Mittwoch, März 19

Die ESA hat die ersten Daten ihres neuen Weltraumteleskops veröffentlicht. Sie zeigen, welche Formenvielfalt es im Universum gibt.

26 Millionen Galaxien in nur einer Woche: So lautet die Ausbeute des europäischen Euclid-Teleskops, das sich seit Juli 2023 im Weltraum befindet. Am Mittwoch hat die Europäische Weltraumorganisation (ESA) die Daten veröffentlicht, die in der ersten Woche gesammelt wurden. Gleichzeitig wurden 34 wissenschaftliche Publikationen eingereicht, die auf diesen Daten basieren. Sie lassen erahnen, welche Erkenntnisse in den nächsten sechs Jahren von dem 1,4 Milliarden Euro teuren Weltraumteleskop zu erwarten sind, zu dem auch Schweizer Forscher massgeblich beigetragen haben.

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Das Euclid-Teleskop soll ergründen, woraus die Dunkle Materie und die Dunkle Energie bestehen. Diese sind die treibenden Kräfte hinter der Entwicklung unseres Universums. Dafür wird das Teleskop in den nächsten sechs Jahren ein Drittel des gesamten Himmels kartieren und dabei mehr als 1,5 Milliarden Galaxien erfassen, die bis zu zehn Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind.

Die entsprechenden Resultate seien allerdings erst in 18 Monaten zu erwarten, sagt Martin Kunz von der Universität Genf. Er vertritt die Schweiz im Euclid-Konsortium. Der jetzt veröffentlichte Datensatz decke nur drei kleinere Bereiche des Himmels ab. Das genüge noch nicht, um Aussagen über die Entwicklung des Universums als eines Ganzen zu machen.

Für die Untersuchung von Galaxien, Schwarzen Löchern und anderen astrophysikalischen Objekten ist der jetzige Datensatz aber bereits sehr interessant. «Das ist vor allem der hohen Qualität der Bilder zu verdanken», sagt Kunz. Die räumliche Auflösung des Euclid-Teleskops sei fast so gut wie die des Hubble-Teleskops.

Jede Galaxie hat eine einzigartige Form

Zu den Daten, die die Forscher am Mittwoch vorgestellt haben, gehört ein Katalog von 380 000 Galaxien, die nach ihrer Form klassifiziert wurden. Manche Galaxien haben Spiralarme wie die Milchstrasse, andere einen zentralen Balken und wieder andere einen langen Schweif, wie er bei einer Kollision von Galaxien entsteht.

Jede dieser Galaxien sei einzigartig, sagte Mike Walmsley an einer Pressekonferenz der ESA. Walmsley arbeitet an der Universität Toronto und ist auf die Analyse grosser Datenmengen spezialisiert. Die Herausforderung bei der Erstellung dieses Katalogs habe darin bestanden, die Galaxien anhand ihrer Form zu klassifizieren. Früher sei das per Augenschein geschehen. Aber bei der Flut von Daten, die das Euclid-Teleskop liefere, sei das aussichtslos.

Die Forscher setzen deshalb auf künstliche Intelligenz und die Hilfe von Freiwilligen. Das Euclid-Konsortium schloss sich mit dem Citizen-Science-Projekt Galaxy Zoo zusammen. Dort bewerteten 10 000 Freiwillige einen Monat lang die Form von Galaxien. Anhand dieser Daten wurde anschliessend eine KI darauf trainiert, Galaxien anhand ihrer Form zu unterscheiden.

Der jetzt veröffentlichte Katalog ist nur der Anfang. Das Ziel besteht darin, die Form von rund 100 Millionen Galaxien zu katalogisieren. Das soll zu einem besseren Verständnis beitragen, wie Galaxien sich entwickeln, wie Spiralarme entstehen und wie die extrem massereichen Schwarzen Löcher heranwachsen, die im Zentrum der meisten Galaxien zu finden sind.

Euclid entdeckt 500 Gravitationslinsen

Ein anderer Katalog, den die ESA am Mittwoch vorgestellt hat, umfasst 500 Galaxien, deren Licht durch den sogenannten Gravitationslinseneffekt verzerrt wird. Zu diesem Effekt kommt es, wenn das Licht einer fernen Galaxie auf dem Weg zur Erde das Gravitationsfeld einer näher gelegenen Galaxie durchquert und dabei abgelenkt wird wie von einer optischen Linse. Die entfernte Galaxie scheint dann an mehreren Orten gleichzeitig zu stehen. Manchmal wird sie auch als Lichtbogen oder in seltenen Fällen als Ring wahrgenommen. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte die ESA ein besonders eindrückliches Bild eines solchen Einstein-Rings.

Gravitationslinsen sind in der Astrophysik von grossem Nutzen. Sie können das Licht von Galaxien verstärken, die zu weit weg sind, um sie direkt zu sehen. Zudem erlauben sie es, Aussagen über die Dunkle Materie in der als Linse fungierenden Galaxie zu machen. Allerdings sind solche Ereignisse selten. Man muss grosse Areale des Himmels absuchen, um sie zu finden. Die meisten Gravitationslinsen wurden deshalb bisher mit Teleskopen auf der Erde entdeckt.

Mit dem Euclid-Teleskop dürfte sich das ändern. Das Teleskop ist empfindlich, hat ein gutes Auflösungsvermögen und kann gleichzeitig grosse Himmelsausschnitte untersuchen. Euclid sei daher das erste Weltraumteleskop, das in der Lage sei, viele Gravitationslinsen zu entdecken, sagte Walmsley an der Pressekonferenz.

Dabei sollte man sich auf Überraschungen gefasst machen. An der Pressekonferenz stellte Walmsley eine Gravitationslinse vor, die gleichzeitig das Licht von zwei Galaxien abzulenken scheint. Zu erkennen ist das daran, dass die Gravitationslinse von einem inneren und einem äusseren Lichtbogen umgeben ist. Solche Ereignisse sind extrem selten. Sie sind auch extrem interessant. Möglicherweise erlauben sie es, Aussagen über die Dunkle Energie zu machen, die das Universum immer schneller expandieren lässt.

Insgesamt hat Euclid vier dieser «Jackpot»-Linsen entdeckt. Und es werden noch mehr hinzukommen. In der ersten Woche seines Betriebs hat das Weltraumteleskop jedes der drei Areale nur einmal gescannt. In den nächsten sechs Jahren kommen pro Areal 30 bis 50 Beobachtungen hinzu. Man kann sich leicht ausmalen, wie viele Daten bis zum Ende der Mission anfallen werden. Eins ist sicher: Ohne künstliche Intelligenz lassen sich diese nicht analysieren.

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