Dienstag, November 26

Das Castello di Reschio wurde von einer Adelsfamilie sorgfältig und stilvoll neu aufgebaut. Entstanden ist eine Mischung aus Adelsschloss und Great Gatsby, aus Jane Eyre und einer Prise Anarchie.

Sie möchten wissen, was Ihre liebevoll und geschmackssicher eingerichtete Wohnung verhunzt? Ich verrate es Ihnen. Erstens: Steckdosen. Zweitens: alles aus Plastik. Drittens: Lämpchen, die nachts leuchten. Keine Sorge, mir war das auch nicht klar, bis ich einige Tage im «Reschio», einer tausend Jahre alten Burg in Umbrien, verbringen durfte.

Die Besitzer, Graf Benedikt und seine Frau Donna Nencia, haben ein tausend Jahre altes Castello in etwas, was man im Reisejournalismus-Jargon «Hideaway» nennt, und gerne würde ich ein weniger affiges Wort verwenden, aber das «Reschio» ist genau das: ein Versteck vor der phantasielosen, kabeldurchzogenen, anstrengenden und mit blinkenden Lämpchen garnierten Welt.

Hier, an der Grenze zwischen der Toskana und Umbrien, herrscht Ruhe. Die Espressomaschine auf dem Zimmer etwa, sie hat keine Lämpchen – ein Design von Benedikt Bolza. All das fällt erst später auf, wenn man nach einer Steckdose für das Ladekabel sucht und sie unter einer Lederverkleidung findet.

Eine Mischung aus Adelsschloss und Great Gatsby

Graf Benedikt und seine Frau Donna Nencia Bolza haben das «Reschio» gekauft und 1999 mit der Renovierung begonnen. Er ist Architekt und Sohn von Graf Antonio Bolza, der nach der Enteignung seiner Familie in Ungarn auf der Suche nach einem neuen Familiensitz war. Sie ist Malerin und Restauratorin, Selbermacherin und Naturliebhaberin, aus florentinischem Hochadel, dazu gehören fünf Kinder.

Gemeinsam haben sie den verwilderten und verwahrlosten Landstrich mit den zerfallenden Bauernhäusern und dem feuchtkalten Castel Haus für Haus neu aufgebaut, aus der denkmalgeschützten Substanz etwas Neues geschaffen: die Substanz abgetragen und mit Weinkeller, Spa und Palmengarten wieder neu aufgebaut; umgeben von Jagdgründen, Olivenhainen, Weinbergen und einem Gestüt für Andalusier.

Die Gäste wohnen zwischen Wandteppichen, Porträts, modernistischen Stühlen und Art-déco-Lampen, alles von den Bolzas ausgewählt, hergerichtet oder gleich selbst designt – siehe Espressomaschine. Es ist eine Mischung aus Adelsschloss und Great Gatsby, aus Jane Eyre und einer Prise Anarchie in Form von einem Porträt, auf dem Nencia Bolzas Zwillingsschwester dem streng dreinschauenden Porträtierten lila Blüten hinter die Ohren gemalt hat.

Wie aus einer anderen Zeit: Der Palmenhof und die dazugehörige Bar.

Jeder Raum ist anders, es solle sich, so Benedikt Bolza, «anfühlen, als würde man als Gast mit uns zusammenleben». In der Suite werde ich auf eine Weise empfangen, die mir die Kinnlade runterfallen lässt: Eine Yogamatte (mit Blöcken!) liegt dort bereit, Ingwer für einen Tee, und, OMG, eine Schokotarte unter einer kleinen antiken Kuchenhaube aus Draht. Bin ich so «hochgradig vorhersehbar» (so der Soziologe Armin Nassehi über die Praktiken innerhalb bestimmter Milieus), oder fühlt sich jeder Gast derart erkannt?

Die Suiten im tausend Jahre alten Gebäude sind luxuriös und detailverliebt gestaltet.

Der Architekt und die Restauratorin haben mit dem Hotel ihren eigenen Ausdruck gefunden, alles ist so, wie sie es sich vorgestellt haben. Die tausend Jahre alte Festung, die nun makellos auf den Schultern der umbrischen Hügel ruht, der warm dampfende Infinity-Pool, der wie ein magisches Versprechen zwischen den Pinien liegt. Die Andalusier-Zucht, die Kräutergärten, das römische Spa, es ist ihre Vision: ein Rückgriff auf das Vergangene, das mit dem Wissen der Gegenwart auf ein völlig neues Niveau gebracht wird.

Das Frühstück, das auf Silbertabletts und in Kristallschalen zwischen filigran dekorierten Trockenblumen und mehrarmigen silbernen Kerzenleuchtern angerichtet ist, ein von Donna Nencia arrangiertes kulinarisches und optisches Meisterwerk.

Das Ristorante Al Castello mit herrlicher Terrasse.

