Das Musée des Beaux-Arts in Rennes hat einen Neubau in einer Plattenbausiedlung errichten lassen. Kultur wird hier in den Dienst der städtischen Transformation gestellt.

Wer in der Stadt Rennes in der Bretagne Crack kaufen oder damit handeln will, geht zum Einkaufszentrum im Herzen der Sozialbausiedlung Maurepas. Der heruntergekommene Baukomplex stammt aus den sechziger Jahren. Und wie in fast jeder anderen französischen Stadt stellt sich auch hier in der Banlieue die Frage, ob sich die Renovierung der in die Jahre gekommenen Gebäude überhaupt lohnt und ob man die tristen Viertel mit Neubauten aufwerten kann und soll.

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In Rennes ist die Stadtverwaltung einen radikal optimistischen Weg gegangen. Sie hat nun geradewegs unter einem bröckelnden Wohnriegel ihr neues Kunstmuseum eröffnet. Die jungen Architekten vom Büro Titan aus Nantes, die das Museum entworfen haben, formten unverzagt und mit Elan aus einem ehemaligen Seniorentreff einen schicken Satelliten des altehrwürdigen Kunstmuseums in Rennes.

Schwerpunkt des Stammhauses ist die französische Malerei des 19. Jahrhunderts. Das Musée des Beaux-Arts in Rennes wird aber auch «der kleine Louvre» genannt, weil 1811 bedeutende Kunstwerke aus dem Louvre in Paris nach Rennes gebracht wurden. Die Sammlung ist also ungewöhnlich hochkarätig für eine mittelgrosse Stadt.

Für den neuen Trabanten haben sich die Kuratoren einen besonderen Kniff einfallen lassen. Aus dem Konvolut der Sammlung, die von Mumien aus Ägypten über griechische Keramik, römische Skulpturen und indische Malereien bis zu japanischen Lackarbeiten reicht, durften sich ausgewählte Anwohner der Sozialbausiedlung je ein Objekt auswählen, das die Künstlerin Isabelle Arthuis in ihren Händen fotografierte. So werden die Anwohner selber im Museum gezeigt.

Im Geist von Le Corbusier

Das neue Museum der schönen Künste in Maurepas liegt direkt gegenüber der ebenfalls neuen Metrostation Gros-Chêne. Der Bau des Museums ist Ergebnis einer Politik, die «allen Zugang zum kulturellen Leben gewährleisten» will. Jedes Jahr werden in dem Neubau zwei Ausstellungen kostenlos präsentiert, je eine wird mit den Anwohnern gemeinsam gestaltet. Neben dem Kunstraum werden eine Spielzeugbibliothek und ein Zentrum für Kleinkinder eröffnet, auch sie liebevoll entworfen vom Architekturbüro Titan.

Das grosse Wohngebäude, an das sich das neue Museum schmiegt, wird «La Banane» genannt – nicht weil es gelb, sondern weil es im Grundriss leicht gekrümmt ist. Sein Architekt, Jean-Gérard Carré, der örtliche «König der Sozialbausiedlungen», hat das Riesenhaus im Geist von Le Corbusier entworfen. Die Idee, ausgerechnet an diesem verwegen-unwirtlichen und welkenden Ort eine Filiale des Museums zu eröffnen, verdankt sich dem Kunstprogramm, das für die Gestaltung der neuen U-Bahnhöfe in Rennes initiiert wurde.

Rennes ist die kleinste Stadt Frankreichs, die bei nur knapp über 200 000 Einwohnern zwei Metrolinien bohren liess. Der Bahnhof Gros-Chêne hat – anders als die anderen Stationen – im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Programms keine künstlerische Brosche angesteckt bekommen, sondern führt geradewegs zum neuen Zweigmuseum am Drogenumschlagplatz.

«Wenn Menschen nicht zur Kunst kommen, muss die Kunst eben zu den Menschen kommen», so scheint das Mantra hinter dem Neubau zu lauten. Aber ist Kulturferne der Sozialbaubewohnerschaft allein eine Frage der Nähe? Für die Direktorin des neuen Museums, Delphine Galloy, heisst das Schlüsselwort «jumelage» – Partnerschaft. In diesem Fall soll das Museum eine Partnerschaft mit dem Immigrantenstadtteil übernehmen. Beide Häuser des Museums liegen nicht nur an derselben Metrolinie, sondern auch intellektuell auf derselben Linie: Galloy betont, dass es ein Museum mit zwei Häusern sei und es im Neubau keinen inhaltlichen Fokus auf vermeintlich kunsthistorisch weniger gebildete Migranten gebe. Das fände sie arrogant.

