Donnerstag, Oktober 3

Obschon die Inflation erneut aufgeflackert ist, gibt sich die US-Notenbank zuversichtlich, dass sie die Situation unter Kontrolle hat und die Zinsen im späteren Jahresverlauf senken kann. Die unsicheren Aussichten zur Geldpolitik sorgen an den Märkten jedoch zunehmend für Verunsicherung.

Eigentlich lief alles nach Plan. Ab Mitte Sommer 2022 flachte die Inflation in den USA rasch ab und das Federal Reserve stimmte die Märkte auf erste Zinssenkungen ein. Heute ist die Lage weit weniger komfortabel. Noch rechnet die US-Notenbank nicht damit, dass sie die Zinsen wider Erwarten nochmals erhöhen muss. Doch wenn sich die Teuerung weiterhin hartnäckig auf erhöhtem Niveau hält, wird ein solches Szenario immer wahrscheinlicher.

Ungefähr so lässt sich der Fed-Entscheid von gestern Mittwoch zusammenfassen. Wie erwartet belässt Notenbankchef Jerome Powell das Zielband für den Leitzins unverändert auf 5,25 bis 5,5%. Zudem kündigt er an, das Programm zum Abbau der Fed-Bilanz zu drosseln.

Anders als von manchen Marktteilnehmern im Vorfeld befürchtet, hat sich die Tonalität im Statement zum Fed-Entscheid trotz zuletzt enttäuschender Inflationsdaten nicht verschärft. Die US-Notenbank räumt aber erstmals ein, dass «es in den vergangenen Monaten keine weiteren Fortschritte in Richtung des Inflationsziels von 2% gegeben hat.»

Erste Anzeichen für eine Abkühlung am Jobmarkt?

Massgeblich verantwortlich für die hartnäckige Teuerung sind die robuste Konjunkturentwicklung in den USA und höhere Energiepreise. Die letzten drei Lesungen zum Index der Konsumentenpreise (Consumer Price Index, CPI) fielen allesamt «heisser» aus, als von Ökonomen erwartet. Die Kernrate, bei der Preise für Lebensmittel und Energiepreise ausgeklammert werden, legte im März 3,8% zu.

Das Fed stellt sich weiterhin auf den Standpunkt, dass es sich hierbei nur um einen temporären Unterbruch in einem langfristigen Abwärtstrend handle und die Geldpolitik ausreichend restriktiv sei. «Ich gehe davon aus, dass die Inflation im Laufe dieses Jahres zurückgehen wird», meinte Powell dazu an der Pressekonferenz.

Zu den Gründen, die ihn zuversichtlich stimmen, zählt der Arbeitsmarkt. Dort erscheint die Entwicklung oberflächlich zwar weiterhin solid. Die Arbeitslosenrate hat sich im März sogar leicht von 3,9 auf 3,8% ermässigt. Gemäss Powell sieht das Fed jedoch Anzeichen einer Abkühlung. Konkret verwies er auf eine Verlangsamung der Neueinstellungen und auf den Rückgang des Anteils der Arbeitnehmer, die kündigen.

Umso wichtiger wird der monatliche Arbeitsmarktbericht, der am Freitag veröffentlicht wird. Ökonomen rechnen damit, dass die US-Wirtschaft im April 250’000 neue Stellen geschaffen hat, nachdem es im März 303’000 waren. Bei der Arbeitslosenrate wird erwartet, dass sie auf 3,8% verharrt ist.

Abbau der Bilanz wird gedrosselt

Während das Fed bei den Zinsen weiterhin auf abwarten setzt, macht es bereits einen ersten Schritt in Richtung Lockerung bei der Bilanz. Im Zug der massiven Stimulusmassnahmen während der Pandemie hatte sich das Wertschriftenportfolio der US-Notenbank auf bis zu 9000 Mrd. $ aufgebläht. Seit Frühjahr 2022 wurde sie sukzessive auf 7400 Mrd. $ reduziert, wobei die Krise bei den US-Regionalbanken im vergangenen Frühling temporär Gegenmassnahmen erforderte.

Im Rahmen des Bilanzabbaus (Quantitative Tightening, QT) liess das Fed bisher monatlich bis zu 60 Mrd. $ an US-Staatsanleihen und 35 Mrd. $ an verbrieften Hypothekarkrediten aus seinem Wertschriftenportfolio auslaufen. Ab Juni wird der Betrag bei den Staatsanleihen nun auf monatlich bis zu 25 Mrd. $ gesenkt. Die Reduktion ist etwas grösser als erwartet, am Markt wurde mit einem Rückgang auf 30 Mrd. $ gerechnet. Im Fall verbriefter Hypothekarkredite bleibt die Obergrenze unverändert.

