Corine Mauch dominierte das politische Zürich. Was bleibt von ihr?

Die Kritiken sind vernichtend. Gestottert habe sie, die Rede habe sie von einem Papier ablesen müssen. «Fremdschämen» müsse man sich für sie, urteilt Frank Baumann, scharfzüngiger Werber und TV-Moderator. Es ist November 2009, und die neue Stadtpräsidentin hat zur Eröffnung des Zirkus Conelli gesprochen. Der «Tages-Anzeiger» fragt sich: «Warum wollte sie diesen Job, wenn sie so ungern auftritt?»

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Anderthalb Jahrzehnte später fällt es den Leuten schwer, sich das Stadtpräsidium ohne Corine Mauch vorzustellen.

Aus der «Grauen Mauch», als die sie anfangs verunglimpft wurde, ist eine gewiefte Politikerin mit souveränem Auftreten geworden. Kein grosser Kulturanlass, keine Premiere kommt ohne sie aus. Die Sozialdemokratin ist bis in bürgerliche Finanz- und Wohltätigkeitskreise ein gern gesehener Gast. In Wahlen gilt sie als unbesiegbar – vor drei Jahren versuchte schon gar niemand mehr, gegen die amtierende Stadtpräsidentin anzutreten. Weder parteiintern noch bei der politischen Konkurrenz.

Selbst jetzt, wo die halbe Stadt von ihrem Rücktritt ausging, tat Mauch, was sie wollte: Sie liess sich Zeit, deutete zuerst an, nochmals kandidieren zu wollen. Und verkündete dann an einer perfekt inszenierten Medienkonferenz vom Montag doch: Nach 17 Jahren an der Macht ist 2026 Schluss. Mauch, die ewige Stadtpräsidentin geht.

Und hinterlässt die Zürcherinnen und Zürcher mit der Frage: Wer hat uns da all die Jahre eigentlich regiert?

«Corine Lauch» und die «rockeuse de Zurich»

Die Geschichte der Stadtpräsidentin Mauch beginnt an einem Dienstagabend im Dezember 2008 im Zürcher Volkshaus. Es ist ein SP-interner Anlass. Kein Uneingeweihter käme auf die Idee, dass hier darüber entschieden wird, wer die Geschicke der Stadt in Zukunft lenken soll.

Sechs Wochen zuvor hat Elmar Ledergerber überraschend seinen Rücktritt als Stadtpräsident angekündigt. Nun treten drei Frauen und ein Mann auf die Bühne. Kaum jemand kennt sie in der Öffentlichkeit. Mauch ist eine von ihnen. Sie gilt im Vorfeld nicht als Favoritin, doch am Ende wird sie zur Kandidatin für das Stadtpräsidium gekürt.

Mauchs politische Ziele sind SP-Klassiker: Wohnungsbau, Kitas, Lehrstellen. Im politischen Zürich zirkuliert der böse Satz, die SP könne in der Stadt Zürich auch einen Kartoffelsack hinstellen, er werde gewählt.

Mauch mag unbekannt sein – ein politischer Nobody ist sie zum Zeitpunkt der Kür aber nicht. Damals ist sie 48 Jahre alt und seit acht Jahren Stadtparlamentarierin für die SP. Fast ebenso lange sitzt sie in der Geschäftsprüfungskommission, die letzten zwei Jahre als deren Präsidentin.

Und Mauch stammt aus einer Politikerdynastie. Ihre Mutter Ursula Mauch war die erste Aargauer SP-Nationalrätin. Zur «Aargauer Zeitung» sagt Corine Mauch in dieser Zeit: «Politik hat mit Macht zu tun und Einflussnahme.» Deshalb sei in eine grosse Partei eingetreten und nicht in eine kleine. Die Zeitung schreibt, der Wille zur Macht scheine im Widerspruch zu Corine Mauchs Erscheinung zu stehen. Aber: «Die zierliche Figur, die kaum gezähmten Locken, das breite Lächeln und die sanfte Stimme täuschen.»

Mauch ist jemand, der Gegensätze in sich vereint. Sie ist in der Weltstadt Boston aufgewachsen – und in Unterlunkhofen, einer kleinen Gemeinde im Kanton Aargau mit 1500 Einwohnern. Sie studiert nerdige Fächer wie Agrarökonomie, Chinawissenschaft und Politologie, arbeitet in Bundesbern bei den Parlamentsdiensten. Und ist gleichzeitig Bassistin in Frauenrockbands. «La rockeuse de Zurich», nennt sie die welsche Zeitung «24 heures» einmal.

Und sie wäre die allererste Frau an der Spitze der Stadt Zürich – in der langen Liste von Stadtpräsidenten und Bürgermeistern, die bis ins Spätmittelalter zurückreicht.

Als die eigentliche Wahl ansteht, ist die amtierende Stadträtin Kathrin Martelli von der FDP ihre Kontrahentin. Weil Mauch wenig Profil hat, eilen SP-intern Aktivisten mit einer Guerilla-Kampagne zu Hilfe: Sie verballhornen sie in einer ironischen Kampagne als Corine Lauch. Was wie Kritik tönt, folgt dabei nur einem Ziel: aufzufallen. Und das gelingt.

