Donnerstag, Oktober 3

Das wichtigste Museum der Stadt steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Es fallen zu lassen, ist keine Option. Heute hängt es deutlich weniger am Subventionstropf als andere grosse Kulturhäuser.

Die Schadenfreude ist gross. «Ausgerechnet der!», wird geschnödet. Philipp Hildebrand, der frühere Notenbank-Chef, heutige Blackrock-Spitzenbanker, galanter Zahlenmensch und weltgewandter Feingeist, versagt in seiner Kernkompetenz. Als Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft ist er verantwortlich für die finanzielle Lage von Zürichs wichtigstem Museum, dem Kunsthaus. Und um die steht es schlecht.

Das zweite Jahr in Folge schreibt die Trägerschaft ein Defizit von rund 1,5 Millionen Franken. Die Verschuldung ist auf 4,5 Millionen Franken angewachsen. In den Medien ist wahlweise von einer «Katastrophe», einem «Debakel» oder schlicht einer «Peinlichkeit» die Rede.

«Die Zürcher Kunstgesellschaft ist pleite. Mehr als pleite», schreibt der Finanzblog «Inside Paradeplatz» gewohnt knallig. Hildebrand und seine Museumsleitung hätten das Kunsthaus «mit Volldampf in die Krise geführt». Das Haus sei unter ihm zum «dramatischen Sanierungsfall» geworden. Hildebrand, der Hoffnungsträger, der zur Hypothek wird – nichts lieben Medien und Öffentlichkeit mehr als einen gefallenen Helden.

Doch ist die Häme gerechtfertigt?

Was stimmt, ist, dass das Kunsthaus finanziell saniert werden muss. Das strukturelle Defizit, das sich seit der Eröffnung des prunkvollen Chipperfield-Baus 2021 aufgetan hat, ist ein Problem. Die Kosten für den laufenden Betrieb des plötzlich doppelt so grossen Museums wurden in der Planung unterschätzt. Hildebrand spricht von einem «Supersizing», das immense Auswirkungen auf die Organisation, das Personal, die Abläufe und Finanzen des Hauses habe.

Ebenfalls zur Wahrheit gehört: Die Fehlprognosen liegen weit in der Vergangenheit. Sie wurden erstellt, lange bevor Hildebrand im Frühling 2022 das Zepter im Kunsthaus übernommen hat. Ihm daraus einen Strick zu drehen, ist unredlich.

Unbequeme Fragen gefallen lassen müssen sich aber die damals Verantwortlichen. Haben sie die Betriebskosten für den Neubau absichtlich zu tief eingeschätzt, um das Prestigeprojekt nicht zu gefährden? Haben sie die Stimmbevölkerung getäuscht – aus Kalkül oder Unfähigkeit?

2012 sagten die Stadtzürcher Ja zu einem 88-Millionen-Kredit für den Erweiterungsbau, der heute den Heimplatz prägt. Zudem stellten sie sich hinter eine Erhöhung der jährlichen Subventionen auf knapp 13 Millionen Franken für die Kunstgesellschaft und auf rund 5 Millionen Franken für die Stiftung Zürcher Kunsthaus, die sich um die Instandhaltung und Werterhaltung der Liegenschaft kümmert.

Das geschah mit der klaren Erwartung, dass diese städtischen Beiträge ausreichen werden. Im Abstimmungskampf warnten unter anderem die SVP und Vertreter der Grünen und Alternativen davor, dass die Kosten mit dem Neubau zum Problem werden könnten. So ist es nun gekommen. Das ist tatsächlich peinlich und gehört aufgearbeitet.

Kunst kostet

Hildebrands Vorgänger, der frühere CS- und Swiss-Re-Präsident Walter Kielholz, stellte in der NZZ in Abrede, dass das Stimmvolk getäuscht worden sei. Man habe die Kosten vor der Abstimmung sorgfältig berechnet aufgrund der Zahlen und Annahmen, die man damals gehabt habe. Mittlerweile habe sich die Welt aber verändert.

Macht es sich der ehemalige Präsident mit seiner Erklärung zu einfach? Dass die Budgetierung bei Ausbauten in solchen Dimensionen tatsächlich nicht trivial ist, zeigte etwa das Kunstmuseum Basel. Auch diese traditionsreiche Institution geriet nach der Eröffnung ihres monumentalen Neubaus von Christ & Gantenbein 2016 in finanzielle Schieflage. Böse Absicht zu unterstellen, wäre falsch.

Kunst kostet, Kultur kostet. Niemand weiss das besser als die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch. In ihrer Funktion ist die SP-Magistratin für die Kultursubventionen der Stadt zuständig – und sie sitzt seit 2009 auch im Vorstand der Kunstgesellschaft. Zusammen mit weiteren vom Stadtrat gewählten Vertretern und solchen, die die Kantonsregierung stellt, hat die öffentliche Hand eine Mehrheit im Gremium. Auch von diesen Fachleuten wäre zu erwarten gewesen, dass sie genauer hinschauen. Schliesslich geht es um Steuergeld.

Aber eben nicht nur.

Vielleicht lässt sich die Häme, die sich in den letzten Wochen über Hildebrand, Kielholz und anderen ergoss, auch mit der besonderen Stellung des Kunsthauses im Zürcher Kulturbetrieb erklären. Ja, auch das Kunsthaus lebt von staatlichen Geldern. Im Gegensatz zu praktisch allen anderen grösseren Kulturinstitutionen der Stadt hängt es prozentual aber deutlich weniger am Subventionstropf.

