Die US-Notenbank belässt den Leitzins erwartungsgemäss unverändert bei 5,5%. Angesichts der rückläufigen Inflation rückt eine erste Lockerung der Geldpolitik im September näher. Die Finanzmärkte reagieren positiv, doch Investoren sollten sich nicht zu früh freuen.
Ist es dieses Mal anders? Seit das Federal Reserve die Bekämpfung der Inflation im Frühjahr 2022 mit aggressiven Zinssenkungen aufgenommen hatte, stellten sich die Finanzmärkte immer wieder auf einen milderen Kurs der US-Geldpolitik ein. Jedes Mal folgte eine Enttäuschung. Doch jetzt könnte es endlich so weit sein.
Das ist jedenfalls das Fazit zum Entscheid der US-Notenbank von gestern Mittwoch. Wie im Vorfeld gut telegrafiert bleibt das Zielband für die Federal Funds Rate unverändert auf 5,25 bis 5,5%. Erwartungsgemäss gibt es im Statement des Fed-Gremiums zudem ziemlich deutliche Hinweise darauf, dass sich eine baldige Zinssenkung anbahnt.
«Das Stellenwachstum hat sich ermässigt, und die Arbeitslose ist gestiegen, bleibt aber auf tiefem Niveau», heisst es dazu konkret. Bislang sprach das Fed von einer «anhaltend robusten» Entwicklung am US-Arbeitsmarkt. «In den letzten Monaten gab es einige weitere Fortschritte in Richtung des Inflationsziels des Gremiums von 2%», wird weiter festgehalten.
Der Preisindex der Konsumentenausgaben (Personal Consumption Expenditures, PCE), der vom Fed präferierte Indikator zur Teuerung, tendiert seit einem Quartal wieder wunschgemäss nach unten. Für Juni resultierte im Vorjahresvergleich ein Rückgang auf 2,5%, nach 2,6% im Mai. Die Kernrate, bei der Preise für Energie und Nahrungsmittel ausgeklammert werden, blieb stabil auf 2,6%.
Wie das Fed an der letzten Sitzung von Mitte Juni klargestellt hat, will es auf Nummer sicher gehen, dass die Inflation unter Kontrolle ist. Diesbezüglich geben die jüngsten Konjunkturdaten mehr Vertrauen. «Das Gremium ist der Ansicht, dass sich die Risiken für die Erreichung der Ziele hinsichtlich Beschäftigung und Inflation weiter besser ausbalancieren werden», steht im Statement.
September ist «auf dem Tisch»
Inzwischen ist es exakt ein Jahr her, dass die US-Notenbank die letzte Zinserhöhung vollzogen hat. Historisch betrachtet ist das ein eher langer Zeitraum, in dem die Geldpolitik nach dem Ende eines Straffungszyklus unverändert geblieben ist. Seit den späten Sechzigerjahren pausierte das Fed durchschnittlich acht Monate nach der letzten Zinserhöhung, wobei es seit Ende der Neunzigerjahre tendenziell länger dauerte.
Fed-Chef Jerome Powell betonte an der Pressekonferenz zwar, es sei noch kein Entscheid getroffen worden. Gleichzeitig liess er aber klar durchblicken, dass eine Lockerung der Geldpolitik an der kommenden Sitzung vom 17. und 18. September das Grundszenario für den Vorstand der Notenbank sei.
«Das Gremium ist im Grossen und Ganzen der Meinung, dass wir uns dem Punkt nähern, an dem es angemessen ist, den Leitzins zu senken», sagte Powell. Als Voraussetzung dafür beschrieb er folgendes Szenario:
«Wenn beispielsweise die Inflation schneller oder ungefähr im Einklang mit den Erwartungen zurückgeht und das Wachstum, sagen wir, einigermassen robust bleibt und der Arbeitsmarkt sich in seinem derzeitigen Zustand hält, dann würde ich denken, dass eine Zinssenkung an der September-Sitzung auf dem Tisch liegen könnte.»
Unmittelbar richtet sich der Fokus damit auf den monatlichen Arbeitsmarktbericht am Freitag. Ökonomen rechnen damit, dass die US-Wirtschaft im Juli 175’000 neue Stellen geschaffen hat, nachdem es im Juni überraschend solide 206’000 Stellen waren. Die Arbeitslosenrate soll unverändert auf 4,1% verharrt sein, beim Lohnwachstum auf Vorjahresbasis wird eine leichte Abschwächung von 3,9% auf 3,7% erwartet.
Rally am Bondmarkt
Die Finanzmärkte nehmen die Nachrichten aus dem Federal Reserve in einer ersten Reaktion freundlich auf. Grössere Überraschungen gab es nicht. An der Börse New York verspürten am Mittwoch vor allem Aktien mit Bezug zu künstlicher Intelligenz Auftrieb. Dies, nachdem Microsoft am Vorabend den Ausblick zu den Kapitalausgaben für KI-Kapazitäten wie Rechenchips und Data Center abermals erhöht hatte.
