Mittwoch, Oktober 9


Entdecken

Alles sieht erlesen aus und ist meist erschwinglich: Das Verkaufskonzept von Museen ist smart – aber auch trügerisch.

Ins Museum gehen ist gefährlich. Nicht, weil die gezeigte Kunst zu heftig sein könnte, mensch vielleicht bei einer Performance mitmachen muss oder glaubt, zu wenig über Kunst zu wissen. Ja, das gibt es immer noch, dass sich Leute dafür entschuldigen. Klar, Kunst macht mehr Freude, wenn mensch mehr Bezüge herstellen kann, wenn das Wissen wächst. Wie auch bei der Automechanik, der Zahntechnik und im Gartenwesen. Verstehen macht Spass.

Ein neues Format für Gottschalk? Was in einem Museum gefährlich ist wie die Sirenen, denen nur der an einen Schiffsmast gefesselte Odysseus widerstehen kann: die Museumsshops. Wer ist da nicht schon hängengeblieben, vielleicht sogar noch vor dem Besuch der Ausstellung? Mensch wird da durchgeschleust, wenn nicht zu Beginn, dann zum Schluss; wie in der Migros und im Coop, wo an den Kassen billig-farbige Leckereien liegen, die bei Kindern pünktlich zum Feierabend Schreikrämpfe auslösen.

Alles schreit: «Haben wollen!»

Ich husche nach dem Scheuklappenprinzip durch die Museumsshops. Wahrscheinlich wird mir sowieso wieder etwas ins Auge springen, an das ich dann während meines Ausstellungsrundgangs ununterbrochen denken muss. Soll ich diese Halskette mit Feueranzünder im Lederanhänger kaufen, obwohl ich kaum rauche? Soll ich die mit van Goghs Sternennacht bedruckte Kochschürze für eine Freundin holen – oder ist das ein doofes Geschenk für eine Frau? Was ist mit dem Ring in Form eines Goldklumpens, schlummert der Wunsch danach nicht schon seit Jahrzehnten in mir? Und der von mir hochverehrte vergoldete Sparschäler von Victorinox?

Die Halskette «Neckpen» mit Kugelschreiberanhänger, seit 1952 von einem japanischen Familienbusiness hergestellt? Oder die Armbanduhr von Advolat, in limitierter Edition? Gierig treibe ich so durch die Ausstellung, betrachte Zeichnungen, die von Krieg und von Armut handeln, glotze auf Fotografien von Geschlechtsteilen, auf lebensgrosse Elefantenskulpturen, Keramiken mit Blutspuren oder Malereien von Seen und Bergen. Aber alles in mir schreit: «Haben wollen.»

Gleich geschmückt und trotzdem individuell

In der Verfilmung von «Herr der Ringe» gibt es diesen grossartigen Augenblick, als der alte Hobbit Bilbo dem jungen Hobbit Frodo den mächtigen Ring überreichen muss. Gemäss der Saga kann es nur Frodo schaffen, den Ring ins Feuer zu werfen, auf dass dessen zerstörerische Kraft ein Ende finde. In der Sekunde nun, als Bilbo den Ring aus seinen Händen gibt, verwandelt sich sein so gutmütiges Hobbit-Gesichtchen ultrakurz in ein schreiendes grausames Monster. So ungefähr bin ich in Museumsshops.

In Museumsshops sieht alles erlesen und qualitativ gut aus und ist doch erschwinglich. Am Ende sind alle gleich geschmückt und fühlen sich dennoch individualistisch. Grossartiges Konzept! Wir Gruppen­tiere, wir. Die Mutter der Museumsshops soll der MET-Store des Metropolitan Museum in New York City sein, Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnet. Nach Europa kamen die Shops erst gegen Ende der 1980er Jahre.

Wollen wir seither, wenn wir glauben, ein Museum zu besuchen, eigentlich shoppen gehen? Und doch: Hier eine Uhr oder einen Ring kaufen fühlt sich nicht wie ein echter Fund an. Vielleicht, weil jeder damit rausspazieren kann, sei’s mit Schirm, Vase oder Ring – «Hans was Heiri» quasi. Soll ein Ring einen denn nicht glauben machen, auserwählte und einzigartige Trägerin zu sein, sei’s auch nur für kurze Zeit?

Renata Burckhardt ist Bühnen­autorin, Kolumnistin und Dozentin in den Bereichen Kunst, Literatur und Theater, u. a. an der FHNW in Basel. Zudem leitet sie Schreibworkshops an diversen Theater- und Literatur­institutionen.

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