Samstag, September 28

Obschon der Trend bei der Inflation wieder in die richtige Richtung geht, signalisiert die US-Notenbank für dieses Jahr nur noch eine statt drei Zinssenkungen. Die Börsen reagieren unbekümmert und setzen die Rekordjagd fort. Zu Recht?

Für US-Notenbankchef Jerome Powell war es in den vergangenen Monaten nicht einfach, gegenüber den Finanzmärkten zur Geldpolitik Stellung zu nehmen. Ein vergleichsweise leichtes Spiel hatte er gestern Mittwoch. Im Gegensatz zum Frühjahr befindet sich das Federal Reserve zu Beginn des Sommers in einer wesentlich komfortableren Lage.

Der Grund dafür ist die Inflation. Nach mehreren Monaten mit enttäuschenden Daten geht die Teuerung wieder wunschgemäss zurück. Der Index der Konsumentenpreise (Consumer Price Index, CPI) für Mai beträgt im Vorjahresvergleich 3,3%, nach 3,4% im April. Die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel hat sich von 3,6% auf 3,4% ermässigt. Beide Werte wie auch die sequenziellen Veränderungen im Monatsvergleich sind besser als erwartet.

Dennoch hütet sich der Fed-Präsident davor, vorzeitig Entwarnung zu geben. «Wir halten an unserem restriktiven geldpolitischen Kurs fest, um Nachfrage und Angebot in Einklang zu bringen und den Inflationsdruck zu verringern», sagte er während der Pressekonferenz.

Entsprechend wird das Zielband für den Leitzins erwartungsgemäss unverändert auf 5,25 bis 5,5% belassen. Zudem fällt der Ausblick zum weiteren Kurs der Geldpolitik strenger aus, als es die jüngsten Inflationsdaten nahelegen könnten.

Hier die wichtigsten Punkte zur Fed-Sitzung im Überblick:

  • Im Statement zum Zinsentscheid gibt es nur eine nennenswerte Änderung. Betreffend des Ziels, die Inflation auf 2% zu senken, wird neu von «weiteren bescheidenen Fortschritten» gesprochen. Beim letzten Mal hiess es dazu: «Es hat keine weiteren Fortschritte gegeben.»
  • Die grösste Überraschung ist der Ausblick. Im Durchschnitt rechnen die Mitglieder im Fed-Vorsitz für 2024 nur noch mit einer Zinssenkung im Umfang von 25 Basispunkten (Bp). Im März hatte der sogenannte Dot Plot drei Zinsschritte in Aussicht gestellt. Am Markt wurde erwartet, dass die US-Notenbank noch zwei Schritte signalisieren würde.
  • Vier der neunzehn Fed-Mitglieder rechnen dieses Jahr mit keiner Zinssenkung mehr, zuvor waren es zwei Mitglieder. Sieben Mitglieder gehen von einem Schritt aus, acht Mitglieder von zwei Schritten. Mit drei Schritten rechnet niemand mehr, verglichen mit neun Mitgliedern beim letzten Ausblick.
  • Dafür soll die Geldpolitik nächstes Jahr etwas rascher gelockert werden. Neu werden für 2025 vier statt wie bisher drei Zinssenkungen von jeweils 25 Bp signalisiert. Das Zielband für die Fed Funds Rate würde sich demnach Ende 2025 auf 4 bis 4,25% belaufen.
  • Die Prognose zur Kerninflation, gemessen am vom Fed bevorzugten Preisindex der Konsumentenausgaben (Core Personal Consumption Expenditures, PCE), wird für Ende Jahr abermals leicht von 2,6 auf 2,8% angehoben. Per Ende 2025 wird sie neu auf 2,3 statt 2,2% gesehen, worauf sie 2026 wie bisher skizziert auf das Ziel von 2% zurückgehen soll.
  • Ansonsten gibt es in der Konjunkturprognose nur marginale Adjustierungen. Die Arbeitslosenquote wird per Ende Dezember unverändert auf 4% gesehen, was dem aktuellen Niveau entspricht. Keine Veränderungen wurden beim Wirtschaftswachstum vorgenommen, das sich im vierten Quartal auf 2,1% belaufen soll.

Alle Daten zur Zins- und Konjunkturprognose des Fed sind in dieser Tabelle zusammengefasst:

Rekordstimmung an den Börsen

Der strenger als erwartete Ton aus der US-Notenbank belastete die freundliche Grundstimmung an den Finanzmärkten am Mittwoch kaum – zumindest in einer ersten Reaktion. Die Börsen in New York eröffneten nach den positiven Inflationsdaten deutlich fester und hielten das Niveau bis zum Ende der Pressekonferenz von Fed-Chef Powell. Erst in der letzten Handelsstunde gaben die Kurse leicht nach.

Der US-Leitindex S&P 500 schloss damit knapp 0,9% höher als am Vortag. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten rückte 1,3% vor, getragen von den Superschwergewichten Apple und Nvidia. Beide Indizes markierten ein Allzeithoch.

