Donnerstag, Januar 2

Dramen und Kenterungen am Kap Horn prägen die Geschichte der Vendée Globe. Heuer haben die ersten Segler die Südspitze Chiles bei guten Bedingungen passiert. Die Genferin Justine Mettraux könnte bald einen Rekord brechen.

«Was für ein Moment, absolut genial», schwärmte Yoann Richomme am Weihnachtsabend. Er hätte nie gedacht, dass er es auf diese Weise schaffen würde: Bei nur 15 Knoten Wind, leichtem Wellengang, lediglich zwei Meilen vom Land entfernt, passierte er an der Vendée Globe das Kap Horn, das berühmteste und gefürchtetste Kap der Seefahrt. «Mein Gott, das war majestätisch.»

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Das Ereignis war den Organisatoren der Regatta so wichtig, dass sie ein Kamerateam nach Feuerland an die Südspitze Chiles geschickt hatten. Das Ergebnis: nie gesehene Aufnahmen aus einem Flugzeug, die die Rennjacht von Richomme mit dem Kap Horn im Hintergrund zeigen. Der Franzose hatte doppeltes Glück, denn er passierte die Stelle am Tag und ohne Nebel – die 425 Meter hohe, langgezogene Felseninsel Isla Hornos war klar zu sehen.

1997 gab es ein Todesopfer: Der Kanadier Gerry Roufs verschwand in der Nähe des Kap Horn

Heuer zeigte sich das Kap Horn, die zweitsüdlichste Insellandspitze, von seiner freundlichen Seite. Das ist selten der Fall. An 200 Tagen im Jahr herrschen Sturmwinde von über 35 Knoten, oft ist der Felsen nebelverhangen. Starke Westwinde, das Aufeinandertreffen des Pazifischen und des Atlantischen Ozeans, unterschiedliche Wassertemperaturen und Strömungen setzen die Segler und ihre Boote grossen Belastungen aus.

Dramatische Kenterungen und spektakuläre Rettungsaktionen haben sich hier zugetragen; sie prägen die Geschichte der Vendée Globe. 1997 gab es an der Stelle ein Todesopfer: Der Kanadier Gerry Roufs verschwand in der Nähe des Kap Horn. In seiner letzten Mitteilung an die Rennleitung sprach er von «Wellen, die höher als die Alpen sind».

Wer auf die Dramen am Kap Horn zu sprechen kommt, erwähnt unweigerlich Jean Le Cam. Der Franzose, der das Kap in diesen Tagen zum achten Mal als Solosegler passiert, kam bei seiner ersten Vendée-Globe-Teilnahme 2004/05 noch als Führender an der Isla Hornos vorbei. Vier Jahre später hätte er am gleichen Ort fast sein Leben gelassen.

Nach dem Verlust des Kiels kenterte sein Open-60-Boot, das Vehikel trieb kieloben in den Wellen. In einer Luftblase unter Deck harrte Le Cam einen Tag lang in eisiger Kälte aus, bis er von Vincent Riou gerettet wurde. Dessen Boot wurde bei jener Aktion so stark beschädigt, dass der Mast brach – die zwei Segler wurden von der chilenischen Marine geborgen.

Zahlreiche Crews scheiterten am «Tor zur Hölle»

Freud und Leid können am Kap Horn eng beieinanderliegen. Davon können die Schweizer Hochseesegler Dominique Wavre und Bernard Stamm berichten. Derweil Wavre im Januar 2013 nach knapp sechzig Renntagen seine Umrundung des Kap Horn vermeldete, musste Stamm das Rennen fast am gleichen Ort aufgeben. Der Pechvogel der Vendée Globe passierte den gefürchteten Felsen zweieinhalb Stunden nach seinem Landsmann, wenig später musste er vom Basken Unai Basurko Diesel an Bord nehmen. Die Annahme fremder Hilfe stellt einen Verstoss gegen das Reglement dar. Zuvor hatte Stamm das Boot tagelang von Hand gesteuert, weil wegen Strommangel der Autopilot ausgefallen war.

Mit neun Kap-Horn-Passagen war Wavre lange Zeit der Rekordhalter, ehe er vom Franzosen Jean-Luc Van Den Heede abgelöst wurde. Dieser hat das berüchtigte Kap zehn Mal alleine umrundet – sechs Mal ostwärts, vier Mal westwärts. Mit 122 Tagen ist er der Rekordhalter der Solo-Weltumrundung von Ost nach West, also gegen die vorherrschenden Windrichtungen, was die Umrundung des Kap Horn deutlich schwieriger macht.

