Freitag, August 22

Ist die Kreativität in der Krise? Oder erzählt das gegenwärtige Wiederholungskino vielleicht eine ganz andere Geschichte?

Wer dieser Tage das Kinoprogramm studiert, erlebt ein Déjà-vu. «Die nackte Kanone» kennt man aus den beginnenden neunziger Jahren, «Jurassic Park», ebenfalls ein Produkt aus jener Zeit, flimmert jetzt als «Jurassic World» über die Leinwand, der Kinderfilm «Lilo & Stitch» ist ein Realfilm-Remake des gleichnamigen Animationsfilms von 2002, «Freaky Friday», der nun mit «Freakier Friday» ebenfalls eine Fortsetzung bekam, lief 2003 im Kino, und die Anzahl «Superman»-Verfilmungen ist bereits zweistellig.

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Die Aufzählung könnte noch lange weitergehen, aber anstatt die Wiederholung selbst zum Exzess zu treiben, stellt man sich besser die Frage: Gibt es eigentlich nur noch Kopien? Und: Lässt sich am gegenwärtigen Kinoprogramm so etwas wie der Zeitgeist ablesen?

Erst einmal zurückspulen

Hollywood habe das Kopieren nicht eben neu entdeckt, sagt Kathleen Loock, Juniorprofessorin für American Studies und Medienwissenschaften an der Universität Hannover. In ihrem Werk «Hollywood Remaking» zeigt sie auf, dass Kopieren schon immer ein integraler Teil der Filmindustrie war. Auch, weil damit Vergangenheit und Gegenwart immer neu zueinander in Beziehung gestellt werden.

Derzeit mache das Remaking – dazu zählt Loock Neuverfilmung (Remake), Fortsetzung (Sequel), Vorgeschichte (Prequel), Serialisierung und das Erzählen einer zusätzlichen Geschichte aus einem bestehenden Film (Spin-off) – etwa sieben Prozent aller Hollywoodfilme aus. Einst waren es deren dreissig. Spulen wir also etwas zurück.

In den 1920er Jahren hatte das Kino sich noch nicht als eigenständige Kunstform etabliert und wurde stattdessen mit Vergleichen zur Literatur und zum Theater legitimiert. «Damals verglich man das Remake eines Films mit der Neuauflage eines Romans oder der Wiederaufführung eines Theaterstücks», sagt Loock.

Lief ein Film nicht mehr im Kino, konnte er auch nicht mehr angeschaut werden; Kinofilme wurden erst mit der Kommerzialisierung von Unterhaltungsprogrammen im Fernsehen und Videokassetten für den Heimgebrauch beliebig wiederholbar. «Die einzige Chance, einen Film nachzuschauen, war darum, ihn erneut ins Kino zu bringen. Weil die Technik derart schnell voranschritt, war klar, dass die alte Geschichte mit neuen Schauspielern und neuen Möglichkeiten auch neu aufgenommen wurde», sagt Loock.

Quantensprünge

Die grösste technische Veränderung war der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm in den dreissiger Jahren. Hier zählte Loock auch den nie wieder erreichten Anteil von dreissig Prozent Remakings. Das lag allerdings nicht nur daran, dass die beliebtesten Stummfilme nun mit Dialogen erneut aufgenommen wurden.

Hollywood hat vor allem in den vierziger Jahren auch die Vorteile von Serienproduktionen entdeckt: Man konnte ganze Sets, Kostüme und auch Schauspieler, die für eine Produktion engagiert waren, für billigere Produktionen – die B-Movies – weiterverwenden. «Manchmal erschienen sechs Filme einer Western-Serie in einem Jahr», so Loock.

Die Möglichkeit, einen Film später erneut zu sehen, kam erst mit der nächsten und der übernächsten grossen technischen Innovation: in den fünfziger Jahren, als immer mehr Haushalte einen Fernseher besassen, und dann, noch drastischer, Ende der siebziger Jahre, mit der Markteinführung der Videokassette. Nun waren Filme beliebig wiederholbar.

