Dienstag, November 26

Der Rennstall aus Hinwil wartet seit mehr als einem Jahr auf einen Punktgewinn, auch im Regen von São Paulo klappte es nicht. Kommt der erhoffte Umschwung mit den Wechseln auf Führungspositionen?

Auch im Regenchaos von São Paulo blieb der Sauber-Rennstall punktlos, Guanyu Zhou und Valtteri Bottas kamen an einem langen Renntag, an dem Max Verstappen einen entscheidenden Schritt in Richtung Weltmeistertitel getan hat, als Letzter und Drittletzter ins Ziel. Es bleibe ein bitterer Nachgeschmack, resümierte das Schweizer Team, das in einer verlorenen Saison vor entscheidenden Wochen steht.

Hochschalten am Rennauto, das geht mit ein paar leichten Handgriffen an der Schaltwippe hinter dem Lenkrad. Aber ein ganzes Team beschleunigen, zumal eines, das seit mehr als einem Jahr ohne Punktgewinn ist, dazu braucht es deutlich mehr. Einen kompletten Reset.

Gefangen zwischen Zukunftshoffnung und Verzweiflung

Mattia Binotto, der von Audi eingesetzte neue Chef des Schweizer Formel-1-Rennstalls Sauber, spricht von einer enormen Aufgabe, und der Italiener spart nicht an Pathos: «Wir wollen nicht nur einen grossen Berg besteigen, sondern den Everest erklimmen. Das wird mehrere Jahre dauern.»

Sich Zeit für Überlegungen lassen, Strategien aufzeigen: Das entspricht dem Charakter des ehemaligen Ferrari-Rennleiters. Und auch wenn es mehr sein kann als bewusste Tiefstapelei, muss folgende Ansage des Mannes, der am Rennsonntag in São Paulo 55 Jahre alt wurde, zunächst erschrecken. Binotto sagt: «Unser Ziel ist es, zum Ende der Dekade um den Titel zu kämpfen.»

Seit seinem offiziellen Jobantritt in Hinwil vor acht Wochen macht Binotto Bestandesaufnahme. Seine Prognose entstammt den Details, die er zusammengetragen hat. Die grosse Unbekannte dabei bleibt, wie Audi als Newcomer von 2026 an mit dem komplett neuen Motorenreglement klarkommen wird.

Allein um Ingenieurwissen, das weiss der in Lausanne geborene Binotto, geht es an seinem neuen Arbeitsplatz nicht. Die Rückstände seines Rennstalls, der mit Abstand der schlechteste in der Königsklasse ist, sind gross. Entscheidender aber ist die Stimmungslage des Teams, wenn mehr als nur diese Saison verlorengegeben wird.

Sauber ist gefangen zwischen Zukunftshoffnung und Verzweiflung. Denn natürlich macht es etwas mit den Menschen, wenn sie über so lange Zeit keinen zählbaren Erfolg errungen haben. Binotto hat versprochen, die Mentalität zu verbessern. Gerade jetzt darf die Führungsspitze deshalb nicht mutlos wirken.

Immerhin investiert Audi trotz der weiter bedrohlichen Krise im Volkswagen-Konzern in neue Strukturen. Vor dem Grand Prix von São Paulo brachte Binotto deshalb einen alten Bekannten aus Ferrari-Zeiten in Stellung: Der Spanier Ignacio Rueda, zuletzt Chefstratege und Fabrikleiter in Maranello, wird künftig in Hinwil der Sportdirektor sein – unter dem britischen Teamchef Jonathan Wheatley, dessen Wechsel von Red Bull Racing in die Schweiz schon länger feststeht. Chefingenieur wird Giampaolo Dall’Ara, der bereits früher bei Sauber war. Er soll die Performance des Autos verbessern. Viel erfahrenes und erfolgreiches Führungspersonal, das schnell die Schwachpunkte in der Rennstallstruktur erkennen dürfte.

Weichen muss dafür ein Urgestein bei Sauber: Beat Zehnder, der einst als Chefmechaniker angefangen hatte, wird nach fast vier Jahrzehnten und an die 600 Grand-Prix-Rennen auf einen ruhigeren Posten versetzt. Der 58-Jährige will kürzertreten, er soll sich um das historische Erbe des Rennstalls kümmern. Bei Bedarf soll der exzellente Regelkenner auch die Crew im Einsatz beraten. Was aus dem bisherigen Teambevollmächtigten Alessandro Alunni Bravi wird, ist noch offen.

Dass ein Team, das derartige Möglichkeiten hat, so konsequent hinterherfährt, ist ungewöhnlich. Einigen anderen Rennställen ist es gelungen, während einer Saison den technischen Aufschwung zu schaffen. Das beste Beispiel dafür ist das Haas-Team, das auf WM-Rang sieben liegt. Die Amerikaner sind nach dem Führungswechsel vom exzentrischen Günther Steiner zum besonnenen Ayao Komatsu zur Ruhe gekommen und machen künftig gemeinsame Sache mit dem Toyota-Konzern.

Wird ein 20-jähriger Brasilianer Stammfahrer?

In ruhigere Gefilde kommt Sauber nur, wenn sich die Reaktionsfähigkeit und die Performance in der Fahrzeugkonstruktion und -weiterentwicklung stark verbessern. Gut Ding in der Formel 1 will Eile haben, selten Weile. Für das Rennen in Las Vegas in drei Wochen ist ein letztes technisches Upgrade für den C44-Wagen geplant, von dem sich Binotto Aufschlüsse für die nächste Saison erwartet. In den verbleibenden drei Saisonrennen müssen die Voraussetzungen für einen grundlegenden Neustart geschaffen werden.

Schneller muss die Entscheidung fallen, wer der künftige Teamkollege des Deutschen Nico Hülkenberg sein wird. Lange Zeit schien der bisherige Stammfahrer Valtteri Bottas favorisiert, obwohl der 35 Jahre alte Finne über drei Saisons hinweg nicht die erwarteten Impulse geben konnte. Für das Übergangsjahr 2025 auf Erfahrung zu setzen, mag nicht falsch sein, aber dieses Profil deckt bereits der 37-jährige Hülkenberg ab. Und jüngst haben zahlreiche andere Rennställe erfolgreich auf die nachrückende Fahrergeneration gesetzt.

Eine Alternative für Bottas wäre der aus São Paulo stammende Brasilianer Gabriel Bortoleto, der gerade erst 20 Jahre alt geworden ist. Bortoleto führt die Formel 2 an und steht als Ersatzfahrer bei McLaren unter Vertrag. Die Briten würden das Talent freigeben, wenn er anderswo Stammfahrer werden könnte. Im Fahrerlager von Interlagos ist jüngst darüber verhandelt worden, eine Einigung scheint nah. Bortoleto würde auch willkommene Sponsorengelder aus Südamerika nach Hinwil mitbringen. Vor allem aber wäre er der Inbegriff dessen, was Sauber beleben könnte: frisches Blut.

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