Mittwoch, Februar 5

Die Häuserzeile aus dem 19. Jahrhundert wird abgerissen. Das Bauvorhaben versucht das Gesicht des Quartiers zu wahren.

Als in den 1960er Jahren die Türme der Lochergut-Überbauung in die Höhe wuchsen, war die niedrige Häuserzeile gegenüber an der Badenerstrasse schon gegen achtzig Jahre alt. Äusserlich hat sie sich seither wenig verändert – die Gebäude zwischen Badener- und Meinrad-Lienert-Strasse gehören zu den wenigen Liegenschaften in Wiedikon, die noch über den heruntergekommenen Charme verfügen, der das Quartier prägte, bevor die Gentrifizierung den Kreis 3 auf Hochglanz polierte. Alles wirkt ein bisschen dreckig, Sprayereien zieren grosse Teile der Fassaden.

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Sinnbildlich dafür ist das «Meyer’s». Die enge Bar im Erdgeschoss des Eckhauses mit Öffnungszeiten bis mindestens zwei Uhr nach Mitternacht ist seit zwanzig Jahren eine Institution im Quartier. Ein sicherer Wert für einen Absacker nach einer durchzechten Nacht. Die Bar ist so klein, dass es auch ausserhalb des Fumoirs nach Zigaretten riecht, an den Kunstledersofas bleibt man vor allem im Sommer immer etwas kleben.

Doch nun zeichnet sich das Ende ab. Die Gebäude aus der Gründerzeit sind schlecht erhalten und sollen Ersatzbauten weichen.

Vor zwei Jahren hat die Noldin Immobilien AG fünf Häuser erworben – vier an der Badenerstrasse, eines dahinter an der Meinrad-Lienert-Strasse. Zusammen bilden die Grundstücke beinahe ein Dreieck.

Es war der zweite Besitzerwechsel innert kurzer Zeit. Die Ledermann AG hatte zuvor ihre Entwicklungspläne verworfen. Sie hatte ein zusätzliches Gebäude an der Meinrad-Lienert-Strasse erwerben wollen, um den Platz optimal nutzen zu können. Doch die Stadt, der die Liegenschaft gehört, wollte sie nicht verkaufen.

Die bestehenden Bauten stammen aus dem 19. Jahrhundert. Wenn es die Bausubstanz zulässt, will die Eigentümerin eine davon in ihr Neubauprojekt integrieren.

Für die Noldin Immobilien AG bietet das Areal auch ohne die städtische Liegenschaft genug Möglichkeiten.

Benjamin Noldin leitet das Immobilienunternehmen gemeinsam mit seinem Bruder in der dritten Generation. Der Grossvater, ein gelernter Plattenleger, hatte die Firma in den 1950er Jahren gegründet. Heute verfügt die Noldin Immobilien AG über unterschiedliche Liegenschaften im ganzen Kanton Zürich. Viele davon befinden sich in der Stadt Zürich.

«Die Grundstücke eignen sich hervorragend, um neuen Wohnraum zu schaffen», sagt Noldin. Die bestehenden Bauten sind – mit einer Ausnahme – mehrere Stockwerke tiefer als die umliegenden Gebäude. Gerade einmal 25 Wohnungen befinden sich in den fünf Häusern.

Damit sich die neuen Gebäude gut in das umliegende Quartier einfügen, hat die Noldin Immobilien AG letztes Jahr einen Architekturwettbewerb durchgeführt. In der Jury war auch das Amt für Städtebau vertreten, daneben Spezialisten für Verkehrsplanung, Lärmschutz und Kostenplanung.

Gewonnen hat den Wettbewerb das Studio Trachsler Hoffmann, ein Zürcher Architekturbüro, das 2016 von Gian Trachsler und Daniel Hoffmann gegründet wurde. Die beiden Architekten haben unter anderem verschiedene Wohnbauprojekte für Genossenschaften und die Stadt entworfen, darunter die Kraftwerk-Siedlung, die derzeit auf dem Koch-Areal entsteht.

Gewerbeflächen und 46 Wohnungen

Das Projekt Badenerstrasse umfasst ein Ensemble aus zwei Gebäuden, in denen mindestens 46 Wohnungen Platz finden. In den Erdgeschossen und im Soussol sind sieben Gewerbe- und Verkaufsflächen geplant.

Die Strassenzüge rund um das Lochergut liegen mitten in einem Quartier, das von unterschiedlichen Architekturepochen geprägt ist. Gian Trachsel sagt, das sei in Sachen Urbanität einzigartig. «Uns war deshalb wichtig, dass wir mit dem Projekt nicht Tabula rasa machen, sondern die Geschichte dieses Orts weiterschreiben.»

Man habe sich bewusst dagegen entschieden, ein Projekt zu entwickeln, das in Sachen Höhe dem Lochergut Konkurrenz mache, sagt Trachsler. Als Orientierung dienen die umliegenden Bauten aus der Gründerzeit – individuell gehaltene Mehrfamilienhäuser, die Häuserzeilen bilden. Nischen, Balkone, Erker und unterschiedliche Materialien sollen den neuen Gebäuden eine lebendige Architektur verleihen. «Es soll eben nicht aussehen, als sei alles aus einem Guss.»

