Zehn Prozent des städtischen Energiebedarfs sollen bis 2030 aus Solarstrom kommen. Die links-grünen Ausbaupläne stossen jedoch auf Widerstand.
Alle reden über die Solaroffensive. Riesige Solarparks in den Alpen und Panels auf den Dächern von Liegenschaften und Häusern in den Städten sollen die Energiewende ermöglichen – um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas zu minimieren und die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten.
Die Frage ist bloss: Wie schnell ist der Umbau der Energieinfrastruktur möglich?
In der Stadt Zürich wollen SP, Grüne, GLP und EVP den Ausbau der Photovoltaik in rasantem Tempo vorwärtstreiben. Bis 2030 sollen mindestens zehn Prozent des städtischen Strombedarfs damit abgedeckt sein. Das entspräche gemäss heutigem Stand rund 300 Gigawattstunden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten pro Jahr über 2500 neue Photovoltaikanlagen installiert werden.
Für den Stadtrat ist dieses Ziel nicht realistisch. Er hat die Zielsetzung deshalb um zehn Jahre verschoben. Statt bereits 2030 soll die Marke erst bis 2040 umgesetzt werden. Unter anderem soll der Zubau auf die Renovationszyklen der Gebäude abgestimmt werden. Dieses Ziel sei zwar immer noch ambitioniert, aber erreichbar, hält der federführende Stadtrat Michael Baumer (FDP) fest.
Seine Pläne sorgten im Zürcher Gemeinderat am Mittwoch für harsche Kritik. Der Vorsteher der Industriellen Betriebe musste sich anhören, seine Zielsetzungen seien unambitioniert und grenzten an Arbeitsverweigerung.
Bericht kommt zu einem klaren Verdikt
Um die Möglichkeiten einer Solaroffensive auf städtischen Hausdächern aufzuzeigen, gab der Stadtrat einen Bericht in Auftrag. Dieser wurde im Februar 2023 publiziert und kam zu einem klaren Verdikt: Das von Links-Grün geforderte Ziel sei nicht erreichbar.
Das Potenzial wäre zwar theoretisch vorhanden. Würden alle geeigneten Dächer in der Stadt mit Photovoltaikanlagen ausgestattet, könnten rund 500 Gigawattstunden Solarstrom pro Jahr produziert werden. Noch grösser wäre das Potenzial, würde man auch Fassaden oder begrünte Dachflächen einbeziehen.
Doch Zürich hinkt beim Ausbau hinterher. Laut Bericht zuhanden des Gemeinderats verläuft der Photovoltaik-Ausbau deutlich langsamer als im Rest der Schweiz. Spitzenreiterin bei den Schweizer Städten ist Basel.
Um das Ziel von 300 Gigawattstunden zu erreichen, müssten laut Bericht mehr als die Hälfte der Gebäude mit Photovoltaikpotenzial eine Anlage erhalten. Weiter müssten doppelt so viele Dächer saniert werden wie heute, und bei jeder Dachsanierung wäre zwingend eine Photovoltaikanlage einzubauen. Das alles, ohne dass es für Solaranlagen bei bestehenden Liegenschaften eine rechtliche Verpflichtung gibt.
Ausserdem müssten die Panels auch verfügbar sein und von Fachleuten installiert werden können. Beides ist laut Stadtrat angesichts des globalen Booms bei Solaranlagen unsicher.
Ein wesentlicher Anreiz für einen verstärkten Zubau sind Fördergelder. Die Stadt spricht seit dem letzten Jahr auch Mittel, die nur indirekt mit einer Photovoltaikanlage zu tun haben. So gibt es für eine Verbesserung der Statik des Dachs oder für eine Asbestsanierung neu bis zu 50 000 Franken aus der Stadtkasse.
«Wir sind nicht auf Kurs»
Am Mittwoch debattierte der Gemeinderat über die richtige Zielsetzung. Dominik Waser (Grüne) kritisierte, Stadtrat Michael Baumer ignoriere den Willen des Parlaments. Stattdessen lenke er mit Verzögerungstaktiken, durch Experten widerlegten Argumenten und schönen Werbekampagnen von der eigenen Untätigkeit ab.
Der Stadtrat blende aus, dass sich die Rahmenbedingungen gerade rasch änderten, sagte Waser. Der Stadtrat sei nur bereit, Ziele zu setzen, die er auch sicher erreiche. «Das reicht nicht. Wir sind nicht auf Kurs. Wir brauchen mehr Tempo bei der Energiewende. Nicht nur Zürich, sondern die ganze Schweiz.»
Weniger harsch formulierte Beat Oberholzer (GLP) die Kritik seiner Partei. Oberholzer sagte, es sei deutlich mehr möglich, wenn die Stadt nicht nur die naheliegenden Massnahmen umsetze, sondern auch eine glaubhafte Vision ausarbeite, um die Stadt Zürich tatsächlich zur Solarstadt zu machen. Oberholzer entwarf dabei gleich ein neues Leitbild: Wenn man in Zukunft auf dem Üetliberg stehe und auf die Stadt hinunterschaue, dann müsse es einen von den vielen Solaranlagen blenden.
Stadtrat Michael Baumer verteidigte das Vorgehen. Der politische Wille sei da, sagte er. «Wir wollen das Potenzial so gut wie möglich ausnutzen. Zürich ist auf dem Weg zu einer Solarstadt, so weit das möglich ist.» Seiner Verwaltung mangelnde Ambitionen vorzuwerfen, sei deshalb eine Frechheit. Die Zielsetzung der Stadt entspreche den Fakten. «Sie hingegen lehnen die Realität ab», sagte Baumer zu seinen Kritikern.
«Wer das Gefühl hat, dass man die Energiestrategie mit Photovoltaikanlagen in den Grossstädten umsetzen kann, irrt.» Es brauche stattdessen auch erneuerbare Energiequellen ausserhalb der Stadt, einen Ausbau bei der Wasserkraft oder Solaranlagen in den Bergen beispielsweise. An die Grünen gerichtet, sagte Baumer: «Ich wäre froh, wenn Sie auf befreundete Verbände einwirken, um solche Projekte nicht zu torpedieren. Sonst erreichen wir die Ziele nicht.»
Support erhielt Baumer von Mitte und Bürgerlichen – und von Linksaussen. AL-Gemeinderat Andreas Kirstein erklärte, das Vorgehen des Stadtrats werde durch die meisten Experten gestützt, einen Game-Changer sehe er nicht.
Johann Widmer (SVP) sagte: «Man kann nicht einfach auf jede Liegenschaft eine Solaranlage stellen.» Die Forderungen der Grünen bezeichnete er als Träumereien. Und Benedikt Gerth (Mitte) erklärte, Links-Grüne versuchten mit der Brechstange, ihre Ziele durchzusetzen. «Es wäre sinnvoller, zusätzliche Anlagen in den Bergen zu bauen, das bringt massiv mehr als hier in der Stadt.»
Trotz den Einwänden hielt Links-Grün an den forschen Ausbauplänen fest. Die Parteien sorgten dafür, dass der vorgelegte Bericht des Stadtrats im Parlament ablehnend zur Kenntnis genommen wurde. Grüne, Grünliberale und SP kündigten zudem an, weiter Druck zu machen – unter anderem mit weiteren Vorstössen.