Das bekamen die Mannschaften der grossen Frachtsegler zu spüren, der Windjammer und der Dreimaster, die im 19. Jahrhundert das Kap Horn umrunden mussten, weil der Panamakanal noch nicht existierte. In dieser Zeit ereigneten sich am Kap Horn so viele Schiffsunglücke, dass es zum grössten Friedhof für Seeleute avancierte. Seit der Entdeckung vor gut 400 Jahren sind am Kap Horn 800 Schiffe gesunken, 10 000 Seeleute fanden so den Tod.

Zahlreiche Crews scheiterten beim Versuch, das Kap zu umrunden. William Bligh, der Kapitän der legendären «Bounty», versuchte es 1788 vier Wochen lang, dann kehrte er um und nahm den viel längeren Weg nach Tahiti über das Kap der Guten Hoffnung in Kauf.

Die längste Umrundung dauerte im Jahr 1905 nicht weniger als 99 Tage, weil es der Crew der «Susanna» nicht gelang, gegen die Sturmwinde anzusegeln. Damals gaben dreissig Schiffe auf und liefen andere Häfen an, mehrere Kapitäne brachen die Umrundung ab und segelten die deutlich längere Strecke nach Westen um Afrika und Australien. Zehn Schiffe sanken oder strandeten.

Der Historiker Jan Barreveld schrieb über die Kap-Horn-Route: «Dort stürmt es fast immer von Westen. Es ist eiskalt, die Segel vereisen, es ist ein Albtraum.» Der Journalist Stefan Krücken sprach vom «Tor zur Hölle», und Charles Darwin meinte, dass «selbst der Teufel in dieser Hölle erfrieren würde».

Der Name Horn geht auf die niederländische Stadt Hoorn zurück, die Anfang des 17. Jahrhunderts in der Vereinigten Ostindischen Kompanie eine Hafenstadt von internationaler Bedeutung war. Die Stadt war damals der Ausgangspunkt jener Expedition, die das Kap entdeckte. Eine wichtige Route für den Seeverkehr wurde das Kap Horn im 19. Jahrhundert, als die Salpeter-Transporte aus Chile zunahmen und 1848 in Kalifornien der Goldrausch begann.

Mit der Motorisierung der Seeschifffahrt und der Eröffnung eines sicheren Seeweges vom Atlantik in den Pazifik durch den Panamakanal im Jahr 1914 ging die Zeit der Windjammer zu Ende. Die gefährlichste Stelle der Seeschifffahrt büsste damit an Bedeutung ein. Doch als Robert Knox-Johnston 1969 als erster Mensch die Welt in einem Einhandboot umsegelte und es ihm später andere gleichtaten, erhielt die Route wieder mehr Aufmerksamkeit – und dank der Vendée Globe wurde der Mythos Kap Horn wiederbelebt.

Der Titelverteidiger Yannick Bestaven gibt auf

Wer die gefährliche Stelle allein umsegelt hat, kann sich Kap Hornier nennen. Zu ihnen zählt nun Justine Mettraux; die Genferin passierte den mythischen Felsen am Samstag als Zehnte. Sie ist in guter Position, um ihre drei Ziele zu erreichen: einen Top-Ten-Platz, als erste Frau am Ziel ankommen und das Unterbieten der Frauen-Rekordzeit an der Vendée Globe (87 Tage), die Justine Crémer vor vier Jahren aufgestellt hat.

Keine guten Erinnerungen an das Kap Horn wird Yannick Bestaven haben. Nach einem davor erlittenen Schaden am Steuersystem, den der Franzose nur notdürftig reparieren konnte, sah sich der Gewinner der letzten Vendée Globe gezwungen, nach dem Passieren des Kaps den argentinischen Hafen Ushuaia anzulaufen, um mit Hilfe der eingeflogenen Landcrew die Probleme zu beheben. Durch diesen Eingriff musste Bestaven jedoch die Vendée Globe aufgeben.

Für jene, die noch im Rennen sind, ist das Passieren des Kaps bedeutsam: Der Wiedereintritt in den Atlantik verspricht wärmeres Wetter und gemässigtere Bedingungen. Von da an sind die Teilnehmer auf dem Heimweg, mit dem Ziel Les Sables-d’Olonne. Die ersten Segler werden dort wohl in weniger als drei Wochen ankommen.

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