Weiter klärt die Bauherrschaft ab, ob sich bei einer der bestehenden Bauten eine Sanierung lohnt. Konkret geht es um das rosafarbene Haus neben dem länglichen Bau, in dem sich das «Meyer’s» befindet. Benjamin Noldin sagt, das Gebäude sei von allen am besten erhalten. Zudem sei es städtebaulich sinnvoll, es stehen zu lassen. Das würde auch zu der Idee passen, die verschiedenen architektonischen Einflüsse des Quartiers aufzunehmen.

Im Kreis 3 entstehen viele Wohnungen

Der Zürcher Kreis 3 gehört zu den Stadtteilen, in denen in den letzten Jahren am meisten Wohnungen dazugekommen sind. Gemäss am Dienstag veröffentlichten Zahlen von Statistik Stadt Zürich wurde 2024 mit 498 neuen Wohnungen der bisherige Höchstwert von 2009 um fast 200 übertroffen. Demgegenüber stehen 82 abgebrochene Wohnungen. Der Gesamtsaldo aus Neubau, Umbau und Abbruch beläuft sich im Kreis 3 auf 474 Wohnungen.

Nur in den Kreisen 11 und 2 wurde 2024 mehr gebaut.

Auf dem ganzen Stadtgebiet seien 2024 insgesamt 2224 neue Wohnungen dazugekommen, heisst es weiter vonseiten der Stadt. Über 400 davon seien durch Umbau entstanden. Es sei die grösste Zunahme seit 2018.

Die Zahl der Abbrüche ist derweil mit 840 Wohnungen tiefer ausgefallen als in den Vorjahren. 2023 verzeichnete die Stadt Zürich noch 1049 abgebrochene Wohnungen, 2021 waren es sogar 1768.

Die städtische Statistik spiegelt das Wesen der Verdichtung wider: Unbebaute Grundstücke sind rar, neue Wohnungen entstehen an der Stelle von alten Wohnungen. Insgesamt sind im letzten Jahr 1492 Wohnungen in Ersatzbauten entstanden. Auf unbebautem Land war derweil mit 143 neuen Wohnungen nur ein Bruchteil davon möglich.

Gemäss Statistik entstanden im Zeitraum 2020 bis 2024 aus 100 abgebrochenen Wohnungen 161 neue.

Auch das Bauvorhaben rund um das «Meyer’s» erhöht die Zahl der Wohnungen: von 25 auf 46 Einheiten.

Wo ersetzt wird, müssen Mieter zügeln

Die Kehrseite des verdichteten Städtebaus ist, dass mit Ersatzneubauten Leerkündigungen einhergehen. Auch für die Mieter der fünf Häuser der Noldin Immobilien AG bedeuten die Pläne der Eigentümerin, dass sie sich auf die Suche nach einer neuen Bleibe machen müssen.

Benjamin Noldin sagt, die derzeitigen Bewohner seien informiert, dass ein Bauprojekt anstehe. Die Gewerberäume und ein Teil der Wohnungen seien bereits jetzt befristet vermietet. Die Kündigungen würden 2026 ausgesprochen, wenn das Baugesuch eingereicht werde. Ausziehen müssen die Mieter auf den Baubeginn hin. Das werde voraussichtlich 2027 der Fall sein.

Benjamin Noldin sagt, man werde die Mieterinnen und Mieter bei der Suche nach einer neuen Wohnung unterstützen. Beispielsweise, indem sie andere frei werdende Wohnungen im Portfolio der Noldin Immobilien AG angeboten bekämen. Zudem würden sie bei der Vergabe der neuen Wohnungen priorisiert behandelt. «Als Eigentümer sind wir an langfristigen Mietverhältnissen interessiert.»

Die Mieten in den neuen Gebäuden würden sich im «normalen bis mittleren Preissegment» bewegen, sagt Noldin. Konkrete Zahlen könne er nicht nennen, dafür sei es schlicht zu früh. Er hält jedoch fest: «Wir bauen aber keine Luxuswohnungen mit drei Zimmern auf hundert Quadratmetern.»

Gemäss der Mietpreisstatistik der Stadt Zürich betrug die Bruttomiete für eine nicht gemeinnützige 3-Zimmer-Wohnung im Kreis 3 im Jahr 2024 1967 Franken. Ein Blick auf die aktuellen Wohnungsinserate zeigt: Wer in dem Stadtteil eine Wohnung sucht, muss mit gegen 3000 Franken Miete rechnen.

In den Erdgeschossen wünschen sich Noldin und Trachsler Gewerbe, das in das lebendige Quartier passe. Die Gasse, welche die Badenerstrasse mit der Meinrad-Lienert-Strasse verbindet, könnte Platz für den Aussenbereich eines Restaurant- oder Barbetriebs bieten.

Eine Zukunft für ein «Meyer’s» 2.0 also? Vielleicht, sagt Benjamin Noldin. Er sei grundsätzlich offen für diese Option.

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