Samstag, Dezember 28

Der Schweizerische Gewerbeverband lehnt die EU-Spesenregelung ab und wehrt sich gegen eine zu starke Mitsprache des Europäischen Gerichtshofs. Als Verbündeter der Gewerkschaften verstehe er sich aber nicht annähernd, sagt der Direktor Urs Furrer.

Herr Furrer, der Gewerbeverband lehnt eine Übernahme der EU-Spesenregelung ab. Welche Forderungen der Gewerkschaften teilen Sie sonst noch?

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Wir lehnen die EU-Spesenregelung ab, weil sie das Schweizer Gewerbe benachteiligt. So könnten ausländische Anbieter in der Schweiz mit tieferen Kosten offerieren. Die Gewerkschaften hingegen lehnen die EU-Spesenregelung unter dem Vorwand ab, dass die Löhne der Schweizer Arbeitnehmer unter Druck kämen. Das ist aber nicht der Fall. Mit dem schweizerischen Arbeitsrecht und den bestehenden Gesamtarbeitsverträgen sind die Löhne bereits gut geschützt. Wennschon müsste man über Kompensationen für die Unternehmen reden.

Die Gewerkschaften werden nun versuchen, innenpolitisch so viele Lohnschutzmassnahmen durchzusetzen wie möglich. Mindestlöhne, GAV, Kündigungsschutz für über 50-Jährige – bei welchen Themen wäre der SGV gesprächsbereit?

Wir lehnen die Forderungen der Gewerkschaften nach zusätzlichen Regulierungen ab und werden weitere Eingriffe in den Arbeitsmarkt konsequent bekämpfen. Der flexible Arbeitsmarkt ist ein zentraler Standortvorteil der Schweiz. Den dürfen wir nicht preisgeben.

Die Wirtschaft ist gespalten. Wie wollen der Gewerbeverband und andere Wirtschaftsverbände weit gehende Zugeständnisse an die Gewerkschaften verhindern?

Eine Gesamtbeurteilung können wir erst machen, wenn die Texte der Verträge mit der EU vorliegen. Bis jetzt kennen wir erst das Verhandlungsmandat und einige Faktenblätter. Innenpolitisch ist aber klar: Eine Einschränkung des flexiblen Arbeitsmarkts kommt für uns nicht infrage.

Noch offen ist, was alles in den Bereich des Europäischen Gerichtshofs fällt. Der Gewerbeverband lehnt eine zu weitgehende Rolle des EuGH ab. Was verstehen Sie darunter?

In unseren Augen wäre das der Fall, wenn durch den EuGH gesprochenes Recht direkt oder indirekt in der Schweiz angewendet würde. Laut Verhandlungsmandat ist der EuGH dann zuständig, wenn es im EU-Recht, aber auch in den Bestimmungen der bilateralen Abkommen selbst, um die Auslegung unionsrechtlicher Begriffe geht. Inwieweit dies auch bei Streitigkeiten über Ausnahmen von der dynamischen Rechtsübernahme gilt, müssen wir aufgrund der Abkommenstexte prüfen.

Die Schweizer Unterhändler gehen offenbar davon aus, dass allein das paritätisch zusammengesetzte Schiedsgericht über die Betätigung der Schutzklausel bestimmen kann – nicht aber der EuGH. Halten Sie das für realistisch?

Laut Faktenblatt des Bundesrats sollen die Voraussetzungen zur Auslösung der Schutzklausel im schweizerischen Ausländer- und Integrationsgesetz geregelt werden. Das heisst, der EuGH darf hier nicht mitreden, weil es sich klar um Schweizer Recht handelt. Die Konkretisierung der Schutzklausel selbst ist aber im Abkommen mit der EU geregelt. Das könnte bedeuten, dass der EuGH hier trotzdem mitreden kann, wenn es um unionsrechtliche Begriffe geht. Der vollständige Ausschluss des EuGH bei Streitigkeiten um die Schutzklausel an sich müsste demnach als Ausnahme ausdrücklich anerkannt werden.

Der Gewerbeverband fordert ein Revitalisierungsprogramm für die Wirtschaft. Was verstehen Sie darunter?

Ob das neue EU-Paket dereinst kommt oder nicht, die Schweiz braucht jetzt ein Revitalisierungsprogramm. Es gibt immer mehr Bürokratie und immer neue Regeln. Darum braucht die Schweiz erstens dringend eine Regulierungsbremse. Zweitens müssen wir bei den Sozialwerken über eine längere Lebensarbeitszeit und eine Schuldenbremse diskutieren. Und drittens muss die Schweiz mit wirtschaftlich dynamischen Ländern weitere Freihandelsabkommen abschliessen.

Wie wollen Sie das durchbringen? Die Bevölkerung stellt sich klar gegen ein höheres Pensionsalter. Die Erhöhung des Frauenrentenalters wurde sehr knapp angenommen.

Wenn wir die AHV weiter finanzieren wollen, werden wir um eine Erhöhung des Referenzalters nicht herumkommen. Bei den Sozialwerken drohen Milliardenschulden, deshalb halte ich eine Schuldenbremse auch in diesem Bereich für angebracht und nötig.

Die Wirtschaftsverbände gelten nicht gerade als kampagnenstark. Wie wollen Sie die Bevölkerung überzeugen?

Wir wissen, dass wir hier Handlungsbedarf haben. Wir müssen der Bevölkerung noch besser aufzeigen, was es braucht, um unseren Wohlstand zu erhalten, und was unsere Errungenschaften bedroht. Darum müssen wir auch bei Kampagnen angriffiger werden.

Schon am 9. Februar kommt die Umweltverantwortungsinitiative an die Urne, die eine Volkswirtschaft will, die sich innerhalb der von der Natur gesetzten Grenzen und ihrer Regenerationskapazität entwickelt. Wie sieht die Gegenkampagne aus?

Diese Initiative ist gefährlich, denn ein Ja hätte drastische negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft. Sie würde die Welt nicht besser machen, sondern schlechter. Wir nennen sie darum «Verarmungsinitiative». Das ist die Hauptbotschaft der Nein-Kampagne.

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