Ein Gericht hat den bekanntesten Schauspieler Frankreichs zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Sein Anwalt legt Berufung ein. Der Fall dürfte Signalwirkung für die Filmbranche haben.

Es ist ein bemerkenswerter Zeitpunkt: Wenige Stunden vor der Eröffnung der 78. Filmfestspiele in Cannes ist der bekannteste Schauspieler Frankreichs am Dienstag öffentlich zur Rechenschaft gezogen worden. Das Pariser Strafgericht befand Gérard Depardieu wegen sexueller Übergriffe auf zwei Frauen für schuldig und verhängte eine 18-monatige Haftstrafe für den 76-Jährigen. Das «heilige Monster des französischen Kinos», wie Depardieu gern genannt wird, ist damit erstmals als Sexualstraftäter verurteilt worden – auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. In Cannes, wo man sich mit der #MeToo-Bewegung lange schwertat, dürfte das nicht ohne Nachhall bleiben.

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Das Gericht verhängte neben der Haftstrafe auf Bewährung auch eine zweijährige Nichtwählbarkeit für öffentliche Ämter und ordnete Depardieus Eintragung in das Register für Sexualstraftäter an. Darüber hinaus muss der Schauspieler 4000 Euro Schmerzensgeld an die Klägerin Amélie K. sowie 10 000 Euro zur Deckung der Verfahrenskosten zahlen. Die Richter stützten ihr Urteil auf die «konstanten und übereinstimmenden Aussagen der Opfer», auf ergänzende Zeugenaussagen sowie auf eine «nachgewiesene Traumatisierung» einer der beiden Klägerinnen.

Depardieu schmollt

Depardieu hielt es selber nicht für nötig, zur Urteilsverkündung vor Gericht zu erscheinen. Er weile für Dreharbeiten auf den Azoren, liess sein Verteidiger Maître Jérémie Assous ausrichten. Für den Film, den er dort dreht, hatte ihn seine langjährige Weggefährtin Fanny Ardant engagiert. Die Schauspielerin und Regisseurin hatte beim Prozessauftakt im März auch zu seinen Gunsten ausgesagt. Sie habe nie ein Verhalten beobachtet, das sie als übergriffig empfunden hätte, sagte sie. Bei Gérard Depardieu könne man auch «Nein sagen».

Konkret ging es in dem Prozess um Vorwürfe sexueller Belästigung während der Dreharbeiten zum Film «Les volets verts» (Die grünen Fensterläden) im Jahr 2021. Eine Dekorateurin und eine Regieassistentin, Amélie K. und Sarah (Name geändert), hatten berichtet, von Depardieu wiederholt an Brüsten, Po und Hüfte begrapscht worden zu sein. Ein Opfer gab an, der Schauspieler habe sie «brutal gepackt» und «mit geschlossenen Beinen» festgehalten. Die Aussagen der Frauen erfolgten unabhängig voneinander und wurden durch weitere Zeugenaussagen bestätigt.

Depardieu bestritt die Vorwürfe in vollem Umfang. Zwar räumte er ein, gelegentlich «grob oder vulgär» zu sein, wies aber jede Absicht einer sexuellen Belästigung zurück. «Ich wüsste nicht, warum ich Frauen befummeln und ihnen an den Busen oder den Po greifen sollte», sagte er einmal, er sei doch keiner dieser «Typen in der Métro, die sich an den Körpern anderer reiben». In seinem Schlussplädoyer bezeichnete sich der 76-Jährige freilich als «Mann aus einer anderen Zeit» – mit womöglich anderen Verhaltensmassstäben und einem reichlich überholten Frauenbild.

Im Verlauf des Prozesses traten neben den Klägerinnen vier weitere Frauen als Zeuginnen auf. Sie berichteten von ähnlichen Erlebnissen mit Depardieu zwischen 2007 und 2015. In mehreren Fällen schilderten sie Berührungen an der Brust oder in der Unterwäsche. Eine von ihnen sagte: «Mit zwanzig geht man nicht einfach zur Polizei und zeigt Monsieur Depardieu an.» Ihre Aussagen waren für das Urteil nicht entscheidungsrelevant, da sie ausserhalb des möglichen Tatzeitraums der Anklage lagen, wurden aber vom Gericht zur Bewertung der allgemeinen Glaubwürdigkeit zur Kenntnis genommen.

Das Schlimmste kommt erst noch

Wohl nicht allzu hilfreich war das Verhalten des exzentrischen Verteidigers Assous gewesen. Er hatte die Klägerinnen während der Verhandlung als «Lügnerinnen» und «Hysterikerinnen» beschimpft und ihnen zugerufen: «Geht doch weinen!» Nach der Urteilsverkündung zeigte sich Assous empört und sprach von einem Angriff auf das Recht auf Verteidigung. Er kündigte Berufung gegen das Urteil an.

Die Anwältinnen der Nebenklage warfen der Verteidigung vor, absichtlich mit scharfen Worten und einem aggressiven Ton aufzutreten, um die Glaubwürdigkeit der Betroffenen zu erschüttern. Der Prozess zeige deutlich, wie Opfer durch das Vorgehen im Gerichtssaal ein zweites Mal belastet würden – ein Phänomen, das man als sekundäre Viktimisierung bezeichnet.

Für Gérard Depardieu ist es nicht ausgeschlossen, bald erneut vor Gericht zu stehen – diesmal in einem besonders schweren Fall. Die Schauspielerin Charlotte Arnould, heute 29 Jahre alt, beschuldigt ihn, sie im August 2018 an zwei Tagen in seiner Pariser Wohnung sexuell missbraucht zu haben. Arnould, die sich öffentlich zu den Vorwürfen bekannt hat, bemüht sich seit Jahren um juristische Anerkennung ihrer Anzeige. Die Ermittlungen wurden zunächst eingestellt, doch Arnould blieb hartnäckig. Inzwischen wurde das Verfahren wieder aufgenommen, und die Ermittlungsrichter empfehlen die Eröffnung eines Hauptverfahrens. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.

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