Dienstag, Januar 7

Die Kunst der Zürcher Konkreten kann heute neu gelesen werden: Die Publikation «Kreis! Quadrat! Progress!» widmet sich einer Avantgarde, wie sie wohl nur in der Schweiz entstehen konnte.

Von Max Bill stammt die schöne Formulierung, dass Kunstwerke Dinge zum geistigen Gebrauch seien. Das gilt wohl heute wie damals. Der Architekt und Theoretiker der Zürcher Konkreten hatte dabei vor allem die Malerei im Blick, also eben die Kunstform, die keinen erkennbaren praktischen Zweck im Lebensraum des Menschen hatte. Welchen Zweck konnten Bilder haben? Sie waren mehr als Dekor, das war klar. In Bills Denken standen sie aber unter dem Druck, sich als nützlich erweisen zu müssen. So fand er eine Definition, die ihm erlaubte, auch die freie Kunst in einem praktisch inspirierten und dabei überraschend grosszügigen Sinn zu betrachten.

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Die Malerei war für Max Bill die Kunst, in der sich Zweck und Freiheit berühren konnten. Bilder waren die einzigen Dinge in seinem Werk, die er eigenhändig ausführte. Alles andere – auch seine Skulpturen – entstand als Entwurf, dessen Umsetzung er in die Hände von Technikern legte. Für Bill war Kunst konstruierbar nach Mass und Zahl und abhängig von Funktion und Material.

Mit dieser Auffassung war er ein konsequenter Abkömmling des Bauhauses. Der Begriff «konkrete Kunst» – im Manifest von Theo van Doesburg vorgegeben – wurde von Bill erweitert und strenger formuliert: Konkrete Kunst sollte «in letzter Konsequenz der reine Ausdruck von harmonischem Mass und Gesetz» sein. Damit machte er sich zum Sprachrohr einer Kunstbewegung, deren Einfluss weit über die Schweiz hinausreichen sollte.

Die neue Publikation «Kreis! Quadrat! Progress!» widmet sich einer Avantgarde, wie sie in ihrer programmatischen Engführung vielleicht nur in der Schweiz entstehen konnte. Es waren das Konstruktive und das Mathematische, das Architektonische und das Praktische, die von den Zürcher Konkreten propagiert wurden und ganze Generationen von Gestaltern prägten.

Der gewichtige Band zeichnet die Werkbiografien der Hauptvertreter Max Bill, Camille Graeser, Richard Paul Lohse und Verena Loewensberg ausführlich nach, stellt aber auch die Vorreiter der Zürcher Bewegung vor. So werden van Doesburg, Johannes Itten und Sophie Täuber-Arp zu Recht mit der Zürcher Schule in eine Reihe gestellt. Wie oft in solchen Gegenüberstellungen zeigt sich dabei, dass die eigentlich kreativen Impulse von der Generation der Pioniere ausgingen.

Sachlichkeit und Eindeutigkeit

Die Schule der Zürcher Konkreten war eine malerische und gestalterische Bewegung. Dass sich gerade ein Architekt und Designer zu ihrem Sprecher aufschwang, war durchaus noch dem Einfluss des Bauhauses und natürlich dem dominanten Charakter von Bill geschuldet. In den Baukünsten und in der Gestaltung von Gebrauchsdingen gab das technisch Messbare den Ton an.

Im fluiden Medium der Malerei war das Gestalten nach Mass und Gesetz nicht so fassbar. In der Wirkung von Farbe und Licht liegt immer etwas Intuitives, was sich nicht in Ordnungen giessen lässt. Das Individuelle, das nach Bill zurückgedrängt werden sollte zugunsten einer reinen Harmonie, kommt gerade in der Malerei viel deutlicher zum Ausdruck als in den anderen Medien.

Doch was heisst eigentlich konkret? Im Wortsinn war es das präzis Greifbare im Sinn von Sachlichkeit und Eindeutigkeit. Für die Kunst hiess dies, dass der Einsatz von Form, Farbe und Linie immer nachvollziehbar war. So sollte die Komposition einen Impuls geben, das Werk mit dem Verstand zu durchdringen. Die Bildlogik in der Auffassung dieser Kunst war eben nicht abstrakt oder expressiv, sondern immer sachlich ablesbar. Sie war eine Form von Sprache, orientiert an den elementaren Mitteln der Malerei. Deutlich wird hier, dass die konkrete Kunst bewusst eine Gegenbewegung zur herrschenden expressiven Abstraktion sein wollte.

Alle Künstler der Zürcher Konkreten waren nicht nur als Maler, sondern auch als Gestalter von Plakaten und Raumdekorationen tätig. Die rhythmisch aufgebauten Kompositionen aus Farbfeldern eigneten sich bestens, um modernen Bauten einen frischen Klang zu geben. Es war eine Kunst, die in der Schweiz den Ton der Zeit traf. Sie verkörperte Modernität und war perfekt kompatibel mit praktischem Vernunftdenken. Aus einer Schule für Kunstgewerbe hervorgegangen, war diese Kunst per se anwendungsorientiert. Dies war sicher einer der Gründe für ihren Erfolg – neben dem gut erkennbaren Stil.

Freiheit des Spiels

Was sich an der Zürcher Schule für Gestaltung im Kreis von gleichgesinnten Künstlern formiert hatte, griff auf Kunstformen zurück, die bereits vorhanden waren: Abstraktion, Konstruktion, Serialität, Farbreihen. Die Konkreten führten all dies zusammen und kreierten damit eine Art von Extrakt moderner Gestaltung. Dass sie dabei durchaus erkennbar blieben, ist allerdings nicht ihrem Programm, sondern ihrer individuellen Kreativität zu verdanken. Es kommt eben nicht nur auf Mass und Zahl an.

Richard Paul Lohse ist der Meister der Serialität. Seine vibrierenden Klaviaturen verraten nicht nur Farbsinn, sondern auch ein ausgeprägtes Gefühl für Musikalität. Wiederholung und Muster, Gleichmass und Variation: Klang in der Kunst ist eine Form von serieller Lesbarkeit. Tatsächlich hat auch die einzige Frau der Konkreten, Verena Loewensberg, sich ausgiebig mit Musik beschäftigt. Sie war Jazzliebhaberin und betrieb neben ihrer Kunst einen Plattenladen in der Zürcher Altstadt. Wenn man ihre Bilder betrachtet, wird deutlich, dass sie sehr viel unabhängiger als ihre dogmatischen Freunde war.

«Sie war die Beste, die wir hatten», sagte Max Bill in einer Vernissagerede. Was als grosszügiges Lob für die Kollegin gedacht war, trifft die Wahrheit. Verena Loewensbergs Kunst hat genau das, was Kreativität am meisten auszeichnet: die Freiheit des Spiels. Ihre Bilder wirken heute, als hätte sie bewusst das Programm der Konkreten durchbrechen wollen. Sie sind tänzerisch und bewegt – vielleicht weiblich, wenn man will. Sie haben nichts von der Strenge der in Form gegossenen Dogmatik ihrer männlichen Kollegen.

Das spielerisch-offene Werk macht Loewensberg zu einer Verwandten von Sophie Täuber-Arp, deren Werk noch immer Entdeckungen bereithält. Gerade heute könnte man die Zürcher Konkreten einmal aus der Sicht weiblicher Logik betrachten. Mass und Zahl bekämen dann ein anderes Gewicht.

«Kreis! Quadrat! Progress! Zürichs konkrete Avantgarde». Hg. von Thomas Haemmerli und Brigitte Ulmer. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2024. 336 S., Fr. 49.–.

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