Es folgten die Markteinführung von Laserdisc, DVD, Blue-Ray und schliesslich das Streaming. Der Besitz von Filmen auf einem Trägermedium führte dazu, dass die gleichen Filme öfter geschaut, manchmal gar zu einer kleinen Tradition wurden – im Herbst die «Harry Potter»-Verfilmungen, zu Weihnachten «The Holiday», die nun übrigens beide als Serie ebenfalls neu aufgelegt werden. Dadurch entstand eine engere Bindung zu diesen Filmen, die man derart gut kennenlernte.

Das Streaming dagegen führt bei vielen wieder dazu, dass man einen Film oder eine Serie nur einmal schaut. Dann verschwindet er – nicht im Keller eines Kinos, sondern im Überangebot an noch nicht gesehenen Filmen und Serien.

Wohin mit den Vorgängern?

Mit dem freien Zugriff auf alte Filme stellte sich in Sachen Remake eine neue Frage: Wie kann man noch mit Wiederholung arbeiten, wenn die Vergangenheit präsent bleibt? Statt die gleiche Geschichte erneut zu erzählen, bekam sie immer öfter eine Fortsetzung oder – wie das bei den «Star Wars»-Filmen erstmals sehr prominent geschah – eine Vorgeschichte. So behält der erste Film als Ankerpunkt einen gewissen Stellenwert.

Während noch in den nuller Jahren oft mit einer ganz neuen Besetzung gearbeitet wurde, kommen heute auch die Schauspieler von einst wieder zum Zug. Damit erfülle das Kino eine generationenübergreifende Aufgabe, sagt Loock: das Sicherstellen von Kontinuität.

Die neuen Schauspieler machen den Film für ein neues Publikum attraktiv, die alten sorgen für die Verbindung zu der Generation, die bereits das Original im Kino sah. «Wenn man Harrison Ford als Indiana Jones altern sieht, im gleichen Masse, wie einem das selbst passiert, erlebt das Publikum eine Stabilität, die gerade dann, wenn sich global vieles verändert, eine beruhigende Wirkung haben kann», sagt Loock.

Einst allerdings war die Aufgabe des Kinos nicht Beruhigung, sondern Begeisterung, Inspiration sogar. Die Remakes hatten nicht das Ziel, einen Bezug zur Vergangenheit herzustellen, sondern waren im Gegenteil zukunftsgerichtet, indem sie das Alte vergessen machten. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zwischen dem Wiederholungskino von einst und heute – und der grösste Zusammenhang mit der Kreativität im Allgemeinen.

Kreativität braucht Zeit

«Von Neuem umgeben zu sein, fördert die Kreativität», sagt David Weibel, Dozent für kognitive Psychologie an der Universität Bern. Neue Eindrücke und Erfahrungen regen das divergente Denken an, also die Fähigkeit, viele verschiedene Lösungen und Perspektiven in Betracht zu ziehen.

Unser Alltag allerdings ist von immer mehr Wiederholungen geprägt. Nicht nur im Kino, sondern auch durch künstliche Intelligenz, die einerseits nicht neu schöpfen, sondern einzig zu reproduzieren vermag. Und die ihren Nutzern andererseits immer öfter die täglichen kreativen Kurzübungen – wenn man sich etwa überlegt, was man abends kochen oder am Wochenende unternehmen will – abnimmt. Dabei muss Kreativität, einem Muskel gleich, in Form gehalten werden. Weibel sagt: «Kreativität ist zielgerichtet. Sie kann oft auch erzwungen werden, indem man sich intensiv mit einem Problem auseinandersetzt.»

Die Auseinandersetzung allerdings ist bloss der erste Schritt des Kreativitätsprozesses. Darauf folgt die Inkubationsphase, eine unbewusste Weiterverarbeitung der gesammelten Informationen. «Man löst sich von dem Thema, etwa bei einem Spaziergang, aber das Hirn arbeitet im Hintergrund weiter», erklärt Weibel.

Doch die Stunden, so fühlt sich das zumindest an, scheinen in gegenwärtigen Zeiten immer näher und näher beieinanderzuliegen. Zwischen dem Aufstehen und dem Zubettgehen bleibt weniger Zeit für Müssiggang, Langeweile und für die Leerräume, die zu Inkubationsphasen werden. «Auch Druck und Stress ersticken die Kreativität», sagt Weibel.

