Sonntag, April 20

Auch erblich bedingter Haarverlust ist behandelbar. Die Dermatologin Natalie Garcia Bartels sagt, was Männer erwarten können und wann sie zum Arzt gehen sollten.

Frau Garcia Bartels, bis zu 80 Prozent der Männer bekommen im Laufe ihres Lebens Haarausfall. Müssen sie sich damit abfinden?

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Natalie Garcia Bartels: Nein, die meisten müssen sich damit nicht abfinden. Es gibt inzwischen etablierte Behandlungsstrategien, mit denen wir den Haarausfall aufhalten können. Übrigens sind mit diesen 80 Prozent nur Männer gemeint, die einen erblich bedingten Haarverlust haben. Es gibt aber noch weitere Gründe, aus denen die Haare ausfallen.

Zur Person

Debora Mittelstaedt

Prof. Dr. med. Natalie Garcia Bartels

Dermatologin mit einem Schwerpunkt auf Haarerkrankungen. Sie unterrichtet an der Charité-Universitätsmedizin Berlin die Fachbereiche Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Kürzlich ist ihr Buch «Alles, was Sie schon immer wissen wollten über Haupt und Haar, aber sich nie zu fragen trauten» im Gutkind-Verlag erschienen.

Stimmt es, dass der erblich bedingte Haarausfall mit Testosteron zu tun hat?

Das stimmt, aber es ist nicht so, dass diese Männer zu viel Testosteron haben. Sondern die Haarfollikel reagieren bei Männern mit erblich bedingtem Haarausfall in bestimmten Zonen auf dem Kopf empfindlich auf das Hormon. Sie beenden ihr Wachstum frühzeitig und fallen aus. Durch ein Enzym wird das Testosteron an diesen Haarfollikeln übrigens in ein noch stärkeres männliches Hormon umgewandelt, das Dihydrotestosteron. Darauf reagieren die Follikel ungünstigerweise noch empfindlicher.

Die Haarfollikel sitzen unter der Haut und lassen unsere Haare wachsen, richtig?

Genau. Und die Follikel, die empfindlich auf Testosteron reagieren, verkleinern sich mit der Zeit. Dadurch wachsen die Haare immer dünner nach, bis irgendwann nur noch ein fast unsichtbarer, feiner Flaum da ist. Typischerweise bilden sich beim erblich bedingten Haarausfall dann Geheimratsecken oder eine Halbglatze, der Hinterkopf hingegen ist nicht betroffen.

Und wenn der Haarausfall nicht vererbt wurde? Welche Gründe gibt es dann?

Es gibt seltene Haarerkrankungen, die einem erblich bedingten Haarausfall manchmal ähnlich sehen können. Bei dem sogenannten entzündlichen Haarausfall greift das Immunsystem die Haarfollikel an. Sie können sogar vernarben. Wenn das geschieht, wachsen an den entsprechenden Stellen gar keine Haare mehr. Bei dieser Erkrankung spüren die Betroffenen zum Teil einen starken Juckreiz auf dem Kopf. Und dann gibt es noch den kreisrunden Haarausfall.

Bei dem die Haare für gewöhnlich – wie der Name sagt – in kreisrunden Formationen ausfallen, richtig?

Genau, das liegt auch an einem Angriff des Immunsystems auf die Haarfollikel. Hier besteht aber die Chance, dass die Haare wieder nachwachsen. Fallen die Haare hingegen überall auf dem Kopf aus, handelt es sich um diffusen Haarausfall. Der kann auf verschiedene Erkrankungen hindeuten, zum Beispiel auf ein Problem mit der Schilddrüse. Auch ein Mangel an Vitaminen und anderen Nährstoffen kann dahinterstecken. Deshalb sollte diese Art des Haarausfalls unbedingt abgeklärt werden.

Kann man den Vitaminmangel nicht auch selbst in den Griff bekommen? Es gibt etliche Nahrungsergänzungsmittel, die speziell gegen Haarausfall verkauft werden.

Selbst wenn der Haarausfall wirklich an einem Mangel liegt, bringt es nichts, irgendein Vitaminpräparat zu schlucken. Man sollte mit einer Blutuntersuchung herausfinden, was genau fehlt, und das dann gezielt substituieren. Nimmt man längerfristig irgendwelche Tabletten ein, verliert man nur wertvolle Zeit für die Behandlung.

Was ist mit Shampoos gegen Haarausfall, die zum Beispiel Koffein enthalten? Sind die auch sinnlos?

Wenn Ihnen die Haare ausfallen, weil Sie zum Beispiel Eisenmangel haben, wird das Koffeinshampoo jedenfalls nicht helfen. Aber grundsätzlich finde ich, dass es ein interessantes Produkt ist. Denn Koffein kann in den Haarfollikel eindringen. Wichtig ist, sich bei der Einwirkzeit, der Dosis und der Häufigkeit, mit der man das Produkt aufträgt, an die Angaben des Herstellers zu halten. Einschränkend muss ich aber sagen: Es gibt noch nicht genügend Studien zu Koffeinshampoos. Sie gehören nicht zu den etablierten Behandlungsmethoden. Ohnehin sollte man wirklich erst einmal herausfinden, weshalb der Haarausfall auftritt, damit man ihn gezielt behandeln kann.

Wie kommen Sie zur richtigen Diagnose?

