Es ist das bauliche Symbol der Hochschule, geschaffen von den beiden Grossmeistern Gottfried Semper und Gustav Gull. Hinter den Fassaden wurde seither viel verändert, doch künftige Umbauten sollen dem ETH-Hauptgebäude ein kohärentes Erscheinungsbild zurückgeben.

Im Februar 1862 schrieb das «Zugerische Volksblatt» über den Baufortschritt am Eidgenössischen Polytechnikum hoch über Zürich: «Es wird das prachtvollste Gebäude werden, das die Schweiz aufzuweisen hat. Meister dieses Gebäudes ist Professor Semper in Zürich, den die Münchner Akademie als einen der ersten jetzt lebenden Architekten bezeichnet.» 1854 wollte der Bundesrat als Schlussstein des neuen Bundes zwei eidgenössische Hochschulen gründen: eine Universität und ein Polytechnikum. Nach dem Widerstand der Universitätskantone beschloss das Parlament jedoch lediglich die Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der Boom der Eisenbahn und die Industrialisierung riefen nach Ingenieuren und Technikern – ein Mangel, den Alfred Escher, der mächtige Zürcher Eisenbahnunternehmer, Wirtschaftsführer und Politiker, besonders spürte. Er war eine der treibenden Kräfte hinter dem Vorhaben, und so war es folgerichtig, die Schule in Zürich anzusiedeln. Im Gegenzug verpflichtete sich der Kanton, das Gebäude zur Verfügung zu stellen.

Als Standort waren der Bereich der früheren Festungsanlagen über der Stadt und die Stadthausanlage am See im Gespräch. Der günstigere Preis gab den Ausschlag für den zwar peripheren, dafür wirkungsvolleren, da höher gelegenen Standort. Weil ein Wettbewerb kein befriedigendes Ergebnis gebracht hatte, wurden der Architekturprofessor Gottfried Semper und der Staatsbaumeister Johann Caspar Wolff 1858 direkt mit der Planung betraut.

Doppelte Nutzung

Im Neubau für die eidgenössische Schule sollte auch die kantonale Universität definitive Räume erhalten. So konzipierte Semper ein aus mehreren Teilen zusammengefügtes Ganzes. In dem gegen die Stadt gerichteten Haupttrakt mit dem markanten Mittelrisalit waren die Verwaltung des Polytechnikums und die repräsentative Aula beider Schulen untergebracht. Der südliche, zum See gerichtete Trakt war der Universität vorbehalten. Die beiden anderen Flügel gegen die Tannenstrasse und die Rämistrasse nahmen die Unterrichtsräume des Polytechnikums auf.

In die Mittelachse des Hofes setzte Semper ein eingeschossiges Bauwerk für die Sammlung mit Gipsabgüssen antiker Skulpturen. Die Natursteinarbeiten wurden in Ostermundiger Sandstein ausgeführt. Doch um zu sparen, wurde das Mauerwerk in den oberen Fassadenpartien lediglich verputzt. Gespart wurde auch bei der Ausmalung. Doch immerhin konnte Semper die Nordfassade mit grossflächigen Sgraffiti schmücken. 1864 war das Gebäude im Wesentlichen vollendet, die letzten Arbeiten zogen sich bis 1868 hin.

Das «Poly» war das erste von drei Zürcher Bauwerken, bei denen Alfred Escher seine Hände im Spiel hatte. 1871 folgte der neue Bahnhof für Eschers Nordostbahn (NOB), 1877 der Hauptsitz der von ihm gegründeten Schweizerischen Kreditanstalt. Bis heute zeugen die drei Bauten von den Voraussetzungen, die Zürichs Aufstieg zum Wirtschaftszentrum ermöglichten: Bildung, Verkehr und Finanzen.

Gulls grosser Ausbau

Gemäss dem Aussonderungsvertrag zwischen dem Bund und dem Kanton übernahm 1908 die Eidgenossenschaft das Gebäude des Polytechnikums inklusive Universitätstrakt. Der Architekturprofessor Gustav Gull erhielt den Auftrag für die Erweiterung des 1911 in Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) umbenannten Polytechnikums. Gull liess den Altbau auf drei Seiten unberührt. Auf der Rückseite griff er umso stärker ein und fügte dem Ostflügel eine zusätzliche Raumschicht an.

Diese erweitert sich gegen die Rämistrasse zu zwei mächtigen Gebäudeflügeln, die einen schlossartigen Ehrenhof fassen. In dessen Schwerpunkt setzte Gull eine kuppelbekrönte Rotunde mit dem Auditorium maximum und dem Lesesaal der Bibliothek. Die einstige Antikensammlung erweiterte er zu einer über alle Geschosse reichenden, von Hörsälen flankierten Haupthalle.

