Montag, Oktober 7

Auf den Weltmeeren sind 1750 Jachten unter Schweizer Flagge unterwegs – so viele wie noch nie. Das Unglück der «Bayesian» könnte dem Business paradoxerweise Schub verleihen.

Sie wurde gebaut, um jedem Sturm zu trotzen. Und doch haben die Wellen die «Bayesian» nur 700 Meter vor der italienischen Insel Sizilien verschluckt. Der Untergang der Segeljacht des britischen Milliardärs Mike Lynch, der dabei zusammen mit sechs weiteren Personen das Leben verlor, hat weltweit Erschütterung ausgelöst. Vor allem in der von grosser Leidenschaft angetriebenen Segel- und Jachtenszene.

Das weite, offene Meer löst Sehnsüchte aus. Um diese zu stillen, ist eine riesige Industrie entstanden. «Wassersport und das Wasser allgemein werden immer zugänglicher. Vor zehn Jahren konnte man noch nicht einfach so auf den See. Jetzt haben alle ein aufblasbares Stand-up-Paddle», sagt der Basler Cornelius Kistler, Gründer von Breeze Yachting, einem Jacht-Brokerage-Unternehmen. Ähnliches spiele sich auch auf dem Meer ab, sagt Kistler.

Breeze Yachting übernimmt Dienstleistungen entlang der ganzen Wertschöpfungskette von Jachten. Die Firma berät interessierte Kunden beim Kauf eines Schiffs. Sucht potenzielle Abnehmer, wenn dieses wieder veräussert werden soll. Kümmert sich um die Crews. Vermittelt Jachten für Ferien. «Das Meer ist die letzte grosse Freiheit. Man kann in einer Bucht ankern und morgens mit Blick aufs Wasser in Ruhe einen Espresso trinken. Das ist es, was unsere Kunden suchen», sagt Kistler.

Wie gross der Markt ist, lässt sich nicht genau beziffern. Das liegt daran, dass er unübersichtlich ist und sich schwer abgrenzen lässt. Das amerikanische Marktforschungsunternehmen Grand View Research berechnete für das Jahr 2023 einen Gesamtumsatz von 9,4 Milliarden Dollar. Im ersten Halbjahr 2024 wurden laut dem Marktreport der griechischen Jachtfirma IYC weltweit 366 Schiffe verkauft, darunter 103 neue.

Die Crew ist das Wichtigste

Es sei ein sehr langfristiges Geschäft, sagt der Jacht-Broker Cornelius Kistler. «Wir verkaufen pro Jahr zwischen zehn und vierzehn Jachten und haben 40 000 Kontakte in unserem Register. Manchmal beraten wir einen Kunden zwölf Jahre lang, bis wir einen Kauf für ihn tätigen.» Bei Kistler kann man Jachten aber auch chartern. «Wir wollen aufzeigen, dass eine Jacht ein zugänglicher Luxus ist», sagt er.

Auch das Binnenland Schweiz hat die Seefahrt für sich entdeckt. Das lässt sich sogar an Zahlen festmachen. Laut dem Schweizerischen Seeschifffahrtsamt in Basel, das zum Aussendepartement (EDA) gehört, sind auf den Weltmeeren zurzeit 1750 Jachten unter Schweizer Flagge unterwegs. Hinzu kommen rund 420 Küsten- und Kleinboote. Gemäss EDA ist die Zahl der registrierten Schiffe in den letzten zehn Jahren um rund 250 gestiegen, «prozentual etwa vergleichbar mit der Bevölkerungszunahme». Und das, obwohl die Hürden für eine Schweizer Registrierung sehr hoch sind.

Den Untergang der «Bayesian» werten die Brancheninsider nicht als schlechtes Omen fürs Business. Jachten sind zwar durchaus ein Hobby für Menschen mit einem Hang zur Exzentrik und natürlich einem grossen Portemonnaie: Eine Woche auf einem 25-Meter-Katamaran vor der Amalfiküste kostet im Hochsommer rund 60 000 Euro inklusive Crew – plus 30 Prozent Nebenkosten.

Aber es ist kein risikobehaftetes Abenteuer wie etwa der Tauchgang des U-Boots «Titan» im vergangenen Jahr, welcher ebenfalls tragisch endete. «Wegen des Unglücks sind bei uns keine Fragen von Kunden eingegangen. Im Gegenteil: Die Berichterstattung hat zusätzliches Interesse an Jachten geweckt», sagt der Walliser Thomas Lauber, der mit seiner Firma Executive Yachting Ferien auf einem Luxusschiff vermittelt.

Er habe derzeit viele Anfragen für Geburtstagsfeiern auf einer Jacht, sagt Lauber. «Die Leute möchten einen speziellen Anlass mit ihren Nächsten verbringen. So wie man lesen konnte, wollte Mike Lynch auf der Jacht einen gewonnenen Rechtsstreit feiern. Das ist ein typischer Anlass.»

Welche Rolle die Mannschaft beim Untergang der «Bayesian» im Mittelmeer spielte, wird derzeit untersucht. Laut dem Jachtenexperten Cornelius Kistler ist es entscheidend, die richtige Crew zusammenzustellen. Eine 80-Meter-Jacht sei wie ein kleines Kreuzfahrtschiff. Inklusive Schiffsingenieur, Koch und Stewards komme man schnell auf eine Mannschaft von 24 Personen. «Es ist letztlich so, als würde man sein eigenes Hotel betreiben», sagt Kistler.

Auf kleineren Schiffen hingegen sei es entscheidend, dass der Kapitän mehr sei als ein guter Steuermann. «Er muss nicht nur alle Sicherheitsvorkehrungen kennen. Er muss auch handwerklich gut sein.» Denn die Sonne und das Salzwasser würden den Schiffen zusetzen. Es gebe immer etwas zu reparieren.

Geld spielt keine Rolle

Was die Jachtbranche aussergewöhnlich macht: Den schwerreichen Besitzern der Schiffe ist es in der Regel egal, ob diese rentieren oder nicht. Ihr eigenen Firmen – Jachtbesitzer sind mehrheitlich erfolgreiche Unternehmer – führen sie nach knallharten betriebswirtschaftlichen Kriterien. Auf dem Meer aber ist das alles nicht so wichtig. Eine extravagante Ausstattung, horrende Betriebs- und Wartungskosten sowie die Löhne für die Angestellten machen Jachten zu Geldvernichtungsmaschinen. Doch nicht nur dürfen sie das, sie sollen es sogar sein.

«Jachten sind die Formel 1 der maritimen Wirtschaft. Weil für die Eigner der Gewinn nicht im Vordergrund steht, wird sehr viel ausprobiert und innoviert. Alles ist sehr individuell», sagt der Jachtbroker Cornelius Kistler. Er sagt, er pflege einen sehr schweizerischen Zugang zum Geschäft: bodenständig, ehrlich, serviceorientiert. So kann er sich abgrenzen von der Konkurrenz. Der Jachtmarkt sei wie eine Mischung aus Kunst- und Immobilienmarkt. «Es ist eine unstrukturierte Wildwestbranche. Vieles hängt von den Persönlichkeiten ab.»

Das Geschäft mit den Jachten ist letztlich das materialisierte Erfüllen eines Traumes, den fast alle Menschen kennen: das Meer für sich allein zu haben. Koste es, was es wolle.

Ein Artikel aus der «»

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