Wichtig ist die Vorgeschichte: Nimmt der Mann Medikamente, die zu Haarausfall führen können, gibt es Erkrankungen, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem lichter werdenden Haar stehen? Dann untersuche ich den Patienten, greife in die Haare, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob das Volumen am Oberkopf anders ist als am Hinterkopf. Denn der Hinterkopf ist ja beim vererbten Haarausfall nicht betroffen. Dann ziehe ich beherzt an den Haaren, um zu schauen, wie locker sie sitzen und wie viele Haare ich am Ende in der Hand halte. Das ist natürlich ein subjektiver Test, aber er bietet eine erste Einschätzung, ob die Haare wirklich am gesamten Kopf leicht ausziehbar sind oder nur an bestimmten Stellen. Mit der Lupe blicke ich auf die Kopfhaut. Dabei erkenne ich, ob es Haaröffnungen gibt, ob Haare herauswachsen und wie dick sie sind. Darüber hinaus kann eine computerassistierte Haardiagnostik hilfreich sein.

Klingt nach Detektivarbeit.

Ja. Man muss viel gesehen haben, um die richtige Diagnose zu stellen, und zum Teil liegt eine Kombination aus verschiedenen Arten des Haarverlusts vor.

Wie behandeln Sie Männer, die einen erblich bedingten Haarausfall haben?

Zur Standardtherapie gehört Minoxidil. Es sorgt unter anderem dafür, dass die Kopfhaut besser durchblutet wird. Man muss es zweimal täglich auf den Kopf auftragen. Und dann gibt es noch Finasterid. Das wird nur einmal am Tag aufgetragen. Man kann es aber auch als Tablette einnehmen. Es verhindert, dass das Testosteron am Haarfollikel in das stärker wirkende Dihydrotestosteron umgewandelt wird.

Finasterid hat aber auch unangenehme Nebenwirkungen für Männer, richtig?

Ja, sie sind zwar nicht sehr häufig, aber sie können auftreten. Das sind vor allen Dingen die erektile Dysfunktion und der Libidoverlust, aber auch Depressionen.

Was können Männer von Minoxidil oder Finasterid erwarten?

Sie sollten in Etappen denken. Das erste Ziel ist, dass der Haarausfall zum Stillstand kommt, dass der Status quo eingefroren wird. Das gelingt bei den meisten Männern und dauert rund drei Monate.

Wie geht es dann weiter?

Ich würde nach sechs Monaten schauen, ob die Haare sogar dichter nachwachsen. Das ist aber nicht bei allen Personen der Fall. Deshalb ist es so wichtig, dass Männer so früh wie möglich eine Behandlung beginnen, wenn sie sich nicht mit ihrem Haarverlust abfinden wollen. Zusätzlich können pflanzliche Wirkstoffe und die Eigenbluttherapie die Behandlung unterstützen. Allerdings sollte die Wirksamkeit dieser Methoden wissenschaftlich noch genauer untersucht werden.

Sagen wir einmal, der Mann hat sein persönliches Ziel erreicht, er verliert zumindest nicht noch mehr Haare. Muss er sich das Mittel bis an sein Lebensende auf die Kopfhaut schmieren?

Tatsächlich können wir das genetische Programm, das beim erblich bedingten Haarausfall aktiv ist, nicht abschalten. Wird die Behandlung abgesetzt, fallen die Haare womöglich genauso stark aus wie vor dem Beginn der Therapie. Aber wir wissen auch, dass das genetische Programm nicht ständig auf Hochtouren läuft. Das sieht man ja auch im eigenen Umfeld: Ein Mann bekommt vielleicht mit Anfang zwanzig erste Geheimratsecken, eine Weile lang bleibt der Zustand stabil, etwa zehn Jahre später bekommt er den nächsten Schub und so weiter.

Was also empfehlen Sie?

Der Mann sollte die Behandlung mindestens zwei Jahre lang durchziehen, um einen guten Therapieeffekt zu haben und den Haarverlust erst einmal zu stoppen. Dann kann er versuchen, das Mittel probeweise abzusetzen. Sobald er einen erneuten Haarverlust bemerkt, kann er die Medikamente wieder einsetzen.

Manche Männer entscheiden sich für eine Haartransplantation. Kehrt damit das Volumen ein für alle Mal zurück?

Damit behandelt man nicht das Fortschreiten des erblich bedingten Haarausfalls, und man verbessert auch nicht das Wachstum der betroffenen Haare. Aber es ist zumindest eine optische Verbesserung des Zustands. Man verpflanzt dabei Haare vom Hinterkopf nach vorne. Diese Haare sind unempfindlich gegen Testosteron, und das bleibt auch so, nachdem sie umgesiedelt wurden.

Hat man lichte Stellen am Hinterkopf, wenn die Haare entnommen und an andere Stellen gesetzt werden?

Nein, es werden an verschiedenen Stellen kleinste Einheiten an Haaren entnommen, damit das möglichst nicht sichtbar ist. Aber natürlich muss es hinten am Kopf noch genügend Haare geben, damit das klappt. Und man muss bedenken: Wenn die Haare neu eingesetzt sind, ist dort eine Mischung aus Haaren, die unempfindlich gegen Testosteron sind, und Haaren, die nach wie vor sehr empfindlich darauf reagieren. Man sollte also trotz Haartransplantation versuchen, den Haarausfall mit einer Therapie aufzuhalten, damit das Ergebnis lange schön bleibt.

Zum Schluss möchte ich einen Tipp zitieren, den viele Menschen kennen: Werden die Haare dünner, sollte man sie abrasieren, denn dann wachsen sie dicker nach. Geht es wirklich so einfach?

Das ist tatsächlich ein weitverbreiteter Mythos. Aber wie soll das denn funktionieren? Haare sind tote Hornfäden, und die kann man durch Schneiden oder Rasieren nicht anregen. Das Wachstum geschieht im Haarfollikel unter der Haut. Deshalb sollte man Haarverlust ärztlich abklären lassen. Je früher, desto besser.

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