Freitag, November 1

Vor 25 Jahren ist der Muni Maradona in Zürich ausgerissen. Erinnerungen an ein gefährliches Vorhaben.

Es ist ein gewöhnlicher Tag Ende Januar 1999, an dem ein Muni ohne Namen zu Hundefutter verarbeitet werden soll. Ein Jahr ist er alt, 500 Kilogramm schwer. Im Schlachthof Herdern, mitten in der Stadt Zürich, soll er in Konservendosen enden.

Der Bauer Heiri Hediger öffnet die Tür des Transporters. Dann passiert es: Der Muni flieht. Er rennt über die Strasse, aufs Trainingsgelände des FC Zürich, der Bauer Hediger und Mitarbeiter des Schlachthofs hinterher. Bald ist auch die Stadtpolizei vor Ort. Doch bändigen lässt sich der Stier nicht. Ratlosigkeit. Ein Veterinär wird bestellt, mit Betäubungsgewehr.

Der erste Schuss sitzt, aber der Muni rennt weiter. Es dauert eine Stunde, bis die Beteiligten ihn einfangen und in einen Laster schieben können. Polizei, Bauer und Schlachthofmitarbeiter sind erschöpft und frustriert – doch einer ist begeistert: Der damalige FCZ-Vizepräsident Hugo Holenstein. Er sagt: «Das Muneli wird nicht geschlachtet. Wir kaufen es, und dann wird es unser Maskottchen, bis wir Meister werden.» Ein sturer Stier, der sich kaum bändigen lässt – die Symbolik gefällt Holenstein.

6000 Franken, eine neue Frisur, ein Schal um den Bauch und ein Name, der den Gegnern Angst einflössen soll: Maradona. Fertig ist das Fussballmaskottchen.

Ungeplanter Stierkampf im Letzigrund

Im Februar wird Maradona im Letzigrund beim Rückrundenauftakt gegen den FC St. Gallen den Fans präsentiert. Johlen, Klatschen, blitzende Kameras – da passiert das Unerwartete: Wieder reisst sich der Muni los.

Er rennt über den Rasen, die Spieler flüchten in die Katakomben. Einzig Wilco Hellinga, der niederländische Verteidiger des FC St. Gallen, stellte sich Maradona in den Weg. Im letzten Moment verlässt aber auch ihn der Mut, er rettet sich mit einem Sprung, der Muni rennt weiter.

Auf der Zuschauertribüne West rennt er die Treppe hoch, springt übers Geländer, durch die an diesem Tag nur mager besetzten Ränge. Dann bleibt der Muni stecken, ausgebremst von blauen Plastikschalensitzen auf der Tribüne.

Sieben Männer werden benötigt, um ihn einzufangen und aus dem Stadion zu bringen. Der FC Zürich unterliegt St. Gallen 0:2.

Medien weltweit berichten und kritisieren die Vereinsbosse. Unlustig, Schnapsidee – so der Tenor. Der damalige FCZ-Präsident Sven Hotz verspricht: «Man wird diesen Stier nie mehr im Letzigrund sehen.» Von der Liga gibt es einen Verweis. Kosten für die Schreibgebühr: 30 Franken. Der FC Zürich zahlt reumütig.

Umzug ins Pferdealtersheim

Der Muni Maradona wird ins Kloster Fahr gebracht. Dort lebt er in einem mit FCZ-Schals geschmückten Stall mit einem Kälbchen namens Ruthl. Das Schweizer Fernsehen besucht ihn. Die Zukunft ist offen. Zurück in den Schlachthof? Weitere negative Schlagzeilen kann sich der FC Zürich nicht leisten. Eine Tierschützerin rettet die Situation: Sie bietet an, für den Muni aufzukommen. Ein Plätzchen wird gesucht – und gefunden: in einem Pferdealtersheim im Jura.

Maradona teilt sich den Stall mit Seppli, dem damals mit 18 Jahren angeblich ältesten Ochsen der Schweiz, und einer Kuh, die einst im Zirkus auftrat. Ab und zu erhält er Besuch von FCZ-Fans, und auch der damalige FCZ-Präsident Hotz kommt zweimal vorbei.

14 Jahre wird Maradona alt – 13 Jahre mehr als eigentlich geplant, Hundefutter wird aus ihm nicht mehr gemacht.

Maradona ist kein Einzelfall. Geschichten von entflohenen Grosstieren wie ihm sind in der Stadt Zürich häufiger als erwartet, das zeigt ein Blick in die Archive. Drei Tiere sind besonders in Erinnerung geblieben:

  1. Ein Stier demoliert ein Polizeiauto
    Weniger Glück hat ein ebenso kämpferischer Stier 2016 in Zürich. Ein sonniger Morgen im Juli, 10 Uhr 15, der Stier reisst sich los – auch er hätte im Schlachthof Herdern enden sollen. Doch er hat andere Pläne. Er rennt: Kreis 9, Kreis 4, Kreis 2. Im Ulmbergtunnel versucht die Stadtpolizei das Tier zu stoppen. Der Stier demoliert ein Einsatzfahrzeug und rennt weiter. Ein Wildhüter wird aufgeboten. An der Breitingerstrasse beim Arboretum kommt es zum Showdown. 11 Uhr 30, Schuss, der Stier ist tot.
  2. Ein Elefant wird vom Zug überfahren
    1929 entflieht aus dem Tiergarten in Zürich Seebach ein Elefant namens Tantor. Er rennt durch ein Bächlein auf direktem Weg in sein Unglück. Beim Überqueren von Gleisen prallt er mit dem Frühzug in Richtung Chur zusammen. Eine halbe Stunde später ist er tot. Die NZZ schreibt: «Das Ausbrechen des Elefanten ist ein ungelöstes Rätsel, in Seebach spricht man allgemein von einem Racheakt.» Dass das Tier die Fusskette selbst habe lösen können, sei ausgeschlossen. Bald sucht halb Zürich den Elefantenmörder, gefunden wird er nie. Tantor wird schliesslich an die Löwen eines Zirkus verfüttert, der gerade in Zürich gastiert.
  3. Ein Elefant badet im See
    Mehr Glück hat 2010 die Elefantendame Sabu. Sie gastiert mit dem Zirkus Knie in Zürich. Als sie zum Weitertransport nach Wettingen verladen werden soll, reisst sie aus. Sie badet im See, läuft dann in Richtung Bürkliplatz und weiter zum Hauptbahnhof. Nach eineinhalb Stunden kann sie eingefangen werden. 
    An der neuen Spielstätte in Wettingen nimmt Sabu erneut Reissaus – wieder, um zu baden, diesmal in einem Bach. Es ist das Ende ihrer Zirkuskarriere und der Anfang ihres Ruhestands in Knies Kinderzoo in Rapperswil. Heute ist Sabu 40 Jahre alt. Sie badet noch immer gerne.

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