Ein wesentlicher Grund für die Drosselung von QT dürfte vor allem mit einer Entwicklung zu tun haben: Seit Sommer 2023 sind rund 1900 Mrd. $ an Liquidität ins US-Finanzsystem geströmt. Dies, weil Geldmarktfonds Gelder, die sie in der sogenannten Reverse-Repo-Fazilität beim Fed parkiert haben, abziehen und in höher rentierende, kurzfristige Staatsanleihen (Treasury Bills) investieren.

Der Effekt von QT wurde dadurch gedämpft. Derzeit befinden sich jedoch nur noch knapp 440 Mrd. $ in der Reverse-Repo-Fazilität, weshalb das Fed den Abbau seiner Bilanz jetzt wohl verlangsamt. In schlechter Erinnerung sind den Verantwortlichen der Notenbank diesbezüglich die Erschütterungen an den Märkten in den Jahren 2018/19, als Probleme im Repo-Markt zu Stress im Finanzsystem führten.

Hinzu kommt ein zweiter Faktor. Die amerikanischen Staatsschulden haben sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, während die Zinsen gestiegen sind. Die US-Regierung muss deshalb (noch) mehr Anleihen begeben. Diese Woche hat das Schatzamt den Bondmarkt mit der Ankündigung überrascht, dass es im zweiten Quartal 243 Mrd. $ an Schulden aufnehmen wolle – gut 40 Mrd. $ mehr als erwartet.

Entsprechend kommt es der US-Regierung entgegen, wenn das Fed fortan weniger Staatsanleihen abbaut und damit den Druck am Bondmarkt etwas vermindert.

Geduldsprobe für die Märkte

Die Nachrichten aus dem Fed lösen gemischte Gefühle aus. Für Erleichterung sorgt sicherlich, dass Notenbankchef Powell erneute Zinserhöhungen für «unwahrscheinlich» hält, wie er an der Pressekonferenz sagte. Diese Äusserung war es denn auch, die an den Börsen in New York im Nachgang des Zinsentscheids zunächst für Auftrieb sorgte.

Andererseits bleibt das Fed hinsichtlich möglicher Zinssenkungen aber bis auf weiteres im Abwartemodus. «Bisher haben uns die Daten in diesem Jahr noch kein grösseres Vertrauen gegeben», meinte Powell dazu. «Es ist wahrscheinlich, dass es länger dauern wird, als bisher angenommen, bis ein ausreichend grosses Vertrauen erreicht ist.»

Diese Ungewissheit dürfte Investoren auch in den kommenden Wochen und Monaten beschäftigen. Nach anfänglich deutlichen Gewinnen knickte der US-Leitindex S&P 500 am Mittwoch gegen Handelsende ein und schloss 0,3% im Minus. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten gab 0,7% nach. Futures-Kontrakte indizieren eine freundliche Eröffnung heute Donnerstag.

Gemässigte Bewegungen gab es am Bondmarkt. Die Rendite zweijähriger Treasuries – ein viel beachteter Indikator zur künftigen Entwicklung der US-Leitzinsen – sank im Handelsverlauf um 8 Basispunkte auf 4,96%. Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen verringerte sich um 6 Basispunkte auf 4,63%. Parallel dazu gab der Dollar an Terrain preis.

An den Rohstoffmärkten stand der Ölpreis unter Druck. Der Preis für ein Fass der US-Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI) sank am Mittwoch weiter auf 79 $, nachdem er Anfang April auf fast 87 $ geklettert war. Der Goldpreis erhöhte sich im Tageshandel leicht auf 2311 $ pro Unze. Silber tendierte ebenfalls etwas fester auf 26.75 $ pro Unze.

Der nächste Zinsentscheid des Federal Reserve fällt am 12 Juni. Im Terminhandel wird die Wahrscheinlichkeit derzeit auf über 85% beziffert, dass der Leitzins unverändert bleibt. Was die Aussichten zur US-Geldpolitik betrifft, wird die Geduld der Märkte damit mehr und mehr strapaziert. Ging der Konsens Ende 2023 für dieses Jahr von sechs bis sieben Zinssenkungen aus, ist es momentan nur noch ein Schritt; und zwar an der Fed-Sitzung von Mitte September.

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