Mittwoch, Januar 22

Dank dem Sohn des Trainers gelang dem spanischen Klub der Wiederaufschwung. Giuliano ist der jüngste Spross der Fussballerdynastie Simeone.

Jede Serie reisst irgendwann, nun hat es auch Atlético Madrid erwischt. Pfosten, Latte, ein verschossener Elfmeter, 19 vergebliche Torabschlüsse – mit einem 0:1 beim kleinen Stadtnachbarn Leganés verlor das Team mit dem Trainer Diego Pablo Simeone am Samstag erstmals nach 15 Siegen in Folge wieder ein Fussballspiel und rutschte in La Liga vorerst auf den zweiten Platz hinter dem grossen Stadtnachbarn Real Madrid.

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Bevor es am Dienstag in der Champions League gegen Bayer Leverkusen um die direkte Achtelfinalqualifikation geht, endete mit dem Vereinsrekord auch eine persönliche Strähne: Nach 13 Erfolgen zuvor war es der erste Match überhaupt, den Atlético nicht gewann, obwohl Giuliano Simeone in der Startformation stand. Giuliano, das ist der Sohn des Trainers Diego Simeone.

Der Klub erlebt ein echtes Familienmärchen: Vor drei Monaten rumpelte Atlético traurig dahin, nach 13 Jahren auf dem Posten wurden sogar schon zarte Abgesänge auf die Trainerlegende Diego Simeone angestimmt. In der Liga lag der Klub zehn Punkte hinter dem Leader, in der Champions League hatte das Team zwei von drei Partien verloren. Doch dann beförderte Diego «Cholo» Simeone seinen Sohn in die Stammformation. Und plötzlich gelang alles, sogar der erste Sieg beim FC Barcelona für den Coach im 18. Versuch.

«Olé, olé, olé, ‹Cholo› Simeone», so skandierten die Fans nun wieder inbrünstig ihren Klassiker, und genauso ins Herz geschlossen haben sie mittlerweile den «Cholito», den kleinen «Cholo». Nicht nur, weil Simeone senior als ausgesprochener Freund der Mystik gilt, wird Giulianos Beförderung als Initialzündung für Atléticos Comeback betrachtet. Einsatzfreude und Leidenschaft des Juniors scheinen das ganze Team aufgerüttelt zu haben. Der «Cholito» ist auch in seinen Tugenden ein kleiner «Cholo», denn just mit solchen Attributen wurde der Vater schon als Spieler zu einer Atlético-Legende.

Diego Simeones Söhne sind allesamt Angreifer

Doch wer Vetternwirtschaft vermuten würde, kennt Diego Simeone schlecht. Teamgeist, Solidarität und die Absage an den Individualismus sind die Prinzipien seiner Spielphilosophie, und so bereitete dem «Cholo» das Thema Familienbande anfangs sichtliches Unwohlsein. «Ich will und sehe keine Storys in diese Richtung», sagte der Trainer nach Giulianos ersten Kurzeinsätzen. «Bei Atlético spielen die, die rennen, und die anderen spielen weniger.» Einer von vielen, «un futbolista más», sei Giuliano – so lautet die Sprachregelung, auf die sich Vater und Sohn geeinigt haben.

Giuliano, 22 Jahre alt, ist der jüngste Spross der Fussballerdynastie Simeone. Auch seine älteren Brüder spielen als Profis. Der älteste, Giovanni, reüssiert seit Jahren in Italien, derzeit steht er bei der SSC Napoli unter Vertrag. Der mittlere, Gianluca, ist weniger erfolgreich, momentan spielt er in der vierthöchsten spanischen Liga. Derweil der Vater ein Stratege und Allrounder im Spielzentrum war, sind seine drei Söhne allesamt Angreifer ­– auch wenn Giuliano nun als rechter Mittelfeldspieler in einem 3-5-2- oder einem 4-4-2-System eingesetzt wird.

