Die US-Notenbank überrascht mit einem erheblich strengeren Zinsausblick für das kommende Jahr. Der Hauptgrund dafür sind erneute Befürchtungen hinsichtlich hartnäckig erhöhter Inflation. An den Börsen sorgen die Nachrichten für empfindliche Kursverluste.
Das stand nicht auf der Wunschliste für die Feiertage: Der Offenmarktausschuss des Federal Reserve senkt das Zielband für den Leitzins zwar erwartungsgemäss um 25 Basispunkte auf 4,25 bis 4,5%. Ansonsten ergeben sich aus der Sitzung der US-Notenbank vom Mittwoch aber gleich mehrere unerfreuliche Überraschungen, die den Märkten einen empfindlichen Dämpfer versetzen.
Für Verunsicherung sorgt vor allem der Ausblick. Für nächstes Jahr rechnen die Mitglieder im Fed-Vorsitz im Durchschnitt neu damit, dass sich der Leitzins Ende Dezember auf 3,9% bewegt. Bei der letzten Prognose im September waren sie von 3,4% ausgegangen. Im Klartext: Anstatt vier Zinssenkungen von jeweils 25 Bp bis Ende 2025 werden jetzt nur noch zwei in Aussicht gestellt.
Dass Fed-Chef Jerome Powell eine strengere Haltung zur Geldpolitik einnehmen würde, war seit Wochen klar. Seit er die Zinsen Mitte September erstmals in diesem Zyklus gesenkt hat, ist die Zielrate heute einen vollen Prozentpunkt tiefer. Weitere Schritte lassen sich angesichts der robusten Konjunktur in den USA daher weniger gut rechtfertigen. Bisher ging der Konsens an den Märkten aber von noch immerhin drei Zinssenkungen für nächstes Jahr aus.
«Unsere Geldpolitik ist nun deutlich weniger restriktiv», sagte Powell an der Pressekonferenz mit Blick auf die bisherigen Zinssenkungen. «Wir können daher vorsichtiger vorgehen, wenn wir weitere Anpassungen unseres Leitzinses in Betracht ziehen», ergänzte er. «Das langsamere Tempo für Zinssenkungen im nächsten Jahr reflektiert sowohl höhere Inflationswerte in diesem Jahr als auch die Erwartung, dass sich die Inflation auf einem höheren Niveau bewegen wird.»
Mehr Informationen dazu gibt es am Freitag, wenn der Preisindex der Konsumentenausgaben (Personal Consumption Expenditures, PCE) für November veröffentlicht wird. Der vom Fed präferierte Indikator zur Teuerung hatte sich seit dem Peak im Sommer 2022 rasch zurückgebildet, zeigt seit diesem Sommer aber kaum noch Fortschritte.
Die PCE-Kernrate (ohne Nahrungsmittel und Energie) hat sich sogar wieder leicht erhöht. Mit 2,8% auf Vorjahresbasis bewegte sie sich im Oktober klar über den langfristig vom Fed anvisierten 2%. Für November rechnen Ökonomen abermals mit einem leichten Anstieg auf 2,9%.
Dieser Trend bereitet den Mitgliedern im Fed-Vorsitz offensichtlich Sorgen. Gemäss dem aktualisierten Konjunkturausblick gehen sie im Schnitt davon aus, dass die PCE-Kernrate Ende nächstes Jahr bei 2,5% steh. Dies, nachdem sie bisher mit 2,2% gerechnet hatten. Auch die adjustierten Prognosen zur Arbeitslosenquote und zum Wirtschaftswachstum tragen einem Szenario Rechnung, in dem sich die Konjunktur nächstes Jahr robuster entwickelt als bislang erwartet und das Risiko von hartnäckiger Inflation zunimmt.
Vor diesem Hintergrund seit bereits die Zinssenkung vom Mittwoch «ein knapperer Entscheid» gewesen als bei den vorherigen zwei Lockerungen der Goldpolitik im September und November, sagte Powell. Mit Beth Hammack, der Präsidentin der Fed-Distriktnotenbank Cleveland, hat sich sogar ein Mitglied im Offenmarktausschuss gegen die Zinssenkung ausgesprochen. Der strengere Ausblick beruht zudem auf einem breiten Konsens im Fed-Vorsitz. Nur fünf von insgesamt neunzehn Mitglieder plädieren für mehr als zwei Zinssenkungen im nächsten Jahr.
Heftige Ausschläge an den Märkten
Die erste Reaktion zu den Nachrichten aus dem Federal Reserve fällt entsprechend irritiert aus. In New York ging der S&P 500 am Mittwochabend 3% tiefer aus dem Handel – der grösste Tagesverlust seit den Turbulenzen von Anfang August. Der US-Leitindex geriet bereits unmittelbar nach der Publikation des Pressecommuniqués zum Zinsentscheid unter Druck, worauf sich der Abwärtstrend bis Handelsschluss akzentuierte.
Das Muster ist nicht ganz untypisch. Wie eine Analyse des Anlageberaters Bespoke Invest ergibt, tendiert der S&P 500 an Tagen mit Fed-Entscheiden zwar üblicherweise freundlicher als sonst. Seit Powell an der Spitze der US-Notenbank steht, sind Kursavancen verglichen mit seinen Vorgängern Alan Greenspan, Ben Bernanke und Janet Yellen aber geringer, wobei es gegen Handelsschluss oft zu deutlichen Abgaben kommt.