Rund die Hälfte seines Betriebs finanziert das Kunsthaus eigenständig – durch Ticketverkäufe, Mitgliederbeiträge, Shop-Einnahmen und Spendengelder. Bei einem Jahresbudget von insgesamt 30 Millionen Franken ist das im wenig lukrativen Kulturgeschäft ein beeindruckender Wert. Das führt zu Missgunst und Misstrauen bei all jenen, die es nicht schaffen.

Für jeden der rund 500 000 Besucher im vergangenen Jahr schoss die Stadt im Kunsthaus zirka 26 Franken ein. Der Vergleich mag nicht ganz fair sein, aber beim Theater Neumarkt waren es in der vergangenen Spielzeit rund 290 Franken pro Zuschauer. Beim besonders üppig bestückten und vergleichsweise schlecht besuchten Schauspielhaus gar 400 Franken. Man kann vielleicht nicht gerade von einem effizienten Mitteleinsatz beim Kunsthaus sprechen. Aber er ist besser als andernorts.

Die Meisterleistung des privaten Engagements war mit Sicherheit die Finanzierung des Chipperfield-Baus. Denn neben den städtischen und kantonalen Beihilfen organisierten Kielholz und Verbündete rund 90 Millionen Franken von privaten Gönnern und Sponsoren. Entstanden ist ein prächtiger Bau mit wertvollem Inhalt, der in der Gesamtrechnung für Zürich, die Schweiz und die Kunstwelt ein Gewinn ist. Es ist ein Schmuckstück für die Ewigkeit, «too precious to fail».

Wenn es nun darum gehen sollte, die Subventionen für das Kunsthaus leicht anzuheben, um das strukturelle Defizit auszumerzen, sollte die Politik die Rechnung genau machen. Das Ziel sollte eine budgetneutrale Lösung sein.

Namentlich beim Schauspielhaus mit seinen 40 Millionen Franken Subventionen könnte man Abstriche vornehmen. Das wichtigste Theater der Stadt hat durch seinen ausgeprägten Woke-Kurs massig Publikum vergrault. Es ist zurzeit ohnehin auf der Suche nach einer neuen, hoffentlich erfolgreicheren Ausrichtung.

Das Schauspielhaus erhält am meisten Subventionen

Beiträge in Mio. Fr.

Beim Neumarkt wiederum stellt sich seit längerem die Frage, wie sich das experimentelle Theater vom grossen Bruder Schauspielhaus besser abgrenzen kann – und ob es in seiner heutigen Form überhaupt noch eine Existenzberechtigung hat. Zumal das Haus immer wieder für Skandale sorgt. Jüngst, weil es einem schweizerisch-israelischen Schauspieler untersagt haben soll, gemeinsam mit einer libanesischen Kollegin auf der Bühne zu stehen.

Es braucht den Sondereffort

Das Kunsthaus ist trotz den momentanen Schwierigkeiten eine erfolgreiche Public-private-Partnership, wie es sie im Kulturbetrieb viel mehr geben sollte. Die einflussreichen linken Kräfte im heutigen Zürich beäugen solche Modelle grundsätzlich skeptisch. Privater Initiative misstraut man in diesen Kreisen prinzipiell, man unterstellt ihr schnell unlautere Motive. Das wurde beim Kunsthaus jüngst auch in der überdrehten Debatte um die Sammlung Bührle augenfällig.

Wenn Philipp Hildebrand schlau ist, wird er alles unternehmen, um den heutigen 50/50-Finanzierungsschlüssel zwischen Staat und Privat ungefähr beizubehalten. Sonst erhalten die Stadt und ihr umtriebiges rot-grünes Parlament noch mehr Gewicht, als sie es in dieser Angelegenheit ohnehin schon haben.

Im Interview mit der NZZ äusserte sich Hildebrand in diese Richtung: «Es entspricht nicht meinem Ideal, mich einfach auf den Staat zu verlassen. So ticke ich nicht.» Er zeigte Sympathien für das bestehende Fifty-Fifty-Modell. Welche Schritte er genau unternehmen will, um das Ziel zu erreichen und das Defizit zum Verschwinden zu bringen, bleibt bis jetzt jedoch sehr vage.

Nur so viel: Beliebig sparen will die Kunsthaus-Führung nicht. Tatsächlich können reduzierte Öffnungszeiten oder weniger Ausstellungen andernorts negative Auswirkungen haben. Auch höhere Ticketpreise müssen in einem halbstaatlich finanzierten Haus wohlüberlegt sein.

Gefragt werden in den nächsten Wochen vor allem Hildebrands Fähigkeiten als Netzwerker sein, um mehr private Gelder einzutreiben. Schon lange sucht das Haus etwa einen dritten Grosssponsor. Auch sonst harzt es mit der Spendensuche, Hildebrand spricht von einer gewissen «donor fatigue». Wenn er es schafft, die privaten Gönner wieder aufzuwecken, zu begeistern, dann hat er keine Häme verdient, sondern Respekt.

Dafür braucht es nun aber einen Sondereffort. «Mein Pensum ist deutlich höher, als ich vor meinem Antritt als Präsident angenommen hatte», bemerkte Hildebrand leicht irritiert. Das dürfte noch eine Weile so bleiben.

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