Der Pharmakonzern Novartis steht in den USA wegen seiner Diversitätspolitik unter Druck. Er unterstützt zusammen mit weiteren Schweizer Firmen den Eurovision Song Contest dennoch mit substanziellen Mitteln. Ein Balanceakt.
Für Novartis ist es ein Spagat. Als einer von sechs nationalen Sponsoren des Eurovision Song Contest (ESC) beteiligt sich der Basler Pharmakonzern an einer Veranstaltung, an der die Diversität lautstark gefeiert wird. Zugleich sieht sich das Unternehmen Druckversuchen vonseiten der neuen amerikanischen Regierung ausgesetzt. Es soll wie andere Firmen die Bemühungen in Sachen Diversität und Gleichstellung zurückfahren oder zumindest nicht mehr öffentlich darüber reden.
Rückzieher in den USA
Novartis hat in Teilen schon nachgegeben. So beendete der Konzern im März in den USA die Verwendung von Auswahlgremien und spezifisch zusammengestellten Kandidatenlisten, die bis anhin bei der Mitarbeiterrekrutierung die Diversität fördern sollten.
Was das Thema Diversität betrifft, sieht Novartis aber offenbar trotz den Druckversuchen aus den USA weiterhin einen gewissen Spielraum. Das Unternehmen will denn auch im Juni, kurz nach dem ESC, erneut an den weltweiten Pride-Aktivitäten teilnehmen, einschliesslich jener in Amerika.
Geheime Sponsorengelder
Beim ESC sehen die Bestimmungen vor, dass die Fernsehgesellschaft des Gastlands jeweils sechs nationale Partner auswählen darf. In der Schweiz berücksichtigte die SRG neben Novartis den Telekomkonzern Swisscom, den Versicherer Helvetia, die Basler Kantonalbank, die Jungfraubahnen und den Flughafenbetreiber Euro-Airport.
Eine öffentliche Ausschreibung der Verträge mit den Sponsoren gab es nicht. Man habe potenzielle Partner angesprochen und sie in individuelle Gespräche eingebunden, sagt Edi Estermann, der Leiter der SRG-Medienstelle und derzeitige Kommunikationschef des ESC.
Zur Zahl der Interessenten äussert sich der Organisator nicht, ebenso wenig wie zur Höhe der Sponsorengelder. Auch Novartis, Swisscom und Helvetia lehnten es auf Anfrage ab, ihr Engagement zu beziffern.
Allerdings leisteten die Beiträge der Sponsoren, wie Estermann einräumt, «einen bedeutenden Teil zur Finanzierung» des Eurovision Song Contest. Sie dürften damit auch massgeblich die Aufwendungen der SRG decken, die nach jüngsten Berechnungen für die Organisation und Durchführung der Grossveranstaltung in Basel 20 Millionen Franken bezahlt. Den Löwenanteil sollen mit 35 Millionen Franken die baselstädtischen Steuerzahler beitragen. Weitere 6 Millionen Franken stammen, wie Journalisten von SRF in einem Beitrag ausführen, von der Europäischen Rundfunkunion.
Tickets für Mitarbeiter und Kunden
Die SRG erhielt auch Anfragen von Firmen aus dem Ausland, doch war es ihr laut Estermann bei der Auswahl der Sponsoren wichtig, «die Schweizer Fahne hochzuhalten». Bei einer Veranstaltung wie dem ESC, der je nach Schätzung zwischen 150 und über 170 Millionen Fernsehzuschauer erreicht, können die Sponsoren mit einer breiten Beachtung rechnen. Hinzu kommen vielfältige Möglichkeiten, Mitarbeiter und Kunden am Anlass teilhaben zu lassen. Jeder Sponsor erhalte Ticketkontingente, sagt Estermann.
Die Eintrittskarten, welche die Firmen Mitarbeitenden oder Kunden zur Verfügung stellen können, dürften heiss begehrt sein. Im freien Verkauf waren die Tickets für die beiden Halbfinals und den Final in sieben Minuten weg. Helvetia verwende die Tickets in erster Linie für Massnahmen zur Bindung und Gewinnung von Kunden, so ein Firmensprecher. Bei Swisscom konnten Mitarbeiter und Kunden Tickets entweder bei verschiedenen Wettbewerben gewinnen oder kaufen.
Medikamentenpreise in Europa erhöhen?
Anders als die übrigen Sponsoren, deren Geschäft hauptsächlich auf die Schweiz und teilweise weitere europäische Märkte ausgerichtet ist, sieht sich Novartis auch mit der protektionistischen Wirtschaftspolitik des Präsidenten Donald Trump konfrontiert. Er fordert von Firmen ein stärkeres Bekenntnis zum amerikanischen Standort. In seinem Visier befindet sich wegen hoher Importüberschüsse besonders die Pharmaindustrie. Novartis hat bereits angekündigt, 23 Milliarden Dollar in zusätzliche Produktionskapazitäten und Forschungslabors in den USA zu investieren.
Zudem will sich das Management mit dafür einsetzen, dass in Europa die Medikamentenpreise steigen und die hohen Differenzen gegenüber dem amerikanischen Niveau schwinden. Es hat sich auch damit auf die Linie Trumps begeben, der deutlich niedrigere Arzneimittelpreise für amerikanische Patienten durchsetzen will und zugleich höhere Beiträge europäischer Patienten an die Kosten der Medikamentenentwicklung fordert.
Höhere Medikamentenpreise in Europa zu verlangen und gleichzeitig einen Anlass zu sponsern, der mit guter Musik für Partystimmung vom Nordkap bis nach Sizilien sorgen soll, wie geht das zusammen? Es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Forderung, dass Europäer mehr für Medikamente bezahlten, und dem Engagement rund um den ESC, erklärt der Konzern lapidar.