Die Basler Bevölkerung hat das Stimmrecht ohne Schweizer Pass bereits zweimal verworfen. In der Westschweiz können Ausländer seit Jahren abstimmen. Was lässt sich daraus lernen?
Als Johannes Barth zwölf Jahre alt war, traten seine Eltern zum Einbürgerungstest an. Sie mussten wissen, wie der höchste Berg der Schweiz heisst oder welche Trams von Basel in den Landkanton fahren. Barth war bis dahin Deutscher, im Jahr 1982 liess sich seine gesamte Familie in Allschwil einbürgern. «Das war ein Bekenntnis zur Schweiz», sagt Barth rückblickend.
Als Neo-Schweizer machte er später Militär und Zivilschutz, seit ein paar Jahren engagiert er sich auch politisch. Der Privatbankier präsidiert die FDP Basel-Stadt und wurde im Oktober in den Grossen Rat gewählt. «So muss es sein», sagt Johannes Barth. «Wer Rechte möchte, muss auch Pflichten wie den Militärdienst erfüllen, zumindest als Mann.» Daher ist Barth gegen das Ausländerstimmrecht: «Wer abstimmen möchte, soll sich einbürgern lassen.»
Basel-Stadt hat einen der höchsten Ausländeranteile der Schweiz. 38 Prozent der Bevölkerung besitzen gemäss dem statistischen Amt keinen Schweizer Pass. Viele von ihnen zahlen Steuern, können aber nicht bestimmen, wofür das Geld ausgegeben wird. Regierung, Parlament und eine Allianz aus mehrheitlich linken Parteien möchten das ändern: Basel-Stadt stimmt am 24. November über das aktive Ausländerstimmrecht ab.
Es soll für Personen gelten, die seit mindestens fünf Jahren im Kanton leben und über eine Niederlassungsbewilligung C verfügen. Eine solche bekommt, wer einigermassen Deutsch spricht, nicht straffällig geworden ist, keine Schulden und einen Job hat oder eine Ausbildung macht. Politische Ämter im Parlament oder in der Regierung bleiben tabu.
Ausländer wählen SP
Die Vorlage geht zurück auf einen Vorstoss von Edibe Gölgeli. Die SP-Grossrätin befürchtet in Zukunft ein «Demokratiedefizit». Der Anteil der Stimmberechtigten werde immer kleiner, am Schluss drohe eine Minderheit über eine Mehrheit abzustimmen, so Gölgeli. Tatsächlich ist der Zuwanderungssaldo positiv, der Ausländeranteil könnte leicht zunehmen.
Basel-Stadt hat das Ausländerstimmrecht bereits zweimal abgelehnt, letztmals im Jahr 2010 mit 61 Prozent. Damit steht Basel ausnahmsweise auf der Deutschschweizer Seite des Röstigrabens: Ausser im Wallis können Ausländer in allen Westschweizer Kantonen mindestens an Wahlen auf Gemeindeebene teilnehmen, in insgesamt gut 600 Gemeinden. Im Rest des Landes gewähren nur rund 30 Gemeinden dieses Recht, alle in Graubünden und in Appenzell Ausserrhoden.
Der erste Kanton war Neuenburg. Er führte bereits 1849 das Ausländerstimmrecht ein, zunächst auf Gemeinde-, 2000 auch auf kantonaler Ebene. Der Kanton Jura lässt Ausländer seit der Gründung des Kantons 1979 auf beiden Ebenen teilnehmen.
Der Blick in die Westschweiz bringt interessante Erkenntnisse zu den Folgen des Ausländerstimmrechts. Bürgerliche Parteien in Basel-Stadt verdächtigen die Linken beispielsweise, Profit aus dem Ausländerstimmrecht in Form von Stimmen schlagen zu wollen. Zu dieser These gibt es kaum kommunale und kantonale Auswertungen.
Auf Bundesebene jedoch gibt es vereinzelte Studien, welche vorsichtige Schlüsse erlauben. So zeigten Befragungen der Universität Lausanne nach den Wahlen im Oktober 2023: Wähler mit Migrationshintergrund stimmten tatsächlich deutlich überproportional für die SP. Auch die FDP und – mit Abstrichen – die GLP profitierten, die SVP dagegen lag klar unter dem gesamtschweizerischen Ergebnis.
Ein durchzogenes Bild zeigte sich bei der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014. Schweizer mit Migrationshintergrund stimmten laut einer Umfrage etwas öfter für das Begehren als solche ohne, insbesondere italienischstämmige Schweizer. Doch nur ein Drittel der Befragten ohne Pass begrüsste die Initiative.
Ein interessantes Phänomen konstatierte eine weitere Analyse der Universität Lausanne zum Wahlverhalten von eingebürgerten Schweizern bei der Nationalratswahl 2015: In Kantonen, in welchen das Gemeindevolk über Einbürgerungen abstimmt, wählten die Betroffenen überproportional SVP. Womöglich wollten sie sich «schweizerischer als die Schweizer» zeigen, vermutete die Studie. Umgekehrt wählten Eingebürgerte, die ihren Schweizer Pass ohne Volksabstimmung erhalten hatten, verstärkt SP.
Alles in allem ist aber fraglich, ob das Ausländerstimmrecht grosse Verschiebungen in der Politlandschaft bewirkt. Denn über das Gros der Gemeinden und Kantone gibt es vor allem eine bekannte Konstante: die geringe Teilnahme. Im Schnitt machen nur zwischen 10 und 20 Prozent der stimmberechtigten Ausländer an Abstimmungen und Wahlen mit.
Die Datenlage zu den Gründen ist dünn. Eine Studie zu Portugiesen und Spaniern in Neuenburg und Genf kam 2023 unter anderem zu dem Schluss, dass die Betroffenen sich aufgrund von Sorgen um den Aufenthaltsstatus sowie wegen empfundener Diskriminierung wenig mit der Schweiz verbunden fühlten.
Für Edibe Gölgeli stellt sich die Frage nach dem Stimmrecht persönlich nicht mehr. Auch sie ist im Teenageralter mit ihrer Familie zum Einbürgerungstest angerückt. Für die Schweizerin mit kurdischen Wurzeln fühlte es sich seltsam an, einen Test bestehen zu müssen. Gölgeli ist hier geboren und aufgewachsen: «Ich spreche Baseldytsch, war gut in der Schule und dachte immer, ich gehöre dazu. Doch plötzlich musste ich das beweisen», sagt sie.
Mit dem Argument des Freisinnigen Barth, Ausländer könnten sich einbürgern lassen, wenn sie mitbestimmen wollten, kann Gölgeli nichts anfangen: «Das eine schliesst das andere nicht aus», sagt sie. Ausserdem seien die Hürden für eine Einbürgerung im europäischen Vergleich hoch. Ausländer müssen zehn Jahre lang in der Schweiz gewohnt haben, bevor sie ein Gesuch stellen dürfen. Je nach Kanton müssen die Kandidaten zwei bis fünf davon im selben Kanton oder in derselben Gemeinde verbracht haben.
Auch das könnte sich ändern. Am 21. November wollen linke Vertreter auf nationaler Ebene die Demokratie-Initiative einreichen. Sie will die Wartefrist für Einbürgerungen auf fünf Jahre senken und kommunale und kantonale Unterschiede aufheben. Die Basler FDP hat sich noch nicht mit der Initiative beschäftigt, Präsident Barth findet aber eine Verkürzung der Fristen prüfenswert.