Zug, dieses Wochenende Gastkanton am Zürcher Sechseläuten, ist wenig bekannt. Der Falter stösst aber auf einen klaren Standortvorteil: «Hidén Harlekin» zählt zu den bemerkenswertesten Bars des Landes.
Zug wird am Montag im Zug der Zünfte mitziehen, und der Falter wagt vor dem Sechseläuten den Gegenbesuch beim Gastkanton. Also steigt er auf einer Zugreise Richtung Süden in der Hauptstadt des kleinsten Vollkantons aus, der mit seinem grossen Nachbarn um zugkräftige Steuerzahler ringt: Es ist Zunder in der Beziehung zwischen Zürich und Zug, nicht nur, wenn der Böögg brennt.
Nun, zur Liebe auf den ersten Blick führt die Ankunft nicht. Der Weg führt die Hauptstrasse östlich des Bahnhofs entlang, die protzig hässliche Fassaden säumen. Dann aber vermittelt ein Eisenbahnviadukt etwas subkulturelles New-York-Feeling, und wer kurz danach einen unterkühlten Hintereingang nimmt und einige steinerne Stufen hinuntersteigt, der landet in einer anderen Zeit. Die Unterwelt des Steuerparadieses ist keine Ansammlung namenloser Briefkästen.
«Herzlich willkommen», sagt der Bartender. Für die Hölle ist es hier unten viel zu behaglich, für den Himmel zu schummrig, und zwischen den beiden Ebenen vermittelt der Harlekin, nach dem diese grossflächige und gleichzeitig intime Bar benannt ist: Im ersten Namensteil klingt zwar das englische Wort für «versteckt an», doch steht «Hidén» in der japanischen Mystik für das Tor zu einer anderen Welt.
Das Interieur, durch antike Wandlichter in warmes Licht getaucht, ist bis ins Detail durchdacht und wirkt doch ganz ungezwungen. Entlang der Wände mit handbedruckten Tapeten laden unter Baldachinen ockerfarbene Lederpolstergruppen, dahinter dösen in Regalen alte Schallplatten, «Du»-Hefte und Bücher.
Aus hochwertigen Boxen knistern Aufnahmen unsterblicher Jazzklassiker, von «What a Difference a Day Makes» bis «Show me the Way to Go Home», und der Falter nippt an einem der Signature-Cocktails, die ihre gehobenen Preise absolut wert sind. Den Umeshu sour (Fr. 21.–) auf Basis des japanischen Aprikosenlikörs krönt ein Träumchen von einem Schäumchen aus dem Kichererbsenwasser Aquafaba, perfekt austariert sind Süsse und Säure.
Der Lampion unter der Decke spiegelt sich im Drink, der Falter taucht gedanklich so tief ins Glas ein, dass er übersieht, wie einer auf die Bühne kommt und eine Gibson auspackt, um sich einzuspielen. Zu Red Garlands «Almost Like Being in Love» im Hintergrund zupft der Gitarrist virtuos-leger ein paar Akkorde mit, das Klackern von Eiswürfeln im Shaker mischt sich ein. In der zweiten Wochenhälfte gibt’s hier fast jeden Abend Jazzkonzerte, gerne würde der Gast die 20 Franken Eintritt nachzahlen, müsste er nicht schon wieder aufbrechen.
Vor gut einem halben Jahrhundert war dieses Untergeschoss ein Dancing, als Letztes war der «Topas»-Klub eingemietet. Seit zwei Jahren aber erweist der Hotelfachschulabsolvent Kevin Tarō Bicker, Innendesigner und Kalligraf, mit seinem Team der fast hundertjährigen Jazz-Kissa-Tradition die Reverenz. Sie lässt sich zurückführen auf Zeiten, da die westliche Kultur in Japan unterdrückt wurde – und das Publikum zelebrierte Jazz auf Vinyl in illegalen Underground-Bars.
Bicker, der Sohn einer Japanerin und eines Zugers, ist beseelt von der japanischen Kultur des Wabi Sabi, gemäss der erst die Spuren des Alters die Dinge vollkommen machen. Seine Bar atmet diesen Geist, und die Karte im schön abgegriffenen Lederumschlag rahmen Verse alter Haiku-Meister wie Kobayashi Issa aus dem 18. Jahrhundert, sinngemäss etwa so zu übersetzen: «Unter den Kirschblüten sind Fremde nicht wirklich Fremde.»
Nicht als Fremder kehrt der Falter wieder zu den Zuger Kirschblüten. «Willkommen zurück», sagt Brian Manguru, der freundliche Bartender an diesem Mittwoch um 21 Uhr. Ein Dutzend Gäste, vom Twen- bis zum Rentenalter, lauschen einem Musiker, über die Klaviatur wirbeln die Finger von Alessandro d’Episcopo, er spielte einst mit Chet Baker und unterrichtet an der Zuger Musikschule.
Der Chef der Bar, Pascal Schönenberger, berät den Falter in Cocktailfragen so engagiert, dass er mit seiner Stimme das Klavier zu übertönen droht. Beim Yuzu Gimlet (Fr. 23.–), verspielt und gradlinig zugleich, swingt das unverkennbare Aroma der Yuzu mit der Süsse von Agaven- und Ahornsirup und japanischem Gin. Und der aufwendig geklärte Leche de Pantera mit dunklem Rum ist ein alchemistisches Zauberstück, inspiriert vom Mai-Tai-Drink, aber klar, farblos und frisch wie ein Bergbach.
«Hidén Harlekin» erweist sich als klarer Standortvorteil für Zug: Eine der bemerkenswertesten Bars des Landes hat des Falters Herz erobert. Er ist nicht zum letzten Mal hier ausgestiegen.
Jazz-Bar
Hidén Harlekin
Bahnhofstrasse 30, 6300 Zug
Sonntag bis Dienstag geschlossen.
Der Nachtfalter ist stets unangemeldet und anonym unterwegs und begleicht am Ende stets die Rechnung. Sein Fokus liegt auf Bars in Zürich, mit gelegentlichen Abstechern in andere Städte im In- und Ausland.
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