Der US-Leitindex S&P 500 hielt sein Niveau nach einer starken Eröffnung bis Handelsschluss und beendete die Sitzung mit einem Plus von 1,6% – die beste Tagesperformance seit Februar. Der Fed-Entscheid selber löste indes keine nennenswerten Bewegungen aus. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten avancierte 3%. Die Halbleiteraktien Nvidia und Broadcom, Paradebeispiele für KI-Wetten, preschten knapp 13% bzw. 12% vor.
Die «Action» im Zusammenhang mit der Geldpolitik spielte sich primär am Bondmarkt ab. Die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen, ein guter Indikator für die Markterwartungen zum künftigen Verlauf der Leitzinsen, sackte im Nachgang von Powells Pressekonferenz auf 4,27% ab und schloss somit mehr als 10 Basispunkte tiefer als am Vortag.
Die Rendite zehnjähriger Treasuries gab ebenfalls mehr als 10 Basispunkte auf 4,04% nach, was dem tiefsten Stand seit Anfang Februar entspricht.
Passend dazu tendierte der Dollar etwas leichter. Der Dollar-Index DXY büsste 0,2% ein. Derweil verspürten Edelmetalle Auftrieb. Der Goldpreis stieg 1,5% auf 2447.53 $ pro Unze und nähert sich damit dem Allzeithoch von Mitte Juli an. Silber legte 2,3% auf 29.03 $ zu. Aktien aus dem VanEck Gold Miners ETF rückten 2,7% vor.
Der Fed-Put ist zurück im Spiel
Wie es mit der Geldpolitik in den USA weitergeht hängt nun davon ab, ob die Konjunkturdaten «kooperieren». Das Federal Reserve hat die Inflation in der jüngeren Vergangenheit mehrfach unterschätzt, worauf es den Kurs jeweils abrupt ändern musste. Zuletzt im Frühjahr, als die Teuerung hartnäckiger blieb als erhofft.
Bis zur nächsten Sitzung der Notenbank verbleiben rund sieben Wochen. Der nächste wichtige Anhaltspunkt zum Fed-Entscheid ist das Wirtschaftssymposium in Jackson Hole Ende August. Am Fuss der Teton-Berge im Bundesstaat Wyoming wurde schon öfter das Startsignal zu einer geldpolitischen Wende gegeben.
Im Terminhandel wird einer Zinssenkung an der September-Sitzung eine Wahrscheinlichkeit von gut 90% zugemessen. Danach sollen bis Mitte Sommer 2025 weitere fünf Schritte von jeweils 25 Basispunkten folgen. Das entspricht mehr oder weniger den gleichen Erwartungen wie Anfang Jahr. Nur mit dem Unterschied, dass sich der Start zum Lockerungszyklus bis Herbst verzögert hat.
Der Konsens stellt sich demnach auf ein Szenario ein, in dem Fed-Chef Powell eine sanfte Landung der Wirtschaft gelingt; ein Umfeld mit rückläufiger Inflation und sinkenden Zinsen, einem einigermassen stabilen Arbeitsmarkt und ohne grössere Erschütterungen der Konjunktur. Es könnte aber auch anders kommen.
Auffällig ist, dass an der Pressekonferenz immer wieder Fragen zur Möglichkeit einer unerwartet raschen Konjunkturabkühlung respektive einer Rezession aufgekommen sind. Bill Dudley, der vormalige Präsident der einflussreichen Fed-Distriktnotenbank New York, hatte vergangene Woche in einem Kommentar gewarnt, dass die Zinsen angesichts von Anzeichen einer Abschwächung der Wirtschaft bereits jetzt gesenkt werden sollten.
Powell bemühte sich, solche Bedenken zu relativieren. «Das Bild ist nicht das einer sich verlangsamenden oder wirklich schlechten Wirtschaft», sagt er. «Es ist eines mit [vereinzelten] Schwachstellen und Regionen, in denen das Wachstum stärker ist als in anderen Regionen.» Dank des aktuellen Zinsniveaus von 5,5% habe das Fed zudem «viel Spielraum, um zu reagieren, wenn wir eine Schwäche erkennen würden.»
Mit anderen Worten: Der Fed-Put ist zurück im Spiel – die Vorstellung also, dass die US-Notenbank der Wirtschaft und den Finanzmärkten mit geldpolitischen Lockerungsmassnahmen wieder zu Hilfe eilen kann, wenn es allzu ungemütlich werden sollte, wie das in den vergangenen Jahrzehnten stets der Fall war.
Das Problem dabei ist aber, dass es immer zuerst zu grösseren Turbulenzen kommen muss, bevor das Fed interveniert. Das letzte Mal, als dem Fed eine weiche Landung gelang, war vor bald dreissig Jahren unter Alan Greenspan. Die Aussichten auf Zinssenkungen bedeuten deshalb nicht zwangsläufig ein so positives Szenario, wie es sich die Börsen gegenwärtig ausmalen.