Im Biopic «Back to Black» wird das bittere Schicksal der Britin nachgezeichnet. Dabei stehen nicht die biografischen Fakten im Vordergrund, sondern die Message der Songs.
Plötzlich kein Geschehen mehr. Der Raum geht vergessen, die Zeit hält inne. Und der Film verharrt scheinbar in einem Standbild von Amy Winehouse. In der Reglosigkeit aber wird ihre hilflose Seele von der Fliehkraft des Dramas förmlich überwältigt. Man könnte meinen, in der Handlung sei die Bremse gezogen worden, damit das Publikum mitfühlt, wie die träge Hand der Tragik ein Herz zerbricht. Schlimmer noch – eine Existenz.
Gelebte Songs
Das ist eine erste Schlüsselszene in «Back to Black», dem neuen Amy-Winehouse-Biopic der britischen Regisseurin Sam Taylor-Johnson («Fifty Shades of Grey»). Amy Winehouse hat von ihrem Lover Blake Fielder-Civil gerade erfahren, dass er Schluss machen will mit ihr, um zu seiner Ex zurückzukehren.
Dass diese Liebe das Leben von Amy Winehouse schicksalshaft prägte, weiss man aus den Liedern der phänomenalen Sängerin. Auf ihrem Album «Back to Black» (2006) hat sie ihren Trennungsschmerz mit der für sie typischen Dringlichkeit, Nonchalance und Melancholie besungen. Wie nur wenige Sänger entspricht die Britin einer naiven Vorstellung von Expressivität: Ihre Songs wecken den Eindruck, sie lasse ihre Gefühle und Regungen direkt in Melodien und Rhythmen einfliessen. «Ich lebe meine Songs», sagt sie im Film; man nimmt ihr das sofort ab.
Sam Taylor-Johnson setzt in ihrem Film auf die melodramatische Dynamik einer Lovestory. Das generiert einerseits Spannung und Mitgefühl; andererseits scheint das biografisch zunächst durchaus plausibel. Die Regisseurin hält sich allerdings weniger an die Fakten als an die Songs, deren Gehalt sie gewissermassen in situative Lebendigkeit zurückzuübersetzen sucht.
Es ist bezeichnend für den Film, dass er die Etappen der künstlerischen Karriere zumeist im Hintergrund nachzeichnet. Im Vergleich zu ähnlichen Biopics zeigt die britische Regisseurin ihren Star nur selten im Studio oder auf der Bühne. Man sieht Amy Winehouse vor allem in kleinen Klubs. Ihre bedeutenden Produzenten Salaam Remi und Mark Ronson lernt man kaum kennen. Selbst die Grammy-Verleihung – immerhin hat Amy Winehouse 2008 fünf Awards für das Album «Back to Black» gewonnen – bleibt ein Nebenschauplatz. Umso mehr Raum steht Sam Taylor-Johnson zur Verfügung, um Leben und Wirken des britischen Pop-Stars auf eine persönliche Weise auszulegen.
Wer einen Roman verfilmt, darf sich künstlerische Freiheiten herausnehmen. Die Qualität eines Films bemisst sich in erster Linie nach der eigenen Stimmigkeit, bloss sekundär nach der Genauigkeit der Umsetzung. Wie aber ist es im Fall eines Biopics, das zwar wie ein fiktionaler Spielfilm daherkommt, aber auch dokumentarischen Zielen dient?
Diese Frage stellt man sich bei «Back to Black» immer wieder. Umso mehr, als Asif Kapadia 2015 mit seiner Dokumentation «Amy» die Biografie der Künstlerin bereits ausgeleuchtet und die Öffentlichkeit somit auf den letzten Stand gebracht zu haben schien.
Tatsächlich weicht «Back to Black» mehrmals von jenen Fakten ab, die Kapadia publik gemacht hat. Amys Kindheit und Jugend etwa bleibt in «Back to Black» weitgehend ausgeklammert. Dass die Eltern getrennt sind, zeigt Taylor-Johnson zwar gleich zu Beginn. Dass die Tochter deshalb jahrelang unter Depressionen und Bulimie zu leiden hatte, wird hingegen verschwiegen.
Stattdessen lernt man Amy Winehouse (Marisa Abela) als vergnügte junge Frau kennen, die zunächst im Kreise ihrer jüdischen Verwandtschaft als Sängerin glänzt. Sie schwärmt von den Klamotten ihrer Grossmutter, sie steht auf Jazzlegenden wie Thelonious Monk oder Sarah Vaughan, und sie mag Affären mit wechselnden Typen. Wenn das nicht genügt, verstärkt sie ihre Lebenslust noch durch allerlei Rauschmittel; erst später wird sich deren fatale Wirkung offenbaren.
Besser als das Leben
Das ausserordentliche Talent der jungen Sängerin scheint vor allem von ihrem Vater Mitch Winehouse gefördert zu werden. In «Back to Black» wird er als liebenswürdiger und geduldiger Papa gezeigt, der dem Witz und der Vitalität seiner Tochter kaum gewachsen ist. Spätestens seit Asif Kapadias Dokumentarfilm aber weiss man, dass der Vater Winehouse den Absturz seiner Tochter durch Sturheit und Gier beschleunigt hat. Ähnliche Verzerrungen gibt es auch beim Liebhaber Blake Fielder-Civil: Von diesem Typen aus der Punkszene Camden Towns hatte man bisher einen trüben Eindruck. Man fragte sich, weshalb sich die flamboyante Diva ausgerechnet in einen solchen Langweiler verknallt hatte.