Besonders hart traf es gestern grosskapitalisierte Tech-Werte aus dem Nasdaq 100 und Aktien kleiner und mittelgrosser Unternehmen. Der Small-Cap-Index Russell 2000 büsste 4,3% ein, womit seit den US-Wahlen von Anfang November sämtliche Gewinne verpufft sind. Der Dow Jones gab 2,6% nach und hat inzwischen zehn Tage in Folge an Terrain eingebüsst. Das ist die längste Serie an Verlusten für das Blue-Chip-Barometer seit 1974.
Dass die Nervosität erheblich zunimmt, signalisiert der Vix. Er misst die erwartete Schwankungsbreite des S&P 500 und hat am Mittwoch einen Sprung von annähernd 130% gemacht. Auch als Angstbarometer bezeichnet, hat der Index letztmals bei den Turbulenzen vom Hochsommer ähnlich heftige Ausschläge verzeichnet.
Mit ausgeprägten Bewegungen reagiert ebenso der Bondmarkt. Die Rendite zweijähriger Staatsanleihen, die als guter Anhaltspunkt für die Markterwartungen zur Entwicklung der Leitzinsen gilt, hat sich im Tagesverlauf um 82 Bp auf 4,35% erhöht. Zu noch heftigeren Schwankungen kam es am langen Ende der Zinskurve. Die Rendite zehnjähriger Treasuries stieg um satte 104 Bp und notiert damit erstmals seit Ende Mai über 5%
Dazu passend verspürte der Dollar an den Devisenmärkten Auftrieb. Der DXY-Dollar-Index verbuchte ein Plus von 1,1%. Im Rohstoffhandel schwächte sich der Preis von Gold um 2% auf 2601 $ pro Unze ab, Silber verlor 3,3% auf 29.73 $. Die Notierung für ein Fass Öl der US-Referenzsorte WTI gab 0,8% auf 70 $ nach.
Auf Konfrontationskurs mit Trump
Wie schnell die Märkte diesen Schock verdauen werden, ist schwer zu sagen. Generell ist das Handelsvolumen in den letzten Wochen des Jahres üblicherweise geringer als sonst, sodass es leicht zu Kursausschlägen kommen kann. Auch sind die US-Börsen stolz bewertet, und seit den US-Wahlen gab es mehr und mehr Anzeichen von Sorglosigkeit und Übertreibungen.
Für zusätzliche Irritation könnte gesorgt haben, dass Donald Trump eine temporäre Übereinkunft im amerikanischen Kongress zum US-Staatshaushalt torpediert. Wenn bis am Freitag um Mitternacht kein Kompromiss gefunden wird, droht nun ein weiterer «Government Shutdown», bei dem der Verwaltungsapparat weitgehend zum Stillstand kommt.
In einem solchen Umfeld braucht es für einen Rücksetzer nicht viel. Wie es an den Börsen weitergeht, dürfte massgeblich vom Bondmarkt abhängen. Wie folgende Grafik des Marktstrategen Jim Bianco illustriert, weist der aktuelle Zinszyklus ein ungewöhnliches Merkmal auf: In den vergangenen vierzig Jahren ist die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen nach der ersten Zinssenkung noch nie so stark gestiegen, wenn überhaupt.
Das Fed kann diese Entwicklung nicht ignorieren. «Wir sind in einer neuen Phase im Prozess», sagte Powell zur Normalisierung der Zinsen. «Ich denke, dass es von nun an angebracht ist, vorsichtig vorzugehen und auf Fortschritte bei der Inflation zu achten», wiederholte er. Damit deutet alles auf eine Pause hin. Im Terminhandel wird mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90% gerechnet, dass der Leitzins beim kommenden Fed-Entscheid vom 29. Januar unverändert bleibt.
Mit Blick auf weitere Adjustierungen der Zinsen wird danach die Wirtschaftspolitik der neuen Regierung in Washington eine entscheidende Rolle spielen. Macht Trump seine Drohungen hinsichtlich neuer Zölle und Massenausweisungen wahr, dürften davon inflationäre Impulse ausgehen. Derweil fördern Steuersenkungen und Deregulierung tendenziell das Wachstum, was ebenfalls Aufwärtsdruck bei den Preisen bedeuten könnte.
Solche Überlegungen sind zumindest teilweise in die Zinsprognose der Fed-Mitglieder eingeflossen. «Für einige war die politische Ungewissheit einer der Gründe, warum sie eine grössere Unsicherheit in Bezug auf die Inflation vermerkten», sagte Powell. Es entspreche deshalb dem gesunden Menschenverstand, etwas langsamer vorzugehen, meinte er weiter. «Es ist nicht anders, als wenn man in einer nebligen Nacht Auto fährt oder in einen dunklen Raum mit Möbeln geht.»
Eine andere Frage ist, ob das Trump und sein Regierungskabinett ähnlich sehen werden. Powell hat bereits erklärt, dass er seinen Posten als Fed-Chef nicht freiwillig räumen werde, bevor seine Amtszeit im Mai 2026 ausläuft. Während Trumps erster Präsidentschaft musste er sich immer wieder persönliche Attacken und Vorwürfe und gefallen lassen, dass er die Wirtschaft mit einer zu strengen Zinspolitik bremse.
Neue Konfrontationen zwischen dem Fed und der US-Regierung sind demnach so gut wie sicher.