Die beste Performance verzeichnete der Small-Cap-Index Russell 2000 mit einem Plus von 1,5%. Nach Sektoren dominierten Aktien von IT-Konzernen. Gesucht waren ebenso Titel aus den Sektoren zyklischer Konsum und Industrie. Demgegenüber standen defensive Sektoren wie Basiskonsum, Versorger und Gesundheit unter Druck.

Am Bondmarkt setzte sich die Rally fort. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen sank um 8 Bp auf 4,31%. Gegen Ende Mai notierte sie noch auf über 4,6%. Die Rendite zweijähriger Treasuries (ein viel beachteter Indikator für die Markterwartungen zum künftigen Verlauf der Leitzinsen) ermässigte sich 6 Bp auf 4,75%.

Im Devisenhandel tendierte der Dollar leichter. Der DXY-Index zur amerikanischen Valuta schloss 0,5% tiefer.

An den Rohstoffmärkten verzeichneten Edelmetalle zunächst deutliche Avancen, gaben im Tagesverlauf dann aber einen Teil der Gewinne preis. Gold schloss am Spotmarkt 0,3% höher auf 2324.47 $ pro Unze. Der Silberpreis legte 1,5% auf 29.72 $ zu. Der Ölpreis erholte sich weiter. Die Notierung der US-Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI) stieg 0,9% auf 78.56 $ pro Fass.

Powells Dilemma

Bis die Märkte die Nachrichten aus der US-Notenbank vollständig verdaut haben, dauert es in der Regel eine gewisse Zeit. Die Stimmung kann bereits am Folgetag eines Fed-Entscheids drehen. Dennoch lassen sich einige Schlussfolgerungen für das generelle Investitionsumfeld ziehen.

Wie Powell während der Pressekonferenz mehrfach betonte, will sich die US-Notenbank bei der ersten Zinssenkung so sicher wie möglich sein, dass die Inflation tatsächlich unter Kontrolle ist. Nach dem Debakel der Jahre 2021/22, als sie den Ausbruch der Teuerung sträflich unterschätzt hatte, will sie einen Fehler dieser Art nicht erneut begehen.

«Wir halten es nicht für angemessen, das Zielband für den Leitzins zu senken, solange wir nicht besser darauf vertrauen können, dass sich die Inflation nachhaltig in Richtung 2% bewegt», meinte der Fed-Chef. Bislang sei dieses Vertrauen noch nicht ausreichend da. «Die jüngsten Inflationsdaten waren jedoch vorteilhafter als zu Beginn des Jahres», räumte er ein.

Im Klartext: Das Fed traut der Sache noch nicht so recht und will so flexibel wie möglich bleiben. Inzwischen sind seit der letzten Zinserhöhung von Ende Juli 2023 rund elf Monate vergangen, womit sich die Geldpolitik im laufenden Zyklus ungefähr im Rahmen der historischen Norm seit Mitte der Neunzigerjahre bewegt.

Das für die Märkte wohl wichtigste Fazit ist, dass sich die Wahrscheinlichkeit weiterer Zinserhöhung deutlich reduziert hat. Noch vor wenigen Wochen war dies ein ernstzunehmendes Risiko. Futures-Kontrakte indizieren gegenwärtig eine Chance von etwas mehr als 60%, dass es beim übernächsten Fed-Entscheid vom 18. September zu einer ersten Zinssenkung kommt. Ein weiterer Schritt wird entgegen dem Zinsausblick des Fed im Dezember erwartet.

Das grundsätzliche Dilemma bleibt somit bestehen: Auch wenn der Trend momentan in die richtige Richtung geht, ist eine weiche Landung der Wirtschaft ein enorm heikles Manöver, das nur selten gelingt. Die US-Präsidentschaftswahlen Anfang November machen es dem Fed angesichts des politisch aufgeheizten Klimas nicht leichter. Zu den raren Ausnahmen, in denen eine weiche Landung gelang, zählt der Zinszyklus zur Mitte der Neunzigerjahre.

«Uns ist bewusst, dass eine zu frühe oder zu starke Lockerung der restriktiven Geldpolitik die Fortschritte wettmachen könnte, die wir bei der Inflation erzielt haben», sagte Powell. «Gleichzeitig könnte eine zu späte oder zu geringe Lockerung […] die Wirtschaftsaktivität und den Arbeitsmarkt unangemessen schwächen.»

Mit der EZB und der Bank of Canada haben zwei Zentralbanken letzte Woche eine erste Zinssenkung vollzogen. Eine erste, vorsichtige Lockerung der Geldpolitik setzt gewissermassen auch das Fed bereits um. Seit diesem Monat wird der Abbau der Notenbankbilanz (Quantitative Tightening, QT) plangemäss gedrosselt.

Bisher liess das Fed monatlich bis zu 60 Mrd. $ an US-Staatsanleihen und 35 Mrd. $ an verbrieften Hypothekarkrediten aus seinem Wertschriftenportfolio auslaufen. Nun wird der Betrag bei den Staatsanleihen auf monatlich bis zu 25 Mrd. $ gesenkt. Im Fall verbriefter Hypothekarkredite bleibt die Obergrenze vorerst unverändert.

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