Samstag, November 30

Der Verband hat sich für seine neue Frauen-Equipe vergeblich um finanzkräftige Sponsoren bemüht. Beobachter sehen weitere kritische Punkte. Etwa ob Swiss Cycling bei der Selektion für internationale Titelkämpfe künftig Fahrerinnen von Nexetis bevorzugen könnte.

Die Wahl der Lokalität unterstrich die Ambitionen. Der Eventsaal der Zürcher Szene-Location Aura ist für Veranstaltungen mit bis zu 600 Personen konzipiert. Dort stellte der Verband Swiss Cycling am Montag unterstützt von einer professionellen Moderatorin sein neues Projekt vor: ein Strassenradteam für Frauen, das ab der Saison 2025 im Einsatz sein wird.

Die Pläne sind gross. «Wir wollen junge Frauen inspirieren, sich dem Radsport zu verschreiben», sagt der Swiss-Cycling-Geschäftsführer Thomas Peter der NZZ. «Es muss unser Ziel sein, dass sie denken: Ich möchte auch einmal Teil von diesem Team werden. Talente sollen es in der Schweiz künftig einfacher haben, als es einst eine Marlen Reusser hatte.»

In den letzten Jahren waren Schweizer Strassenradfahrerinnen durchaus erfolgreich. Reusser gewann internationale Titel, Elise Chabbey entwickelte sich zur respektierten World-Tour-Athletin, im September holte Jasmin Liechti an den WM in Zürich Silber in der Kategorie U 23. Aber Reusser, Chabbey und Liechti sind alle Quereinsteigerinnen, die spät zum Radsport fanden. Sie fielen Swiss Cycling gewissermassen in den Schoss. Eigene Talente aus tiefen Nachwuchskategorien bis an die Spitze zu führen, ist dem Verband bisher auf der Strasse kaum gelungen, eine der ganz wenigen Ausnahmen ist Noemi Rüegg.

Versuche, im Frauenradsport besser Fuss zu fassen, gibt es naheliegenderweise schon lange: International gewinnt dieser rasant an Bedeutung. Doch die Bemühungen blieben bisher Stückwerk. Bereits Christian Rocha wollte als Frauen-Nationaltrainer von 2011 bis 2015 mehr Einsatzmöglichkeiten mit dem Nationalteam, mehr Frauenrennen in der Schweiz, neue Angebote für Fahrerinnen. Swiss Cycling entliess ihn, begründet durch Sparmassnahmen und mangelnden Erfolg. Seitdem gab es bei Swiss Cycling keinen Nationaltrainer mehr, der sich ausschliesslich um Strassenfahrerinnen kümmerte.

Mehrere Kündigungen im Verband – auch eine frühere britische Weltmeisterin ging

Die personelle Fluktuation beim Verband ist generell stark. 2019 startete Swiss Cycling das Projekt «Fast and Female», um Hürden beim Einstieg in den Radsport abzubauen. Die frühere Welt- und Europameisterin Emma Pooley aus Grossbritannien übernahm die Leitung, kündigte jedoch bereits nach einem Jahr. «Mir fehlten messbare und effektive Zielsetzungen», sagte sie später. Auch ihre Nachfolgerin, Natalie Müller, warf nach kurzer Zeit hin.

Die wechselhafte Vorgeschichte trägt dazu bei, dass wichtige Personen aus der Schweizer Veloszene mittlerweile skeptisch auf neue Initiativen von Swiss Cycling im Frauenradsport reagieren. Deutlich äussern sich die Protagonisten nur in Hintergrundgesprächen, zitieren lassen möchte sich niemand.

Die Entstehungsgeschichte von Nexetis belegt die allgemeine Zurückhaltung. Theoretisch wäre denkbar gewesen, dass Swiss Cycling die neue Frauen-Equipe in Kooperation mit einem der beiden in der Schweiz existierenden Männerteams lanciert. Die Verantwortlichen von Tudor und Q36.5 zeigten jedoch in Gesprächen kein Interesse. Auch ein finanzstarker Sponsor fand sich bisher nicht. Immerhin wird das Frauenteam von den Ausrüstern Thömus, DT Swiss und Assos unterstützt. Doch die Suche nach potenten Geldgebern geht weiter.