Mauch gewinnt 2009 die Ersatzwahl ums Stadtpräsidium gegen Martelli deutlich und im Jahr darauf auch die Gesamterneuerungswahlen.

Danach beginnt ihre Verwandlung. Wenn man heute ihre Weggefährten fragt, finden es viele noch immer verblüffend, wie aus der linkischen Stadtpräsidentin, die sich im Zirkus Conelli blamierte, die abgeklärte Mauch von heute wurde. Sie habe gelernt, Auftritte zu geniessen und Kritik nicht mehr persönlich zu nehmen.

Koni Loepfe war damals Präsident der Zürcher SP, heute ist er Journalist bei der Parteizeitung P.S. Er glaubt nicht an einen magischen Moment der Verwandlung, den Mauch erlebt hat. «Sie hat anfangs einfach unterschätzt, wie wichtig der öffentliche Auftritt als Stadtpräsidentin ist. Als ihr das klar wurde, hat sie ihre Energie darauf verwendet. Und dann wurde sie besser.»

Loepfe vermutet, dass Mauch, die Sachpolitikerin, damals lieber einfache Stadträtin statt Stadtpräsidentin geworden wäre. Anfangs sei sie überfordert gewesen. Das habe sich an den öffentlichen Auftritten gezeigt. «Irgendwann haben die Leute realisiert: ‹Aha, sie kanns›. Danach war es kein Thema mehr.»

Ein Jahr nach dem Conelli-Fiasko steht sie im November 2010 erneut in der Zirkusmanege auf dem Zürcher Bauschänzli. Sie wirkt nun ganz anders: strahlend, selbstbewusst, locker. Und beweist Selbstironie mit dem Satz: «Ich bin überrascht, dass Sie meine Nummer nochmals eingeplant haben.»

Eine gewisse Unbeholfenheit im Umgang mit den Medien holt sie zwar immer wieder ein. So sorgt sie 2011 mit einer Aussage an einem Podiumsgespräch für Wirbel: Sie bereue es «täglich», Stadtpräsidentin geworden zu sein, weil sie weniger persönliche Freiheiten habe. Heute sagt Mauch, das sei ironisch gemeint gewesen.

Doch Ausrutscher dieser Art passieren ihr immer seltener. Und ihre Popularität wächst. 2014 gelingt es nicht einmal dem ehemaligen TV-Star und Neo-FDP-Politiker Filippo Leutenegger, sie bei den Wahlen ums Stadtpräsidium ernsthaft zu bedrängen. Er gibt sich staatsmännisch, Mauch angriffig – sie gewinnt deutlich.

Und bald wird sie zeigen, dass die charmante Corine Mauch auch eine knallharte Machtpolitikerin sein kann.

Die sachlich-kühle, harte Hand

Es ist der 17. Mai 2018. Mauch wurde soeben zum dritten Mal wiedergewählt. Der neu konstituierte Zürcher Exekutive tritt im Stadthaus vor die Medien, aufgereiht an einem langen Tisch.

In der Mitte sitzt Mauch, neben ihr kratzt sich Filippo Leutenegger mit grantigem Gesicht den Dreitagebart. Und dann verkündet Mauch, womit kein Aussenstehender gerechnet hatte: Leutenegger verliert sein Departement. Er muss das wichtige Verkehrsdossier an den zerknirscht wirkenden Richard Wolff abgeben, einen Linksalternativen, der dem Sicherheitsdepartement vorstand. Für beide Männer ist es eine Zwangsversetzung. Mauch kommentiert sie sachlich-kühl: Nicht alle Stadträte hätten ein Departement bekommen, das ihrem Wunsch entsprochen habe. «Das liegt in der Natur der Sache.»

Auch Wolff hatte Mauchs harte Hand schon zu spüren bekommen. Als Sicherheitsvorsteher musste er das Dossier zum besetzten Koch-Areal abgeben, weil seine Söhne dort verkehrten. Mauch sagte damals: «Dass Richard Wolff jetzt plötzlich befangen ist, ist für den Stadtrat nicht ideal.»

Mauch gibt sich nach dem Wirbel gelassen: Der Stadtrat werde sich wieder zusammenraufen. Und sie wird recht behalten. Die Stimmung im Gremium soll gut sein, sagen heute Politiker von verschiedenen Seiten. Es gibt kaum Indiskretionen, und das seit Jahren. Selbst linke Stadtparlamentarier erzählen bedauernd, dass sie wenig Einblick in die innere Mechanik des Stadtrats haben.

Was man hört: Mauch gelinge es, den anderen Stadtratsmitglieder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Und sie gehe auf die Leute zu, könne charmant sein. Das attestieren ihr selbst politische Gegner.

Diese Art hilft ihr auch bei einem schwierigen Spagat. Einerseits muss sie als Stadtpräsidentin ein offenes Ohr zu haben für die Vertreter des bei den Linken verpönten Finanzplatzes. Andererseits muss sie den linken, aktivistischen Rand ihrer Partei bei Laune halten.

