als sich Lebrument krankheitsbedingt nicht mehr wehren konnte), hat Schawinski doch noch zugeschlagen. Er und sein Bündner Partner Stefan Bühler, ein früherer Kadermann von Somedia, haben bereits die Räume reserviert, in denen einst der frühere Lebrument-Sender Radio Grischa eingemietet war. Und den Namen annektiert: In Chur haben sie im Sommer «Radio Grischa . . . scho bald do!» plakatieren lassen.

Neben Silvio Lebrument sitzt Susanne Lebrument, 52, seine Schwester, die Delegierte des Verwaltungsrats. Sie hat Psychologie studiert, und sie wollte ein Leben weit weg von der Südostschweiz führen, in New York zum Beispiel. Aber dann ist sie ins Medienhaus zurückgekehrt, um das Familienerbe zu bewahren. In diesen Tagen liest sie «Die Schawinski-Methode – Erfolgsrezepte eines Pioniers». Darin fragt sich Schawinski: «Weshalb ist mir das alles gelungen?» Es ist nicht das einzige Buch, das sie von ihm kennt. «Ich will verstehen, wie er funktioniert», sagt sie.

Schawinskis persönliche Angriffe gegen sie und ihren Bruder findet sie widersprüchlich. «Im Buch schreibt er, als Chef von Sat 1 habe er Krawallsendungen gestrichen, weil das nicht sein Stil sei. Jetzt macht er Krawall gegen uns.» Sie glaubt, er sei besessen von dem Lied, das zu seinem Lebensmotto geworden sei: «You can get it if you really want!»

Schawinskis gerechter Krieg

Roger Schawinski ist im Juni 79 Jahre alt geworden, aber er fängt jetzt noch einmal von vorne an. In diesem Sommer sitzt er auf Ibiza in seinem Ferienhaus, schaut aufs Meer – und arbeitet. Am Telefon klingt er, als könne ihm nichts Besseres passieren.

Im Jahr 1979 bestieg Schawinski den Pizzo Groppera, um von dort aus mit seinem Radio 24 in die Schweiz hineinzusenden. So brach er das Monopol des schweizerischen Rundfunks. Der Aussenseiter, der es allen zeigt: Das ist der Mythos, den er seither immer wieder erneuert. Bis heute moderiert er mehrere Sendungen bei Radio 1, seinem Sender «nur für Erwachsene».

Für sich selbst scheint er aber eine Quelle der ewigen Jugend gefunden zu haben. Er ist bis heute der produktivste Talker der Schweiz. Regelmässig lässt er sich überwältigen von seinen eigenen Emotionen, sie scheinen ihn immer wieder neu zu vitalisieren. In der wöchentlichen Streitshow «Roger vs. Markus» reagiert er immer noch komplett entgeistert, wenn Markus Somm wieder einmal Donald Trump verteidigt. Im nächsten Moment ist er komplett hingerissen von einer seiner Ideen. In Graubünden hat er sich Subventionen erkämpft, über die er sich vorher lustig gemacht hat – aber Schawinski ist kein Mann der Ambivalenzen, er führt immer einen gerechten Krieg.

Seine Biografie erzählt er als Heldengeschichte, an der ihn jede Wendung begeistert. «Die Lebruments waren verblüfft, ja schockiert, dass ich noch einmal versucht habe, ihr Bündner Monopol zu brechen», sagt Schawinski. «Sie dachten, ihr Vater habe ihnen nicht nur die Firma, sondern vor allem Millionen-Subventionen vererbt. Aber dann kam ich mit meinem Bündner Partner!» Er lacht.

Grischa gegen Grischa

Im Frühling hat er bekanntgemacht, dass seine polnisch-jüdische Familie vor dem Ersten Weltkrieg nach Chur gekommen war. Für eine Lokalzeitung posierte er an der Lukmaniergasse, wo sein Vater aufgewachsen war. Seine Konklusion: «Die Schawinskis waren lange vor den Lebruments in Chur.» Seit April kämpft er dafür, dass sein neuer Sender Radio Grischa heissen darf – so wie einst das Radio der Lebruments, bevor sie es in Radio Südostschweiz umbenannten. Schawinski hat «internationale Recherchen» vorgelegt, die beweisen sollen, dass Somedia den Namen Radio Grischa seit Jahren nicht mehr benütze und die Markenrechte damit verwirkt habe. Die Lebruments wollen das Gegenteil beweisen. Anwälte sind eingeschaltet.

Im Medienhaus in Chur steht an den Studiowänden: Radio Südostschweiz. Im Jahr 2015 hat der damalige Geschäftsführer erklärt, der alte Name ergebe keinen Sinn mehr, seit man auch im Glarnerland präsent sei. Inzwischen macht man aber alles, um den damaligen Entscheid zu kompensieren. Seit August gibt es einen neuen Webchannel namens Radio Grischa.

«Völlig grotesk», kommentiert Roger Schawinski. «Bisher haben sie alles gemacht, um die Marke vergessen zu machen.»

Im Gegenteil, heisst es in Chur. Im Keller gebe es noch einiges an Grischa-Werbematerial. Silvio Lebrument sagt zudem, das Logo sei «in der Verbreitung» nie verschwunden: auf UKW-Hinweistafeln, in Autoradios. Zudem habe man den Slogan «Ds Radio vu do» nie aufgegeben. Er holt seinen Schlüsselbund aus dem Hosensack – daran baumelt ein Anhänger mit dem alten Grischa-Logo.