In Ermangelung eines Namenssponsors taufte Swiss Cycling das Team Nexetis, eine Kombination aus den Begriffen Nexus, Next und Ethos. Das Budget beträgt in der ersten Saison 2 Millionen Franken, wobei das Material mehr als die Hälfte des Betrages ausmacht und von den genannten Ausrüstern gestellt wird. Vom Barbetrag in Höhe von 800 000 Franken übernimmt Swiss Cycling maximal die Hälfte.

Grossfirmen wurden in den letzten Monaten gemäss übereinstimmenden Schilderungen mit einer irreführenden Präsentation umworben. Alessandra Keller, die Gesamtsiegerin im Mountainbike-Weltcup, tauchte darin als Aushängeschild des Teams auf, obwohl sie zumindest bis jetzt nicht bei Nexetis unterschrieben hat.

Swiss Cycling bestätigt den Vorgang auf Anfrage indirekt. Es habe zur Diskussion gestanden, «hochklassige Mountainbikerinnen wie Alessandra Keller oder Jolanda Neff (. . .) als Gastfahrerinnen ins Team zu integrieren», heisst es in einer Stellungnahme. Wegen bestehender Verträge mit anderen Teams sei eine solche Einbettung nicht einfach. Man suche weiter nach Lösungen.

Steigt ein Sponsor aus Japan ein?

Prominente Namen fehlen nun also im Aufgebot, die bekannteste Vertreterin von Nexetis ist Stand heute die WM-Zweite Liechti. Das Team besteht aus acht Schweizer Talenten, hinzu kommen drei Japanerinnen und eine Slowenin. «Die jungen Fahrerinnen brauchen Renneinsätze, um physiologisch weiterzukommen», sagt der Swiss-Cycling-Geschäftsführer Thomas Peter. Man wolle den Fahrerinnen ein Grundgerüst an Strassenrennen bieten. «Sie sollen nicht gezwungen sein, sich einem ausländischen Team anzuschliessen, um Rennpraxis zu sammeln. Viele wären noch nicht reif genug für einen Wechsel ins Ausland.»

Aussenstehende fürchten Interessenkonflikte, etwa im finanziellen Bereich: Der Verband erhält Steuergelder, tritt nun aber in Konkurrenz zu Privatteams. Darauf angesprochen, entgegnet Thomas Peter: «Es gibt immer tausend Gründe, etwas nicht zu machen.» Swiss Cycling habe klare Rahmenbedingungen geschaffen, um Interessenkonflikte auszuschliessen.

Der Verband hat zwecks formeller Unabhängigkeit die Fast and Female Team AG gegründet, in welcher Peter ehrenamtlich als Verwaltungsratspräsident fungiert. Der Nationaltrainer Edi Telser wird künftig je zur Hälfte bei Swiss Cycling und bei Nexetis angestellt sein. Auch für Mechaniker, Physiotherapeuten und Soigneurs des Verbands sind Teamanstellungen vorgesehen. Die direkten Kosten der ausländischen Fahrerinnen sollen extern abgedeckt werden. Denkbar ist, dass zum Beispiel ein Sponsor aus Japan an Bord kommt.

Beobachter stellen weitere kritische Fragen. Etwa ob der Verband bei der Selektion für internationale Titelkämpfe künftig Fahrerinnen von Nexetis bevorzugen könnte. «Dass es extern solche Befürchtungen gibt, ist nachvollziehbar», sagt dazu ein Mediensprecher. «Wir intern haben keine Bedenken, weil wir unseren Kriterien treu bleiben und weiterhin die Athletinnen mit den besten Aussichten selektionieren werden.» Auch mit Tudor habe der Verband eine Partnerschaft, ohne dass Athleten des Teams bevorzugt würden.

In der Szene-Location Aura blieben am Montag etliche Plätze frei. Gleichzeitig beklagen Vertreter anderer Privatteams, nicht aktiv über das Projekt Nexetis informiert worden zu sein. Manches Missverständnis liesse sich womöglich vermeiden, würde in der Schweizer Veloszene mehr miteinander gesprochen als übereinander.

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