Mit Wirtschaftsführern kann Mauch es gut. Sie, die jahrzehntelang im Vorstand der NGO «Erklärung von Bern» sass, den Schweizer Finanzplatz kritisierte und für Solidarität mit der Dritten Welt einstand, trifft sich regelmässig mit Bankenchefs, Vertretern der Industrie oder dem Vorstand der Handelskammer. Und betont dabei, wie wichtig die Unternehmen für Zürich seien.

Das nehme man ihr durchaus ab, sagt Balz Hösly, Präsident der Standortmarketing-Organisation Greater Zurich Area. «Wenn ein wichtiges Unternehmen sich hier ansiedeln will oder irgendein Problem hat, dann kriegt es auch meistens einen Termin bei der Stadtpräsidentin.» Sie könne dann auch zuhören, womit sie gut ankomme.

Gleichzeitig pflegt Mauch Anliegen, die auch bei Juso-Mitgliedern gut ankommen. Sie macht sich für Gleichstellung in der Stadtverwaltung stark. Für die Verwendung des Gendersterns. Oder die Zürich City Card, einen Stadtausweis für Sans-Papiers. Symbolträchtig war auch die von ihr forcierte Abdeckung von historischen Mohren-Inschriften in der Altstadt.

Mauch, die Frau, die Gegensätze so spielerisch vereinigt, ist auch als Stadtpräsidentin immer beides: Magistratin und Aktivistin.

Die Kritik

Doch wer alles zugleich ist, wer alle stets zufriedenstellen will, muss sich irgendwann auch den Vorwurf gefallen lassen, der Mauch am häufigsten gemacht wird: Wie kann man eine Stadt politisch gestalten, wenn man nirgends anecken will?

Ihr Vorgänger Elmar Ledergerber sagte vor anderthalb Jahren über den Stadtrat: «Was mich am meisten stört, ist die Bewegungslosigkeit, die Antriebslosigkeit, die Phantasielosigkeit. Ich sehe kein Programm und keine Visionen mehr – abgesehen von Velowegen und Kitas.»

Mehr als ein «nicht schlecht» brachte Ledergerber über Mauchs Leistung nicht über die Lippen.

Auch in ihrem Dossier, der Kultur, ist Mauchs Bilanz alles andere als erfolgreich.

Die geplante Schliessung des Museum Strauhof – nach Protesten abgeblasen. Der radikale Umbau des Pfauensaals – nach Kritik zur sanften Erneuerung redimensioniert. Das neue Finanzierungskonzept für Tanz und Theater – brachte ausser bürokratischem Aufwand wenig.

Am härtesten für sie war jedoch die Kritik aus ihrem eigenen politischen Lager, als das Kunsthaus die Sammlung des Waffenproduzenten Emil Bührle bei sich aufnahm. Seit Jahren bestand der Verdacht, etliche Bilder seien unter dubiosen Umständen in den Besitz des Industriellen gelangt, der im Zweiten Weltkrieg die Nazis mit Kanonen belieferte. Mauch hatte stets gesagt, die Sammlung gehöre weltweit zu den am besten erforschten. Doch dann zeigte der Bericht eines Historikers, dass deutlich mehr Bilder aus jüdischem Besitz stammen als angenommen. Manche von ihnen wurden womöglich in der NS-Zeit unter Druck verkauft.

Die Nähe, die sie zu allen Seiten pflegt, wurde ihr hier zum Verhängnis. Die linke Wochenzeitung WoZ legte ihr gar den Rücktritt nahe. Mauch habe viel zu lange jegliche Kritik in den Wind geschlagen. Die Stadt habe sich bei der Familie Bührle geradezu angebiedert.

Das Mauch-Prinzip – bisweilen stösst es zwar an seine Grenzen.

Der Abschied

Mit ihrem Rücktritt wird es in einem Jahr sein Ende finden.

Es basierte auf ihrem persönlichen Geschick, ihrer Anpassungsfähigkeit, der politisch unangefochtenen Stärke der SP. Darauf, dass Mauch perfekt zum rot-grünen Lifestyle in Zürich passte.

Und dem Glück, zu einer Zeit im Amt zu sein, da die Steuereinnahmen sprudeln wie noch nie. Der Stadtrat konnte Geld nach Belieben ausgeben. Sparen und harte Entscheide treffen musste er fast nie.

Eine klare Vision wie ihre Vorgänger hatte Mauch keine. Doch die Stadtregierung – sie hat sie 16 Jahre lang gemanagt. Die Auftritte vor jedwelchem Publikum – sie hat sie nach Anfangsschwierigkeiten souverän geleitet.

Mehr als ihr schwieriger Start, ihre kulturpolitischen Misserfolge, ihre manchmal harte Hand gegenüber ihren Kollegen, wird vielleicht das in Erinnerung bleiben: wie eine unsichere Politikerin, die mit einem Zettel in der Hand in einer Zirkusmanege steht, zur unangefochtenen Stadtpräsidentin wurde. Gemocht von Wirtschaftsführern, aber auch von der Juso.

Aber in einem Punkt ist sie ein Rätsel geblieben: Wofür sie wirklich steht, ist auch nach 16 Jahren an der Macht schwer zu benennen.

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