Der Hamburger Galerist Johann König glaubt sich in dem Buch von Christoph Peters wiederzuerkennen. Damit seien seine Persönlichkeitsrechte verletzt, argumentiert er. Die erste Instanz verteidigt die Freiheit der Literatur.
Der Mann ist nicht schwer zu erkennen. Bundestagsabgeordneter der Neuen Rechten. Alternder Chefideologe dieser Partei. Er trägt Tweed-Sakkos und dazu Krawatten, die zu seinem Markenzeichen geworden sind. Silberblau mit Forellen drauf. Die Figur Dr. Hermann Carius, die im Roman «Innerstädtischer Tod» von Christoph Peters vorkommt, erinnert deutlich an Alexander Gauland, den Ehrenvorsitzenden der AfD.
Beim echten Gauland haben die Krawatten bekanntlich ein Hundemuster, aber wir sind ja hier im Bereich der Fiktion. Als Person des öffentlichen Lebens und der, wenn man es einmal so nennen will, Zeitgeschichte weiss der AfD-Abgeordnete offenbar, dass das eigene Wirken bis in die Literatur ausstrahlen kann. Hingegen kann man nur rätseln über den anhaltenden Wunsch des prominenten Berliner Galeristen Johann König, die weitere Publikation des Romans «Innerstädtischer Tod» verbieten zu lassen, weil er sich darin porträtiert sieht.
In einem Beschluss von Ende Februar hat das Landgericht Hamburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgewiesen. Jetzt haben die beiden Antragsteller, Johann König und seine Frau Lena, eine sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss eingereicht. Damit geht die Causa in die nächste Instanz. Für die weitere Entscheidung ist jetzt das Hamburger Oberlandesgericht zuständig.
Literatur verwandelt die Wirklichkeit
Jedem das Seine. Man würde den allseits bekannten Alexander Gauland vielleicht nicht als Pop-Star der neuen Rechten bezeichnen, aber Johann König wurde von der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» als «der Pop-Star unter den Galeristen» gerühmt. Man muss einiges tun, um auf diese Art öffentlichkeitswirksam zu sein. Bekanntheit kann Segen sein oder auch Fluch. Zu Letzterem wurde sie im Jahr 2022, als mehrere Frauen dem Kunstkenner vorwarfen, sie sexuell belästigt zu haben.
Die Sache nahm ihren Ausgang in einem Artikel der «Zeit» und verbreitete sich bis in internationale Medien. Gegen viele, aber nicht alle Vorwürfe konnte Johann König vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirken. Der Roman des deutschen Autors Christoph Peters spielt im Jahr 2022. Er besteht aus Zeitschnipseln, aus Momentaufnahmen öffentlicher Debatten, von den gerade laufenden #MeToo-Debatten geht es über den Angriff Russlands auf die Ukraine bis zum Erstarken der Rechtspopulisten. Gespiegelt ist das alles in den Gedanken der Romanfiguren.
Es ist der grundlegende Trick der Literatur, dass sie eine wiedererkennbare Wirklichkeit in sich aufnimmt und mit eigenen Zwecken überformt. Hier steht die Berliner Gegenwart des Jahres 2022 mit prototypischen Protagonisten vor uns. In Peters’ Buch mag der fiktive Galerist Konrad Raspe, gegen den es #MeToo-Vorwürfe gibt, Ähnlichkeiten mit Johann König haben, aber die Unterschiede sind signifikant. Das hat auch das Landgericht in seinem Beschluss von Ende Februar festgehalten.
Die Begründung aus Hamburg, die der NZZ vorliegt, ist ein grosses Plädoyer für die Freiheit der Kunst. Und sie ist der mitunter fast flamboyante Versuch, im Deutsch der Juristen zu erklären, was Literatur ist. «Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt», steht da. Und weiter: «Unter diesen Umständen verfehlt es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen der Romanfigur andererseits sieht.»
Symbolcharakter der Kunst
Kann jedermann, der aufgrund seiner Wiedererkennbarkeit in Romanen vorkommt, diese verbieten lassen? Nein, sagt das Landgericht Hamburg und sichert damit die Kunst grossräumig ab. Wer sich erkannt zu haben meint, kann sich auch nicht aussuchen, was ein Werk der Fiktion aus ihm macht. «Da die Kunstfreiheit eine derartige Verwendung von Vorbildern in der Lebenswirklichkeit einschliesst, kann es auch kein parallel zum Recht am eigenen Bild verstandenes Recht am eigenen Lebensbild geben, wenn dies als Recht verstanden würde, nicht zum Vorbild einer Romanfigur zu werden.»
«Innerstädtischer Tod» ist kein Schlüsselroman. Hier werden keine Geheimnisse aus dem Leben Johann Königs und seiner Frau verraten, sondern hier wird ein Modell fortgeführt, das so alt ist wie die Literatur selbst. Das Wirkliche wird bis zur Kenntlichkeit entstellt. Es wird symbolhaft und entfernt sich damit vom ursprünglichen, bisweilen auch ziemlich platten Wirklichkeitskern.
Johann König möchte das nicht sehen. Es scheint, als würde er sich in einen Roman hineinreklamieren wollen, der ihn gar nicht persönlich meint. Die Anwälte des Galeristen haben die Entscheidung des Hamburger Landgerichts, «Innerstädtischer Tod» nicht verbieten zu lassen, als «rechtsfehlerhaft» bezeichnet, weil es sich mit den vom Antragsteller genannten Gründen nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Das Oberlandesgericht hat jetzt zu entscheiden, ob es der Beschwerde direkt stattgibt oder sie verwirft. Eine Klärung der Lage bis zu weiteren Entscheidungen könnte auch in einer mündlichen Verhandlung stattfinden.