Mittwoch, März 12

Im «Wizard of Oz»-Ableger kann auch die Hexe eine Heldin sein. Die Tanz- und Gesangsnummern sind knallig, und allein schon für das Duett von Ariana Grande mit Cynthia Erivo sollte man ins Kino.

Da kann selbst der Grinch, der giftgrüne Weihnachtshasser, einpacken: In der amerikanischen Folklore belegt «The Wizard of Oz» nach wie vor den Spitzenplatz. Das 1900 von Lyman Frank Baum veröffentlichte Kinderbuch ist die Vorlage für Filme, Musicals und zahllose Zitate in den Werken der angelsächsischen Pop-Kultur.

Die Geschichte der herzensguten Dorothy, die gemeinsam mit der Vogelscheuche, dem Blechmann und dem Löwen eine böse Hexe bekämpft, liefert so viele Auslegungsangebote, dass noch jedes kulturelle und jedes politische Lager sein Mütchen an ihm kühlen konnte. In der McCarthy-Ära las man eine marxistische Utopie in die Story hinein; später war das Märchen ein Motivfundus für die Horrorszenarien von Künstlern wie David Lynch und Stephen King.

Natürlich wurde der Stoff bewirtschaftet, dass die Kinoleinwand und die Musicalbühne wackelt. Die berühmte Verfilmung von «The Wizard of Oz» mit Judy Garland (1939) gehört zur Grundausbildung amerikanischer Kinder wie die Filmfassung von Michael Endes «Unendlicher Geschichte» für Heranwachsende im deutschsprachigen Raum. Und auch die Spin-offs, vor allem Gregory Maguires Roman «Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the West» (1995), waren enorm erfolgreich.

Von «Heidi» bis Swarovski

«Wicked» ist seit 2003 ein Broadway-Superhit – jetzt also die Kinofassung, verteilt auf zwei Filme (die nächste Folge ist für Ende 2025 geplant). Wie es sich für Weihnachts- und Familien-Blockbuster gehört, ist alles bunt und opulent. Der Regisseur Jon M. Chu inszeniert die Geschichte im Stil eines postmodernen Rummelplatzes, ästhetisch bedient man sich beim Steampunk ebenso wie beim Art déco, bei «Heidi» und so ziemlich jeder Schmuckwerbung von Swarovski.

Die «Wicked»-Geschichte wiederholt das bewährte Erzählmuster vom Aussenseiter, dessen Fremdheit die Gemeinschaft erst verstört und abstösst, dann läutert und auf die nächsthöhere Zivilisationsstufe hebt. Hier spielt Elphaba, die spätere böse Hexe des Westens, den Part: Ungeliebt von den Eltern, weil sie mit grüner Haut zur Welt kommt, wird sie herumgeschubst und gemobbt, bis man im Zauberinternat ihr magisches Potenzial entdeckt. Elphaba ist ein Wunderkind wider Willen, während Glinda, ihre Gegenspielerin, als blonde Schönheit mit grossen Zauberambitionen auftritt, nur leider fehlt ihr das Talent.

Anhand der beiden Figuren spielt «Wicked» das Thema von Anerkennung und Ausgrenzung, Feindschaft und Loyalität noch einmal mit viel Liebe zur knalligen Tanz- und Gesangsnummer durch. Und die Besetzung ist exzellent: Ariana Grande gehört neben Taylor Swift, Katy Perry und Billie Eilish zu den erfolgreichsten Pop-Sängerinnen der Welt, wobei sie stimmlich alle weit überragt. Legendär sind ihre Nachahmungen berühmter Sängerinnen wie Céline Dion, Christina Aguilera und Mariah Carey. Wie die Grössten ihres Fachs beherrscht Grande jedes Genre von Soul bis Operette.

Ein richtig biestiges Biest

Sie spielt Glinda als verwöhntes It-Girl mit eisernem Karrierewillen und vergisst dabei nicht die Ironie, mit der so ein Biest erst richtig biestig wird. Wenn Grande mit affektierter Nonchalance die goldglänzenden Prinzessinnenhaare über die Schulter wirft, ist das spätestens beim dritten Mal ein sicherer Lacher. Womöglich wäre sie sogar in Greta Gerwigs Blockbuster die bessere Barbie gewesen: Grande kann auf eine Art und Weise süss, zickig und satirisch sein, dass Kapitalismuskritikern wie Marketingleuten gleichermassen die Spucke wegbleibt.

Cynthia Erivo aber ist die grosse Entdeckung des Films: Man wusste, dass die mit Tony und Grammy ausgezeichnete Künstlerin exzellent singen und spielen kann. Aber wie sie in «Wicked» eine in x Verwertungsformaten verbrauchte Charakterchiffre zu einer Ikone der Emanzipation aufrichtet – das ist phänomenal.

Als Beispiel sei eine die Stephen-King-Geschichte «Carrie» zitierende Szene im ersten Akt erwähnt: Elphaba kommt zum Schulball, Glinda hat ihr den berühmten schwarzen Spitzhut unter dem Vorwand, er sei in Mode, geschenkt. Sie betritt den Saal, alle sind entsetzt, und wie das magisch begabte Mädchen Carrie, das erkennen muss, dass man sie hereingelegt hat, nimmt Elphaba Rache. Aber nicht im Stephen-King-Stil mit einem Gewaltrausch – Elphaba tanzt. Eine elegische Choreografie, die ihr Anderssein in jeder Geste zum Ausdruck bringt.

Gegen die Schwerkraft

Dies ist auch der (Film-)Moment, in dem das eitle Dummchen bemerkt, dass sie moralisch nachzubessern hat. Grande/Glinda und Erivo/Elphaba tanzen ein Duett – eine der schönsten Freundschaftsszenen, die man im modernen Kino seit langem gesehen hat. Was dann folgt ist: Action, Kämpfe mit korrupten Zauberern, fliegende Affen, Songs und noch mehr Songs. Im Finale schliesslich der Superhit «Defying Gravity». Als Zuschauer ist man da schon ziemlich beschwert im Kinosessel versunken – der Film ist mit 160 Minuten Spieldauer mindestens eine halbe Stunde zu lang.

Aber wenn sich Elphaba auf ihrem Besen in die Lüfte schwingt und der Schwerkraft den Kampf ansagt, dann ist das noch einmal richtig erhebend. Kitsch kann in Kunst umschlagen, und in seinen besten Szenen gelingt «Wicked» genau das: die überspannte Stilgeste so zu verfeinern, dass sie etwas Wahres zum Ausdruck bringt. Hier wäre das die Einsicht, dass Fremde und Andere zu respektieren sind und «Hexe» manchmal nur ein anderes Wort für «Heldin» ist.

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