Mittwoch, November 27

Sergio Pérez steckt in der Krise und könnte Red Bull den Konstrukteurstitel kosten. Wird er entlassen und heuert bei Sauber an?

Sein Auftritt im Autódromo Hermanos Rodríguez in Mexiko-Stadt ist für Sergio Pérez nicht einfach nur der 277. Formel-1-GP seiner Karriere. Für die Nummer zwei bei Red Bull hat das Heimspiel beinahe staatstragende Ausmasse angenommen. Er sagt: «Ich werde alles tun, um mein Land am Sonntag zum Lächeln zu bringen.» Zum neunten Mal fährt Pérez vor eigenem Publikum, seine Karriere ist mit ein Grund, warum die Königsklasse seit 2015 wieder in Mexiko Station macht.

Wenn Pérez darüber spricht, dass es für ihn das grösste Wochenende des Jahres sei, dass Bedeutung und Trubel von Jahr zu Jahr grösser würden, dann hat das nicht nur mit der Begeisterung seiner Landsleute zu tun. Beim 20. WM-Lauf geht es für ihn nicht nur um Punkte, sondern auch um seinen Verbleib bei Red Bull.

Ausgerechnet in der Saison, in der das Weltmeisterteam von einer technischen Krise eingeholt worden ist, schlagen die schon häufiger schwankenden Leistungen des 34-Jährigen wieder nach unten aus. Er sagt: «Mein bisheriges Jahr war schrecklich. Aber wenn ich ein starkes Ergebnis einfahre, kann das meine Saison noch einmal verändern.»

Trotz seiner Erfahrung ist Pérez nicht die erhoffte Stütze. Es ist nur eine schwache Genugtuung, dass auch sein Kollege Verstappen mit der fehlenden Balance zu kämpfen hat. Aber der Weltmeister hat seine Fahrweise, so gut es geht, adaptiert. Im Titelkampf gegen Lando Norris hat der Niederländer mit einem Sieg im Sprint von Austin und einem dritten Platz im Rennen sogar Boden gutgemacht.

Der Teamchef Horner setzt Druck auf

Pérez hat in Texas auch gekämpft, aber auf anderem Niveau. Samstags blieb er punktlos, am Sonntag landete er abgeschlagen auf Platz sieben. Als Ein-Mann-Show wird Red Bull seinen Konstrukteurstitel wohl verlieren, weil bei McLaren und Ferrari die Fahrerpaarung stärker ist. «Jetzt ist der Moment, in dem Pérez ins Spiel kommen muss», sagt der Teamchef Christian Horner. Der Druck könnte grösser nicht sein, auch wenn die letzte Konsequenz noch nicht ausgesprochen wird.

An die Mutmassungen über einen Rauswurf hat sich Pérez, dessen Vertrag während der Personalkrise bei Red Bull im Sommer vorzeitig und vermutlich voreilig verlängert worden war, gewöhnt. Der neue Kontrakt läuft über zwei Jahre, aber es soll eine Leistungsklausel geben. Mittlerweile fällt es Horner und dem Teamberater Helmut Marko schwer, dem strauchelnden Mexikaner den Rücken zu stärken. Das jüngste Gerücht kommt der Führungsetage deshalb zupass: In Texas wurden viele Stimmen laut, dass Pérez nach dem Grossen Preis von Mexiko seinen Rücktritt erklären könnte.

Pérez verneint diese Option vehement, versucht die Stimmungsmache mit einem Videoclip in den sozialen Netzwerken zu kontern, darin brüllt der Schauspieler Leonardo DiCaprio in seiner Rolle als «Wolf of Wall Street» seiner Belegschaft zu: «Ich gehe verdammt noch mal nicht weg!» Das Statement in eigener Sache habe er abgegeben, damit seine Fans nicht in die Irre geführt würden, sagt Pérez: «Ich möchte nur klarstellen, dass ich nächstes Jahr zu hundert Prozent hier sein werde.»

Ersetzt der Neuseeländer Lawson den strauchelnden Pérez?

Mit den momentanen Leistungen scheint das fraglich. Im WM-Klassement belegt Pérez mit 150 Punkten nur den achten Rang, Der Spitzenreiter Verstappen hat bis jetzt 204 Zähler mehr geholt. Gewonnen hat Pérez das letzte Mal vor anderthalb Jahren, in dieser Saison stand er letztmals im April auf dem Podest. Das drückt auch bei einem, der das Leiden gewohnt scheint, aufs Ego.

Den in Personalangelegenheiten mächtigen Berater Marko macht das nachdenklich. «Bei ihm ist die Inkonstanz das Problem.» Zu den Rücktrittsgerüchten gibt der Österreicher kein wirkliches Dementi ab. Eine Demission wäre die eleganteste Lösung für Red Bull. Das Team hat schon auf alle möglichen Arten versucht, Pérez aus der mentalen und sportlichen Krise zu befreien. Immerhin hatte seine Zuarbeit dazu beigetragen, dass Verstappen 2021 Weltmeister wurde. Aber richtig dankbar war danach keiner.

Die Geschehnisse im Umfeld von Red Bull dürften nicht gerade beruhigend auf Pérez wirken. Das jüngste Druckmittel heisst Liam Lawson. Der Neuseeländer fuhr in Austin seinen ersten Grand Prix als Nachfolger von Daniel Ricciardo im Zweitteam Racing Bulls. Der 22-Jährige schaffte es auf Anhieb auf den neunten Rang, obwohl er wegen einer Motorenstrafe von ganz hinten starten musste. Der Talentspäher Marko feiert das als persönlichen Erfolg und orakelt prompt: «Das zeigt wieder, dass man der Jugend eine Chance geben muss.»

Eingegangen ist die Red-Bull-Führung das Risiko ganz bewusst, mit Sicht auf das zweite Cockpit im Top-Team des Konzerns. Lawson hat Talent und offenbar auch Durchsetzungsvermögen. Er legte sich sofort mit dem Altmeister Fernando Alonso an, der am Wochenende seinen 400. Grand Prix bestreiten wird. Diese Aggressivität schmälert den guten Eindruck bei seinen Chefs nicht. Eine «tadellose Leistung» bescheinigt Marko dem Nachwuchsfahrer, Lawson habe jederzeit alles unter Kontrolle gehabt.

Auch der 24 Jahre alte Yuki Tsunoda, der seit vier Jahren auf die Beförderung aus dem Talentschuppen zu Red Bull hofft und vom Motorenpartner Honda unterstützt wird, wäre ein Kandidat für die Pérez-Nachfolge. Dem bliebe dann, um in der Formel 1 zu bleiben, nur noch eine Wahl, und auch die eher theoretisch: die Rückkehr zu Sauber, wo vor dreizehn Jahren seine Karriere begonnen hat. Das aber wäre keine Frage des Stolzes mehr, sondern eher eine der Verzweiflung. Pérez versucht den Tunnelblick: «Für mich ist es jetzt entscheidend, den ganzen Lärm abzustellen.»

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