Die Lebruments nennen Schawinskis Projekt konsequent Radio Alpin, wie es im Konzessionsgesuch stand. Schawinski ist stolz auf seine Radio-Grischa-Plakate. Er wollte den Lebruments per superprovisorischer Verfügung verbieten, den neu eingetragenen Firmennamen Radio Grischa AG zu verwenden. Er scheiterte bisher, das Verfahren laufe aber weiter, sagt er. Die Lebruments ihrerseits erklären, sie freuten sich darüber, dass Schawinski für Radio Grischa werbe, das ja ein Somedia-Radio sei. Ihnen gehören die Rechte an radiogrischa.ch, ihm an radiogrischa.com.

Sowohl Schawinski als auch die Lebruments nutzen ihre Kanäle: Er frohlockt bei Radio 1, sie schalten in ihren Zeitungen seitenweise Inserate in eigener Sache.

Neunzig Prozent Psychologie

Wäre das alles dem Vater auch passiert? Der Bündner Journalist Andrea Masüger war lange Stellvertreter von Hanspeter Lebrument. Er überlegt einen Moment, dann sagt er: «Er hätte wohl mehr Guzzi gegeben, anders lobbyiert und ein riesiges Brimborium veranstaltet.» Seine Kinder und ihr CEO Thomas Kundert seien entspannter, kooperativer, das komme in Graubünden eigentlich gut an.

Aber die Lebruments haben von ihrem Vater nicht nur ein Medienhaus übernommen, sondern auch die offenen Rechnungen seiner alten Gegner – «im Kampf um das Radio geht es zu neunzig Prozent um Psychologie», sagt Masüger, «um gegenseitige narzisstische Kränkungen aus der Vergangenheit». Es gehört alles zum Erbe.

Alte Gegner, neue Gegner

Hanspeter Lebrument war einer der letzten Feldherren im Verlagswesen. Seinen ewigen Abwehrkampf um die Südostschweiz kommentierte er mit dem Satz: «Wer mich verjagen will, dem haue ich eins auf den Deckel.» Er führte seine Kinder in die Druckerei, er liebte seine Zeitungen. In seinen letzten Jahren als Verleger stand es nicht gut um Somedia – er war ein Verleger der alten Welt.

Im Jahr 2017 war nicht klar, ob die Familie die Firma würde halten können. «Das Schiff war in schwerer Schieflage», sagte Susanne Lebrument einmal, «als Familie hatten wir keinen Kurs, keine Strategie. Wir stritten uns in der Kombüse.» Zu den alten Gegnern des Vaters waren Gegner einer neuen Zeit gekommen, die sich nicht so leicht verjagen liessen. Google, Spotify, die Transformation der Medien. Zudem war die Familie Lebrument mit sich selbst beschäftigt. Die Ablösung von der «übermächtigen Vaterfigur» (Susanne Lebrument) war schwierig. Irgendwann einigte man sich aber auf eine neue Führungsstruktur. Jetzt ist Somedia ein Medienhaus, das einerseits in den Bündner Tälern über Gemeindeversammlungen berichtet und gleichzeitig auf Instagram erfolgreich sein will.

Silvio Lebrument sagt, der Monopolvorwurf komme aus einer anderen Zeit. «In vielen Regionen gibt es inzwischen nicht einmal mehr ein Monopol» – weil die Medien einem Verleger in Zürich oder in Aarau gehörten. «Jetzt schwächt man ausgerechnet einen der letzten kleineren Verlage.»

In den schwierigsten Jahren sah Hanspeter Lebrument keine Zukunft mehr: Die Hotels schliessen, die Jungen wandern ab, die Zeitungen werden abbestellt, weil die Leute wegsterben – so erzählte er es einmal am Telefon. Inzwischen wird bei Somedia wieder in die Zukunft investiert. Zahlen publiziert man nicht, aber man habe sich erholt. Zuletzt kam ein Digitalprofi aus Deutschland, in den man grosse Hoffnungen setzt.

In diesem Moment kehrten die Geister der Geschichte zurück: in der Person von Roger Schawinski.

Schlacht und Krieg

Es ist der Kampf um eine Konzession der Zukunft, der mit Belegen aus der Vergangenheit geführt wird. Schawinski hat die Biografie von Hanspeter Lebrument gelesen, um darin Argumente gegen dessen Kinder zu finden. Und die Lebruments reihen sich mit ihrem Abwehrkampf um die Südostschweiz in eine Tradition ein, die ihr Vater begründet hat.

Silvio Lebrument, der seit Jahrzehnten die elektronischen Medien von Somedia verantwortet, ging nach dem Konzessionsentscheid auf die Strasse, um Unterschriften für eine Petition zu sammeln. Da habe ihm eine Frau gesagt: «Die Unterländer nehmen uns schon die Häuser weg – und jetzt auch noch das Radio.» Sie sammelten 12 907 Unterschriften und übergaben die Kartonschachteln auf dem Bundesplatz. Zudem ist eine Beschwerde am Bundesverwaltungsgericht hängig.

Susanne Lebrument hat die Radio-1-Erfolgsrechnungen der vergangenen Jahre recherchiert und hohe Verluste kumuliert. Zudem erwähnt sie den Personalabbau, den Schawinski zuletzt bekanntgeben musste. «Sein Leistungsausweis ist bescheiden», sagt sie, «er kann die Subventionen sicher gut brauchen.» Als der Entscheid über die Konzession kam, hat sie sich Vorwürfe gemacht: «Hätten wir mehr lobbyieren müssen? Am Ende sind immer wir als Familie verantwortlich. Es tat mir auch für Papa leid.» Dann hat sie sich wieder gefangen. «Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg.» Es ist ein Satz aus dem Erbe des Kriegers.

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