«Back to Black» gibt darauf keine Antwort, er schafft vielmehr neue Voraussetzungen: Jack O’Connell in der Rolle von Blake verleiht Amys Lover Charisma, Schlagfertigkeit und proletarischen Witz. Sein erster Auftritt am Bartresen eines Londoner Billardsaals, wo er ironisch daherquasselt und flirtet, erweist sich gleich als furiose Kür. Und sofort versteht man, dass sich Amy Winehouse von seiner Aura blenden lässt.
Von da an wird «Back to Black» zum mitreissenden Pas de deux zweier überzeugender Schauspieler, die in den wechselnden Episoden von Lust und Frust mit psychologisch plausiblen Reaktionen aufwarten. Marisa Abela ist für diesen Film ein Glücksfall.
Es gelingt der 27-jährigen Britin beispielhaft, den melodramatischen Tonfall und die differenzierte Phrasierung der unvergleichlichen Sängerin zu imitieren. Gekrönt mit einer Beehive-Frisur, gezeichnet von markigen Tattoos, bringt sie in ihrer Rolle auch die Ambivalenz von Vitalität und Verzweiflung zum Ausdruck. Und wenn sie sich in den gut zwei Stunden des Films von einem aufgekratzten Mädchen in eine gebrochene, verzweifelte Frau verwandelt hat, ist man fast so traurig wie damals im Juli 2011, als sich die Nachricht von Amys Tod verbreitete.
Das Sterben der Heldin zeigt Sam Taylor-Johnson allerdings nicht. Auch den letzten Auftritt der Sängerin in Belgrad, wo sie betrunken über die Bühne torkelte, hat die Regisseurin ausgeklammert. In diesem Fall spricht die Auslassung für eine gewisse Würde und Diskretion. Insgesamt aber muss sich Sam Taylor-Johnson den Vorwurf von Klitterung oder Idealisierung gefallen lassen. Und so überrascht es nicht, dass sie schon vor der Filmpremiere mit einem Shitstorm jener Amy-Winehouse-Fans konfrontiert wurde, die Abweichungen von der Wirklichkeit als Sakrileg betrachten.
Man kann es aber auch anders sehen. Es gibt nicht nur die Wirklichkeit der Fakten, es gibt auch eine Wahrheit des Werks, das in der Rezeption ein Eigenleben entwickelt. Wie jedes Kunstwerk entfalten sich auch Songs in den Vorstellungen des Publikums. Sam Taylor-Johnson hat sich deshalb eine gewisse interpretatorische Freiheit herausgenommen, um das Repertoire und das Leben der Soul-Diva gleichsam als mythischen Stoff zu behandeln und die exemplarische Tragik ihrer Existenz möglichst plastisch zu gestalten.
Wenn der Vater und der Liebhaber idealisiert werden, mag dadurch das reale Drama, das sie mitverantwortet haben, zwar verfremdet werden. Aber es hilft, die Passion der Sängerin besser nachzuvollziehen. Triebkraft ihres Fatums scheint in «Back to Black» nicht mehr nur die Charakterschwäche ihrer Mitmenschen, sondern vor allem die Unmöglichkeit ihrer Liebe.
Traurige Heldin
In «Back to Black» wird die Sängerin als Star am Himmel des Erfolgs gezeigt, der, gejagt von den Heerscharen der Paparazzi, allmählich in der Hölle von Einsamkeit und öffentlicher Ächtung versinkt. Das Genie, mit dem die Künstlerin gesegnet ist, nützt dabei nichts gegen ihren tödlichen Liebeskummer. Es bewährt sich immerhin als Medium, um «negative Erfahrungen in etwas Gutes zu verwandeln», wie sie sagt.
Sam Taylor-Johnson setzt die Sängerin überdies als traurige Heldin einer untergehenden Epoche in Szene. Das zeigt schon die enge Verbindung von Amy Winehouse zu ihrer Grossmama. Dieser gesteht sie nicht nur Gedanken und Gefühle, sie orientiert sich auch an Kleidung und Accessoires der alten Dame.
Ähnlich aufschlussreich sind die steten Bezüge zum Jazz: Amy Winehouse’ gesangliche Vorbilder – Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Dinah Washington – bestimmen den Soundtrack mit. Sie selber singt alte Standards, und ihrem Rocker-Freund Blake gegenüber outet sie sich als Jazzerin. Jazz wird so gleichsam zur Metapher einer verklärten Vergangenheit, in der sich die Gesangskunst noch an feinen Gefühlsregungen und romantischen Idealen nährte.
Wenn eine Ära untergeht, lebt sie fort in der Nostalgie. Wenn eine junge Sängerin stirbt, wird ihr Gesang zur Trauermusik. So hat der Tod aus den Liedern von Amy Winehouse ein bitteres Requiem komponiert.