Donnerstag, November 28

In den Neunzigern setzte Chloë Sevigny die Standards für Coolness. Jetzt wird die US-Schauspielerin 50. Unsere Autorin ist mit ihr alt geworden. Eine Hommage.

Ich war 20, als ich Chloë Sevigny 1995 im Film «Kids» zum ersten Mal beim Coolsein zuschaute. Wie sie – nur ein Jahr älter als ich – am New Yorker Washington Square Park mit Skater-Jungs in Baggy-Jeans und kiffenden Mädchen mit gezupften Augenbrauen abhing. Ich schaute auch zu, wie sich ihre Filmfigur Jennie an einer Hausparty beim ersten Mal Sex mit Aids ansteckte.

So sehr mir das Teenie-Drama von Larry Clark – das «Euphoria» der Generation X – mit seiner ungeschönten Darstellung einer verlorenen Jugend zwischen Skateboard, Schlägereien, Lachgas und ungeschütztem Geschlechtsverkehr eingefahren ist: Ich konnte mich nicht sattsehen an diesem Mädchen mit der markanten Nase, dem schmalen Mund und diesem stets leicht weggetretenen Ausdruck in den Augen. Vielleicht, weil sie mich an mich selbst erinnerte – einfach in cooler.

Nun, am 18. November 2024, feiert Chloë Sevigny ihren 50. Geburtstag, auch damit ist sie mir eine Nasenlänge voraus. Was ich toll finde, weil die Schauspielerin der Beweis dafür ist, dass alt werden auch in lässig geht. Obwohl sie selbst mit dem Label «It-Girl» unterdessen hadert: Sie wird es auch in der Perimenopause nicht loswerden.

Es klebt an ihr, seit sie mit 18 aus der verschlafenen Kleinstadt Darien, Connecticut, nach Brooklyn, New York, zog. Schnell kannte sie nicht nur alle Skater der Stadt (in den Neunzigern absolut stilprägend), sondern auch die hippen Kunstschaffenden, Modeleute und Musiker. Hauptsache unkonventionell. Wegen ihres speziellen Looks wurde Sevigny auf der Strasse von Fotografinnen, Agenten und Redaktorinnen angesprochen. Alle wollten ein Stück ihrer Coolness.

Ihren ersten Auftritt hatte sie im Video der kultigen Noise-Band Sonic Youth, neben Marc Jacobs, dem damaligen enfant terrible der Modewelt und heutigen Stardesigner. Sevigny arbeitete ausserdem als Model, Magazinpraktikantin, wirkte in avantgardistischen Filmen mit und produzierte selbst welche. Bald zierte das Mädchen aus der Provinz die Cover der Indie-Magazine «I-D» und «The Face», die nicht von den Laufstegen, sondern aus Clubs und von der Strasse berichteten – aus ihrer Welt. 1994, nur ein Jahr nach ihrer Ankunft im Big Apple, schrieb die «New York Times» über die 20-Jährige, sie sei das «coolest girl in the world». Was hat sie bloss, was andere nicht haben?

Das coolste Mädchen der Welt

Mich beeindruckte damals, wie selbstbewusst Chloë Sevigny ihre so gar nicht dem ­Schönheitsideal entsprechenden Eigenarten vor sich herzutragen schien: diese Nase, die tiefe Stimme, ihre Vorliebe für geblümte Farmerkleider und Topffrisuren. Entgegen der Regel der amerikanischen Pop-Kultur der neunziger Jahre, weibliche Stars als knapp bekleidete Marionetten zu inszenieren, steuerte Sevigny ihr Image von Anfang an selbst.

Indem sie das rebellische Mädchen blieb, das trotz streng katholischer Erziehung nie in die kleinbürgerliche Kulisse ihrer Heimatstadt passte, sich die Haare rasierte, mit dem älteren Bruder skatete, Punk und New-Wave-Musik hörte, von einer Schauspielkarriere am Broadway träumte und die Schule schwänzte für ­Ausflüge ins nahe New York, ins Zentrum der Coolness – bis sie selbst zu deren Herzstück wurde.

Alles ausser Mainstream: 50 Jahre Chloë Sevigny in Filmen.