Geboren wurde Giuliano in Rom, als Diego Simeone dort für Lazio kickte. Seine Karriere begann er dann in Buenos Aires bei River Plate. Als der Vater an Weihnachten 2011 den Trainerjob bei Atlético übernahm, flossen bei Giuliano und Diego die Tränen. «Ich war sehr klein, Papa ging, und man weiss ja: Wenn er es gut macht, kommt er nicht zurück», erinnert sich Giuliano. Es war ein potenziell traumatischer Moment, doch die gemeinsame Liebe zum Fussball schuf gegenseitiges Verständnis: «Ich sagte ihm, dass er gehen solle, dass es Wahnsinn sei, gegen Messi und Ronaldo wettstreiten zu können.»

Der Papa machte es dann so gut, dass Atlético für Giuliano zum «Traumklub» und Ansporn für die eigene Karriere wurde. Vor fünf Jahren trat er in Atléticos Jugendakademie ein, um eine Klubkultur kennenzulernen, die der Vater geprägt hat wie kaum ein anderer.

Doch weil es nun einmal keine Vorzugsbehandlung geben durfte, wurde Giuliano nach einem kurzen Debüt für die erste Mannschaft 2022 zunächst ausgeliehen. Ein Jahr kickte er in Saragossa in der zweiten Liga, dann folgte eine Saison mit Alavés im Abstiegskampf. Nach der Genesung von einem Schien- und Wadenbeinbruch zeigte er dort eine starke zweite Saisonhälfte, bezwang den Vater im Duell 2:0 und verdiente sich damit den Kaderplatz bei Atlético. «Der haut richtig rein», sagte der Alavés-Trainer Luis García Plaza: «Giuliano kann neunzig Minuten rennen, ohne stehen zu bleiben, der ist eine Plage für den Gegner, aus allem macht er irgendwas.»

GIULIANO SIMEONE habla tras su PRIMER GOL como ROJIBLANCO

Wie für Atlético etwa in jener Szene im Hinspiel gegen Leganés, die ihn im Oktober berühmt machte. Nachdem er in einem zähen Match schon den 1:1-Ausgleich eingeleitet hatte, rettete Giuliano in der Schlussphase an der Aussenlinie einen scheinbar verlorenen Ball durch eine beherzte Grätsche und servierte ihn umstandslos Antoine Griezmann zum Führungstor.

Zehn Tage später erkämpfte er beim Sechstligaklub Vic einen Elfmeter und bewahrte Atlético damit vor einem Debakel im Cup – seither ist er Stammspieler. Beim einzigen Mal, als Diego Simeone in der Liga oder der Champions League danach noch einmal auf Giuliano in der Startformation verzichtete, musste der Coach in der Halbzeit reagieren – mit dem eingewechselten Sohn drehte Atlético gegen Alavés das 0:1 noch zu einem 2:1.

«Wir ähneln uns sehr in der Intensität, wie wir jedes Training und jedes Spiel leben», sagt der Junior über sich und seinen Vater. Im November erhielt er bereits die ersten Einsatzminuten in Argentiniens Nationalteam. Gut möglich, dass er auch dort eines Tages von Diego trainiert wird; die «Albiceleste» galt immer als Herzensangelegenheit des 108-fachen Auswahlspielers.

Am Samstag versagte Giuliano erstmals als Talisman

Das Märchen von «Cholo» und «Cholito»: Auch vom berüchtigten Aberglauben des Alten scheint Giuliano etwas abbekommen zu haben. So übernahm er die Angewohnheit des früheren Atlético-Stürmers Luis Suárez, immer mit einer Bandage um die Hand als Glücksbringer zu spielen, als er beim ersten Mal damit gleich doppelt traf.

Nach 13 erfolgreichen Einsätzen in der Startformation versagte Giuliano Simeone am Samstag nun zwar erstmals als Talisman – nicht jedoch auf dem Platz. Auf seiner rechten Seite war er der gefährlichste Offensivspieler Atléticos, ehe er nach einer guten Stunde ausgewechselt wurde. Egal, nun kommt wieder die Champions League, im Fussball geht es immer weiter – wer wüsste das besser als ein Simeone? «Spiel um Spiel», zitierte der Sohn neulich die berühmteste Losung seines Vaters: «So habe ich es zu Hause immer gehört.»

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