Zum Zeitmangel gesellt sich die konstante Unterbrechung durch das Smartphone. «Permanente Ablenkung, wie sie etwa durch den steten Eingang von Push-Nachrichten auf dem Smartphone oder das Hören von Musik oder Podcasts in jeder freien Minute entsteht, hemmt die Kreativität», sagt Weibel.

Den gleichen Effekt hat das tägliche Abschalten mittels Filmen und Serien. Dabei ist die Inkubationsphase Voraussetzung für den nächsten Schritt im Kreativitätsprozess: Illumination. «Plötzlich tritt ein Moment der Einsicht auf, die sprichwörtliche zündende Idee», sagt Weibel. In der letzten Phase wird die Eingebung auf Eignung und Umsetzbarkeit geprüft, daher der Name Verifikationsphase, und schliesslich ausgearbeitet, bis daraus ein kreatives Ergebnis entsteht.

Neugier oder Beruhigung

Der Mensch lebt in einem steten Zwiespalt. «Wir sind neuophil und neophob gleichzeitig», sagt Weibel. Menschen würden zugleich vom Neuen angezogen und vom Altbekannten beruhigt. In Krisenzeiten, persönlichen ebenso wie globalen, gewinnt meistens die Neophobie die Oberhand.

Sich etwas anzuschauen, was man in einer Variation bereits kennt, bedarf zudem weniger kognitiver Kapazität, als sich auf etwas komplett Neues einzulassen. Man spart Energie. Weibel sagt: «Unter Druck zieht man sich eher ins Altbekannte zurück und verlässt sich auf bewährte Methoden.»

Das gegenwärtige Wiederholungskino ist darum wohl weniger Symptom einer Kreativitätskrise als ein Gradmesser für die abnehmende Lust auf Neues und auf Herausforderungen beim Konsumieren von Filmen und Geschichten. Das dürfte der grösste Unterschied zu einst sein: Die Zukunftslust ist einer Vergangenheitssehnsucht gewichen. Man will nun lieber erinnert als inspiriert werden. Das hat Hollywood erkannt.

Im Sentimentalitäts-Kino

Bereits seit 2000 entwickelt sich im Kino ein weiterer Trend, der in den letzten Jahren sehr stark wurde: das Cinematic Universe. Es erfordert von seinen Machern maximale Kreativität und beschäftigt seine Konsumenten über sehr viele Stunden.

Die bekanntesten Kinouniversen haben die Superhelden-Maschinerie «Marvel» und die Sternenkrieger von «Star Wars» geschaffen. Mit Geschichten, die sich überlappen und ergänzen, deren Erzählstränge etwa im einen Kinofilm zusammenkommen, ehe jeder in einer separaten Serie weitererzählt wird. Miniserie, TV-Shows über mehrere Staffeln und Kinofilme ergänzen sich, greifen ineinander oder verlaufen parallel.

So wird nicht mehr nur eine Geschichte erzählt, die immer weitergeht, sondern eine ganze Welt, ein Universum eben, geschaffen. Dabei sind dem Erzählen und Neuentwerfen kaum Grenzen gesetzt. Gerade in das Verbinden vom Neuen mit dem Alten wird also besonders viel Kreativität investiert.

Dass Remakes aller Art so auffallen, liegt laut Loock denn auch nicht an der Menge von Filmen, die an Altbekanntes anknüpfen. Vielmehr werde in die verschiedenen Arten des Remakings das meiste Geld investiert. Entsprechend gross sind Staraufgebot, Specialeffects und Werbekampagnen.

Das ergibt für die Filmindustrie doppelt Sinn: «Es ist oft rentabler, Stoffe zu verfilmen, die sich schon einmal bewährt haben. Komplett neue Ideen sind dagegen immer ein Risiko: Sie brauchen viel Zeit in der Entwicklung und bergen stets die Gefahr zu floppen. Und auch für das Publikum ist es viel sicherer, einen Film zu schauen, bei dem von vornherein klar ist, was man bekommt», sagt Loock.

Die weniger werdende Freizeit wird für etwas eingesetzt, von dem man weiss, dass es einem schon einmal gefallen hat. Und ist der Film dann doch nicht so toll, bleibt doch zumindest die wohlige Erinnerung an einst.

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