Dabei könnten Nencia und Benedikt Bolza selber ein Kunstwerk sein: auf unaufdringliche Weise altmodisch und dabei doch fest in der Gegenwart verankert. Sie trägt Rock und Stiefel mit Erdspuren, einen Ledergürtel voller Werkzeug um die Hüfte, eine grosse Brille und Bowlerhut mit Fasanenfedern, alles in landadelkonformen Herbsttönen. Gemeinsam mit ihrem Mann, der Tochter und dem Labrador mit dem glänzenden schwarzen Fell sind sie Kunstwerk und Akteure zugleich: ständig am Planen, Reparieren, Entwerfen, Säen, Verbessern, Restaurieren. Und wäre es nicht nett, wenn nächstes Jahr ein Schäfer kommen würde, um mit den Gästen zusammen Käse herzustellen?

Das Gehirn von Donna Nencia, so scheint es, steht niemals still – und ihre Hände auch nicht: «Ich glaube, dass es den Menschen besser gehen würde, wenn sie mehr mit den Händen herstellen würden», sagt sie.

Und so finde ich mich mit einem Stickset vor einem Kamin wieder, inmitten einer – kein Scherz – Blumenbinderei. Paola Matteucci, eine preisgekrönte Kunststickerin aus Florenz, hilft der Gruppe, ein Blumenmuster zu entwerfen. Was für mich im ersten Augenblick wie rückschrittliche Frauenquälerei (bin ich Jane Austen?) erscheint, wird nach ein paar Handgriffen von Paola Matteucci zu einer Art Mediation, voller Konzentration und kindlichem Stolz auf Lernkurve und Fortschritte.

Und schon hat mich die Magie des «Reschio» eingefangen und in einen Teil davon verwandelt; wenn schon nicht äusserlich (mein pinkfarbener Schal haut mich raus), dann doch innerlich: Für eine Weile bin ich, wie man so schön sagt, ganz bei mir, während mir Kaffee aus einer feinwandigen mintgrünen Tasse gereicht wird. Über 300 Mitarbeiter kommen auf 70 Gäste, um diesen reibungslosen Service zu garantieren.

Instagram verbreitet den Zauber des Ruheortes

Für die Umgebung ist das Castel ein Wirtschaftsfaktor geworden, der das strukturschwache Umbrien aufwertet: als eine Gegend, die sich nicht hinter der Kulinarik und der Schönheit der Toskana verstecken muss.

Ein Olivenöl-Tasting und ein Spaziergang im und rund um das Castello.

Der Zauber des «Reschio» ist mittlerweile so gross, dass das Hotel fast eine Million Follower auf Instagram hat. Nun müssen die Bolzas erstaunliche Nebeneffekte ihrer gelungenen Vision bewältigen: Im Hausbuch wird darauf hingewiesen, dass Bilder nur dann aufgenommen werden dürfen, wenn keine anderen Gäste zu sehen sind, und dass beim Gebrauch von Drohnen eine Strafe von 5000 Euro droht. Eine mitreisende Kollegin bemerkte amüsiert, dass sie durch ihre Runden im Pool eine einstündige Fotosession erschwerte, indem sie stets im falschen Moment ihre Runde drehte. Und unter der Hand erzählt man sich, dass das Personal schon einmal eine unbekleidete Dame überreden musste, sich beim Shoot am Pool doch bitte etwas anzuziehen.

Weihnachten naht, Silvester, und die Partysaison beginnt auf dem weitläufigen Anwesen mit seinen zwei Restaurants – «Alle Scuderie» und «Al Castello» – und den drei Bars. Weihnachtsmärkte werden geplant, ein Chor wird auftreten. Weihnachten wird es ein Picknick im Wald geben, eine Kerzenprozession, einen Gospelchor. Und an Silvester ein New-Year’s-Eve-Jazzfestival im Flapper-Stil, Motto: der grosse Gatsby. Die weitverzweigte Bolza-Familie wird kommen, die Kinder, ihre Freunde, die vielen Cousins und Cousinen. Die Eigentümer der hochsanierten ehemaligen Bauernhäuser, viele Amerikaner, die die mediterrane Schlichtheit (keine Klimaanlagen!) und die rustikale italienische Authentizität schätzen.

Es wird ein rauschendes Fest werden, Tage vorher kann man auf einem Markt die passenden Kostüme erwerben. Es wird Jazzmusiker geben, ein Kasino, eine Big Band und eine Feier im Stil der 1920er Jahre. Das glamouröse Havanna als Refugium vor der Prohibition. Der Glamour des alten Adels wird sich mit dem des neuen Gelds verbinden, und gemeinsam werden sie so grandios und stilvoll feiern, wie man es wirklich aus dem «Grossen Gatsby» und von Truman Capote kannte. Die Gäste werden strahlen, das alte «Reschio» wird funkeln, und kein einziges Blinklämpchen wird die Stimmung verhunzen.

Mehr Informationen gibt es unter reschio.com. Preise ab 830 Franken pro Zimmer mit zwei Personen. Für Silvester gibt es ein Paket für 3290 Franken.

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