Ob Social Engineering funktioniert und ob man Kultur in den Dienst der städtischen Transformation stellen sollte, bleibt dahingestellt. Aber mit der Eröffnungsausstellung von Isabelle Arthuis, «Fantaisies» genannt, hat die Direktorin einstweilen erstaunliches Geschick bewiesen: Die Kunstobjekte, die in acht Vitrinen ausgestellt sind, wurden mit den Fotos der Bewohner kombiniert. Eine veritable «Wunderkammer» – diesen Begriff nutzt die Kuratorin auf Deutsch – hat sie zusammengetragen. Das wirkt volkstümlich, ohne sich anzubiedern.

Roh contra fein

Der Kontrast zwischen den dunklen Räumen mit ihrem höhlenartigen Beton, aus dem die Wände bestehen, und der hellen Galerie in der unteren Etage gehört zur wirkungsvollen Szenografie des neuen Museums. Die Strassenfassade aus Glasbaustein erinnert nicht nur an die berühmte Maison de Verre in Paris. Ein rundes Oculus lässt zusätzliches Oberlicht in den Saal fallen. Ein Oberlichtband aus rahmenlosem Glas erlaubt es Besuchern, anderen beim Schauen zuzuschauen.

Den Kontrast von roh und fein spielen die Architekten auch bei der Wahl der Materialien aus: Der herbe, graue Beton ist sandgestrahlt, die halbrunde Wendeltreppe und der runde Fahrstuhlturm spielen ebenfalls mit der Beton-brut-Ästhetik. Die ausgestellten Kunstwerke wirken in diesem Interieur umso delikater.

Der Architekt François Guinaudeau vom Büro Titan hatte nur 2,5 Millionen Euro Budget für seinen knapp 400 Quadratmeter grossen Bau zur Verfügung. Raumhöhen und Proportionen der Galerien waren durch das Tragwerk weitgehend vorgegeben. Wie schon beim Geburtshaus von Georges Clemenceau in Mouilleron-en-Pareds, das derselbe Architekt zuvor umgestaltet hatte, bleiben seine Eingriffe minimal. In Rennes kam ihm zupass, dass das Gebäude von 1962 noch nicht unter Denkmalschutz steht.

Schon seit 2014 wird das ganze Quartier Maurepas im Rahmen des nationalen Stadterneuerungsprogramms umgestaltet. Die Rolle und den Platz eines Museums in der Stadt so forsch neu zu definieren, stellt einen Höhepunkt der Bemühungen in Frankreich dar, die ärmsten Stadtviertel aufzuwerten.

Der neue Zweitstandort des Musée des Beaux-Arts hat seinerseits kleine Satelliten im umgebenden Problemviertel aufstellen lassen: Die Künstlerin Isabelle Cornaro aus Paris hat vandalismussichere Stadtmöbel entworfen, die für die erste partizipative Ausstellung im neuen Museum clever genutzt werden.

Wie fünf Skulpturen stehen ihre Vitrinenstelen im Stadtraum und zeigen Fotoplakate, darunter Schwarz-Weiss-Porträts ausgewählter Gemälde aus der Sammlung des Museums. Für die «Fantaisies»-Ausstellung hatte eine Gruppe von Freiwilligen, «Les complices» genannt, die Motive ausgewählt.

Die Grundübel des modernen Nachkriegsstädtebaus – die strenge Funktionstrennung und die Abwesenheit von Arbeitsplätzen in den Wohnstädten – können mit ein paar Millionen Euro nicht grundlegend überwunden werden. Aber der Neubau des Musée des Beaux-Arts in Rennes macht vor, wie eine Kulturinstitution die physische Nähe zu Bevölkerungsschichten suchen und vielleicht auch finden kann, denen mehr zugetraut wird, als Drogen zu kaufen und zu verkaufen.

Musée des Beaux-Arts, 2 Allée Georges de la Tour, Rennes. Mi–So 14–18 Uhr, Eintritt frei. Eröffnungsausstellung bis 21. September.

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