Montag, Oktober 7

Bundesrat Ignazio Cassis hat mit Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrats den 75. Geburtstag der Genfer Konventionen begangen. Ein Ex-Kindersoldat und heutiger Aussenminister berichtete eindrücklich vom Nutzen des Völkerrechts.

Auf der einen Strassenseite eine Statue der Pazifismus-Ikone Mahatma Gandhi, auf der anderen Russlands streng bewachte Vertretung bei den Vereinten Nationen: Anspruch und Wirklichkeit klaffen im Völkerrecht zuweilen weit auseinander, wie diese kuriose Nachbarschaft am Uno-Sitz in Genf verdeutlicht. Das hat auch Bundesrat Ignazio Cassis am Montag an einer Veranstaltung zum 75. Geburtstag der Genfer Konventionen betont.

Auf Einladung der Schweiz trafen sich Vertreter der Mitgliedsstaaten des Uno-Sicherheitsrates aus New York zwei Tage lang in Genf. Cassis verwies an einer Podiumsdiskussion auf die weltweit derzeit «mehr als 120 bewaffneten Konflikte», auf die Kriege im Sudan, in der Ukraine, im Jemen und im Nahen Osten. Das humanitäre Völkerrecht werde auf eine harte Probe gestellt, sagte der Vorsteher des Aussendepartements. Es werde «ignoriert, relativiert, und manchmal sogar instrumentalisiert».

Terroristen und Söldner sind ein blinder Fleck

Eine Schwierigkeit für das humanitäre Völkerrecht ist laut Cassis, dass Kriege heute zunehmend von nichtstaatlichen Akteuren bestritten werden, die nicht an das Völkerrecht gebunden seien. Als Beispiel nannte der Bundesrat Söldner von Privatunternehmen sowie «den Terrorismus und Konter-Terrorismus». Wo zum Beispiel verlaufe die Grenze zwischen einem Volksaufstand und Terrorismus?

Die vier Genfer Konventionen in ihrer heutigen Form wurden am 12. August 1949 verabschiedet. Sie verpflichten kriegführende Staaten unter anderem, Verwundete und medizinisches Personal, Kriegsgefangene und Zivilisten zu schützen. Drei Zusatzprotokolle seit 1977 haben diese Regeln präzisiert und verbieten etwa Kriegsmethoden, die «unnötige Leiden» verursacht. Ein Vorläufer der Konventionen wurde bereits 1864, ebenfalls auf Initiative des Bundesrats und des späteren Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, in Genf von zwölf Staaten unterzeichnet.

Prominenter Abwesender am Sonntag und Montag in Genf war Russland, das ja seit 2022 vollumfänglich Krieg gegen die Ukraine führt. Das Land akzeptierte als einziges Mitglied des Uno-Sicherheitsrats die Einladung der Schweiz nicht, die noch bis Jahresende nicht-ständiges Ratsmitglied ist. Zur Begründung sagte Russlands stellvertretender ständiger Vertreter bei den UN, Dmitri Poljanski, vergangene Woche auf einer Pressekonferenz in New York: «Ehrlich gesagt wissen wir nicht, was wir in Genf tun können – es wäre reine Geld-, Ressourcen- und Zeitverschwendung.»

Darauf angesprochen, verwies Bundesrat Cassis am Montag darauf, dass es sich nicht um ein Treffen des Uno-Sicherheitsrats handle, sondern um ein Treffen von dessen Mitgliedern, um «gemeinsam über das humanitäre Völkerrecht nachzudenken». Jedes Mitglied habe selbst entscheiden müssen, ob es komme oder nicht.

Palästina-Demonstranten beschuldigen Cassis

Wie wirkungsvoll das Völkerrecht trotz aller Widrigkeiten sein kann, illustrierten eindrücklich Äusserungen des Aussenministers von Sierra Leone, das diesen Monat als nicht-ständiges Mitglied den UN-Sicherheitsrat präsidiert. Timothy Kabba wurde nach eigenen Angaben als Kind während des Bürgerkriegs in seinem Land als Kämpfer eingezogen. Dass er heute in Genf sein könne, verdanke er auch den Genfer Konventionen, sagte Kabba, der auf den Uno-Sondergerichtshof für Sierra Leone verwies, der 2002 zum Ende des Bürgerkriegs eingerichtet worden war.

Auf dem Platz der Nationen in Genf, vor der berühmten riesigen Skulptur eines Holzstuhls und den Fahnen der Uno-Mitgliedsstaaten, veranstalte das Aussendepartement am Nachmittag eine kleine Zeremonie. Cassis, Kabba und Vertreter von NGOs und Verwaltung richteten umgekippte Stühle auf, die den Schriftzug «War has limits» bildeten – der Krieg habe Grenzen. Währenddessen skandierten gut 30 Demonstranten mit palästinensischen Fahnen teilweise lautstark «Free Palestine» und «Cassis – Komplize».

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