Beim Semper-Bau musste der Bund reparieren, was der Kanton seinerzeit gespart hatte. Den stark verwitterten weichen Sandstein der Fassaden ersetzte Gull durch eigens entwickelte Kunststeinelemente. Die Fundation und die Tragkonstruktion des Altbaus mussten verstärkt, teilweise ersetzt werden. 1925 waren die gut zehn Jahre dauernden Bauarbeiten abgeschlossen. Das ETH-Hauptgebäude hatte seine definitive Gestalt erhalten. Die Kuppel – geplant als sichtbare Betonrippenkonstruktion, schliesslich mit Ziegeln eingedeckt – ist bis heute das Wahrzeichen der ETH.

Ab den 1940er Jahren wälzte die ETH Ausbaupläne. 1963, parallel zum Aufbau der Aussenstation Hönggerberg, begann die Planung für den Vollausbau des Hauptgebäudes. Mit Alfred Roth und Charles-Edouard Geisendorf waren wieder zwei Architekturprofessoren am Werk. Roth erweiterte die Bibliothek, stockte Gulls Hörsäle auf und erneuerte das Auditorium maximum. Geisendorf überdeckte die beiden Innenhöfe und baute sie mit weiteren Hörsälen und Galerien aus. Auf den Mittelteil setzte er das Dozentenfoyer, unter dem Vorhof an der Rämistrasse baute er eine zweigeschossige Garage. Nach aussen sichtbar sind der Neubau der Mensa und des Mehrzweckgebäudes unter der grossflächigen Polyterrasse.

Dem 1978 abgeschlossenen Ausbau fielen die beiden in den Hofraum ragenden Treppenhäuser der Seitenflügel zum Opfer. Sonst blieb die von Semper und Gull geschaffene Raumstruktur in ihren Grundzügen erhalten. Allerdings beeinträchtigen die Hofeinbauten die natürliche Belichtung, und die Orientierung im komplexer gewordenen Gebäude wurde schwieriger.

Obschon die Denkmalpflege in die Planung involviert war, sind die Eingriffe bis heute umstritten. Rückgängig machen kann man sie kaum mehr: Zu hoch wären die Kosten, zu gross wäre der Raumverlust für die Schule. Ohnehin lohnt es sich, den bisher auf die Grossmeister Semper und Gull fokussierten Blick auf ihre Nachfolger Roth und Geisendorf auszuweiten. Dann erkennt man die Qualitäten ihres Werks.

Insbesondere Charles-Edouard Geisendorf, der in bis dahin nicht bebauten Bereichen wirkte, schuf mit den Hofeinbauten ein eigenständiges Werk mit sorgfältiger Detaillierung und Materialisierung. Das grossvolumige Mensa- und Mehrzweckgebäude hat Geisendorf gut in das Terrain eingepasst. Einzig die verschlungene Anbindung ans Hauptgebäude erinnert mitunter an Piranesis «Carceri».

Zwischen Nutzung und Denkmalpflege

Dennoch hinterlässt ein Rundgang durch das Hauptgebäude einen zwiespältigen Eindruck. Problematisch sind die Oberflächen, die Farben und das künstliche Licht. Punktuelle Anpassungen an veränderte Bedürfnisse, an den Zeitgeschmack oder neue Vorschriften liessen das Ganze in Fragmente zerfallen. Semper war der Umgang mit Farbe zentral. Umso seltsamer muten heute blendend weiss gestrichene Korridore an. Und während in den erdgeschossigen Seitenschiffen der Haupthalle Fluoreszenzröhren gleissendes Licht verbreiten, dämmert der hohe Raum im Zwielicht vor sich hin.

Die ETH ist sich der Problematik bewusst. Mehrmals wurden Leitbilder erarbeitet und Gestaltungsgrundsätze festgeschrieben. Die meisten Vorhaben blieben Fragment, grosse Pläne scheiterten an den knapper werdenden Mitteln. Nun hat die Schulleitung für die Zukunft des Hauptgebäudes Handlungsfelder formuliert und priorisiert. Einige Bereiche des Gull-Baus atmen bereits eine neue Atmosphäre, und demnächst wird nach sorgsamer denkmalpflegerischer Sanierung die Semper-Aula eingeweiht.

Für künftige Sanierungsschritte erarbeitet Ruggero Tropeano, ein erfahrener Architekt im Umgang mit historischen Bauten, zurzeit ein «Analyse- und Zielstellungsbuch». Für die Schule ist das Hauptgebäude nach wie vor das intensiv genutzte Herz. Diese Rolle soll es weiterhin spielen. Doch nicht nur nutzungsmässig, sondern auch baulich ist das «HG» das Symbol für eine Schule, deren Renommee weit über ihr Land hinausstrahlt: Es ist das Bundeshaus der Bildung.

Exit mobile version