Mittwoch, April 23

Salman Rushdie hat einen Mordversuch knapp überlebt. In seinem Buch «Knife» verarbeitet er das dramatische Ereignis. Er ist nicht der erste Schriftsteller, der einem Messerangriff zum Opfer fiel.

Eine Messerattacke ist ein Akt der Grausamkeit. Aber es ist auch ein intimer Akt. Der Angreifer kommt seinem Opfer körperlich nahe, anders, als wenn er eine Bombe legen oder schiessen würde. Der Attentäter, der es auf Salman Rushdie abgesehen hat, rennt «wie ein gedrungenes Geschoss» auf den Schriftsteller zu. Fünfzehnmal sticht er auf ihn ein, rammt ein Messer in seine zur Abwehr gehobene Hand, in seinen Bauch, in die Brust, in den Hals und in sein Auge. «Siebenundzwanzig Sekunden lang waren wir auf überaus intime Weise miteinander verbunden», schreibt Rushdie in seinem soeben erschienenen Buch «Knife». Danach gelingt es einem Freund, den Angreifer von Rushdie wegzureissen.

«Knife» handelt von der unfreiwilligen «innigen Verbindung» zu Rushdies Attentäter, von seinem Überleben und vom Ringen um die eigene Geschichte. Mehr als dreissig Jahre lang habe er sich dagegen gewehrt, sich durch die Fatwa, die Ayatollah Khomeiny gegen ihn ausgesprochen hatte, definieren zu lassen. Im August 2022 wurde Rushdie doch noch von ihr eingeholt. Ein junger Muslim hatte beschlossen, die Todesdrohung in die Tat umzusetzen – ohne Rushdies verfemtes Werk «Die satanischen Verse» gelesen zu haben, ohne irgendetwas von ihm gelesen zu haben. Nun also doch: «Das Messer definiert mich.»

Ein einäugiger Halbfremder

Rushdie überlebt – entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Die Ärzte haben nicht daran geglaubt, ihn retten zu können. Der 75-Jährige aber übersteht die unzähligen Verletzungen, die Operationen, den Blutverlust und schickt sich in die monatelange Rehabilitation, unterstützt von seiner Ehefrau Rachel Eliza Griffiths, die ihm zuliebe in den «Superheldinnenmodus» wechselt. Rushdie bleibt am Leben, aber er ist auf einem Auge blind. «Das Auge . . . war eine Abwesenheit mit enorm machtvoller Anwesenheit.» Wäre das Messer nur ein bisschen tiefer eingedrungen, wäre auch sein Gehirn verletzt worden.

Dem Autor entgleitet die Kontrolle über seine Geschichte und über seinen Körper. Was er aber nicht verliert, ist seine Selbstironie. In einer glänzenden Szene schildert er, wie er zum ersten Mal seit Wochen wieder in den Spiegel schaut und dort einen «einäugigen Halbfremden mit wirrem Haar» erblickt – dann fällt sein Blick durch den Spiegel, auf Fragmente seiner Vergangenheit, etwa die Ausfälle seines alkoholkranken Vaters. Rushdies Sinn für Situationskomik hilft über vieles in diesem Bericht hinweg. Er macht die ausführlichen medizinischen Schilderungen erträglich, ebenso seine Eitelkeit.

Es wäre nicht nötig gewesen, die Genesungswünsche von Joe Biden und Emmanuel Macron wörtlich zu zitieren. Auch die Ausführungen über die gute Rezeption seines Romans «Victory City» hätte er sich sparen können. Immer wieder lässt sich Rushdie dazu hinreissen, die eigene Bedeutung zu betonen. Dabei ist seine Bedeutung als mutiger Kämpfer für die Meinungsfreiheit und phantasievoller Schriftsteller unbestritten, gerade deshalb muss sie nicht beteuert werden.

«Wenn fünfzehnmal auf einen eingestochen wurde, fühlt sich das definitiv nach erster Person an.»

Eitelkeit ist ein Risiko, das der autobiografischen Erzählweise innewohnt. Rushdie hat sich Ich-Texten bisher immer verweigert. «Schreibe über das, was du nicht kennst», rät er in einem Essay, und auch seine Autobiografie «Joseph Anton» verfasste er in Er-Form.

Für sein nächstes Buch hätte er sich lieber auf das Fiktive konzentriert, schreibt Rushdie. Aber da war dieser Mordversuch. «Wenn fünfzehnmal auf einen eingestochen wurde, fühlt sich das definitiv nach erster Person an.» Der Ich-Text war unausweichlich. So ist «Knife» auch der Versuch, sich die ins Wanken geratene Realität, ja das eigene Leben, wieder anzueignen. Das Schreiben als solches wird für den Überlebenden zum Akt des Widerstands.

Imam Yutubi

«Knife» widerlegt den Fanatismus des Attentäters aber auch noch auf andere, erfinderische Weise: Rushdie stellt sich vor, wie er seinen Angreifer, den er nicht beim Namen nennt, im Gefängnis besucht. In imaginären Dialogen befragt er ihn nach den Gründen für seine Tat. «Kann einem jungen Mann, kaum erwachsen, Grausamkeit beigebracht werden?» Bald kommt die Rede auf den «Imam Yutubi», der im Internet auf vielen Kanälen die Wahrheit verkündet.

Rushdies Befragung wirft ein Schlaglicht auf die Mechanismen der Radikalisierung, die Jugendliche zu islamistischen Fanatikern machen. Einer von ihnen hat auch in der Schweiz zum Messer gegriffen und im März in Zürich auf einen Juden eingestochen. Wie bei der Attacke auf Rushdie verdankt der Angegriffene sein Leben dem mutigen Eingreifen von Menschen vor Ort.

Salman Rushdie ist nicht der erste Schriftsteller, der Opfer einer Messerattacke wurde. 1994 überfielen zwei Islamisten den ägyptischen Nobelpreisträger Nagib Machfus in der Nähe seines Hauses in Kairo. Machfus überlebte die mehrfachen Messerstiche in den Hals, war aber zeitlebens schwer eingeschränkt. Zuvor hatten Fundamentalisten eine Todesdrohung gegen ihn ausgesprochen. Auch der algerische Schriftsteller Kamel Daoud wird wegen seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam durch eine Fatwa bedroht.

Das Leben und die Freiheit von Autorinnen und Autoren sind in islamisch regierten Ländern besonders gefährdet, aber nicht nur dort. Das wissen neben Salman Rushdie auch die Überlebenden des Angriffs auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo». Zwölf Menschen wurden in den Redaktionsräumen in Paris von Islamisten ermordet, elf schwer verletzt. Einer von ihnen, der Literaturkritiker Philippe Lançon, beschreibt in seinem preisgekrönten Buch «Der Fetzen» seine Existenz vor und jene nach dem Massaker.

Sie alle standen für die Freiheit der Kunst ein und haben viel dafür bezahlt. Auch daran erinnert Rushdies Bericht. Religiöser Fundamentalismus, der im Internet zusätzlich genährt wird, verführt offenbar dazu, auf alles einzustechen, was einer fixen Idee von Wahrheit widerspricht. Einer Idee könne nur mit Ideen widersprochen werden, schrieb Nagib Machfus in einem Text, in dem er Rushdie gegen die Fanatiker verteidigte. Selbst wenn die Strafe ausgeführt würde, überdauerten die Ideen. Und die Bücher.

Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Übersetzt von Bernhard Robben. Penguin-Verlag 2024. 255 S., um Fr. 36.–, E-Book 32.–.

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