Das gelang, indem sie sich dem Mainstream verweigerte. Erkennbar nicht nur an ihrem Äusseren, sondern auch an der Wahl ihrer Rollen. Seit «Kids» bevorzugt Chloë Sevigny Arthouse-Filme, spielte die fundamentalistische Mormonin, die Freundin eines Transmanns, das Vergewaltigungsopfer und die Auftragskillerin – aber nie die Marvel-Heldin. Auch im echten Leben trat sie oft ungeschminkt und manchmal verkatert auf die Strasse vor die Paparazzi. Anders als heute gab es in den Neunzigern für junge Frauen noch nicht viele Vorbilder, die so authentisch wirkten. Jedenfalls war seit dem Kinoabend 1995, was Chloë Sevigny tat, sagte und vor allem trug, für mich massgebend.

Finanziell nicht auf Rosen gebettet – ihre Mutter war Lehrerin mit polnischen Wurzeln, der Vater Versicherungsbeamter – lernte die Schauspielerin früh, ihre Garderobe mit Kleidern aus Secondhandläden zu bestücken. Während sich gleichaltrige Freundinnen noch auf bedruckte T-Shirts stürzten, fand sie ein Yves-Saint-Laurent-Kleid. Mit Kreativität schuf sie sich als Schnäppchenjägerin eine ikonische Garderobe. Mode sei für sie immer schon eine Möglichkeit gewesen, interessanter auszusehen, sagte Sevigny einst der Zeitung «The Independent».

Damals hatte auch ich dieses Bild von mir, wie ich beim stundenlangen Suchen in Secondhandboutiquen auf textile Schätze stosse, die mir das gewisse Etwas verleihen. Leider bereitete meine Milben­allergie der Vintage-Version meiner selbst ein jähes Ende. Kaum hatte ich einen Fuss in einen Secondhandladen gesetzt, fing es mich überall zu jucken an. Stattdessen pilgerte ich Ende der Neunziger an die Lafayette Street in Manhattan, um mich bei X-Girl, einer damals angesagten Indie-Modemarke, für die Chloë Sevigny modelte, in die Schlange vor dem Laden zu stellen, für ein überteuertes ­Logo-­T-Shirt. Sie war auch der Grund, weshalb ich mir in einem Sommer die Haare schor und blond bleichte. Meine Art der Rebellion.

Seit 2020 verbindet mich noch etwas mit Chloë Sevigny: Sie wurde Mutter eines Sohnes. Meine beiden sind schon älter, ich war ihr für einmal voraus. Gerade könnte ich ihr Tipps geben zur Trotzphase, in der ihr Bub steckt, wie sie kürzlich einer Journalistin des «New York Magazine» erzählte. Sie zeigte sich ausserdem amüsiert darüber, dass sie immer noch als Party-Girl wahrgenommen wird. Dabei singe sie im Auto mit ihrem Kind Lieder aus Disney-Filmen und gehe um 21 Uhr ins Bett. Was Mütter halt auch noch so machen.

Charli xcx - 360 (official video)

In Hollywood sehen Schauspielerinnen über fünfzig heute aus wie Mitte dreissig. Das Wort Wechseljahre ist tabu, die Gesichter sind geglättet, die Körper gestählt. Chloë Sevigny hingegen scheint sich einmal mehr um Regeln zu foutieren. Da sind diese Fältchen um die Augen, sie spricht über Babypfunde und tanzende Hormone und stylt sich meistens immer noch selbst. Sie scheint ein angenehm gespaltenes Verhältnis zum Älterwerden zu haben. Einerseits spielt sie in puncto Coolness die neue Generation It-Girls an die Wand, deren Mutter sie sein könnte, und hat sichtbar Spass dabei. Zu sehen etwa im Musikvideo zum Song «360» der Sängerin Charli XCX.

Gleichzeitig hat sie zunehmend Mühe damit, sich selbst auf Fotos und in Filmen zu sehen. «Ich werde fotografiert, seit ich 18 Jahre alt bin. Braucht irgendwer wirklich noch ein Bild von mir?» Ich rufe ihr laut zu: Ja, ich brauche noch eins! Am besten möglichst viele.

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