Sonntag, Januar 19

Der Guggiföhn sorgt an der Lauberhornabfahrt überraschend für Hektik. Gut, haben die Schweizer einen Cheftrainer, der das Wort Hektik gar nicht kennt. Wir haben ihn einen Tag lang begleitet.

Drei von vier Personen auf dem Sessellift drücken die gelbe Haube nach unten, damit der Wind diese nicht aufreisst. Die vierte Person tippt in ihr Handy: «Warm-up cancelled. Wind gusts still strong!!!», mit drei Ausrufezeichen. Es ist Thomas Stauffer, der Cheftrainer des Schweizer Männer-Skiteams; er ist an diesem Samstag für die Organisation des Einfahrens vor der Lauberhornabfahrt verantwortlich.

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Der Sessel schwebt in diesem Moment über die Piste, die zum Einfahren gedacht war, und hier pfeift der Wind mit rund 100 Kilometer pro Stunde von der Seite. Der Wixi-Sessellift wird umgehend wieder abgestellt, sobald die Verantwortlichen des Weltverbands FIS und die Trainer für die Jury-Besichtigung oben angekommen sind. Also kein Warm-up für die Fahrer.

Entlang der roten Sicherheitsnetze der Rennstrecke haben sich grosse Schneeverwehungen angesammelt, Mitglieder von Militär und Zivilschutz schaufeln diesen weichen Schnee von der Piste. Es ist 8 Uhr 30, in vier Stunden soll hier das Abfahrtsrennen beginnen.

Der Guggiföhn ist ein alter Bekannter am Lauberhornrennen. An diesem Samstag aber kam er überraschend – noch am Vorabend war er kein Thema gewesen. Alles schien perfekt: Postkartenwetter und eine Piste, die so gut präpariert war wie noch nie. Doch dann konnte die Wengernalpbahn wegen des Windes frühmorgens nicht fahren, der Transport der Zuschauer stockte.

Gegen 9 Uhr sammeln sich im Zielraum die Trainer und FIS-Leute nach der Jury-Inspektion. Hier unten ist vom Föhnsturm nichts zu spüren, es weht höchstens ein Lüftchen. Die Männer stehen beisammen, während der FIS-Rennchef Markus Waldner die Situation zusammenfasst. Eine Entscheidung, ob, wann und von wie weit oben gefahren wird, ist noch nicht gefallen.

Drei Trainer pro Nation nehmen an dieser Jury-Besichtigung teil, der Cheftrainer, der Disziplinentrainer und einer, der die Temperatur des Schnees an fünf, sechs Stellen misst und diese Information in den Whatsapp-Chat der Ski-Serviceleute stellt. Stauffer prüft, ob sich der Schnee über Nacht verändert hat, oder kontrolliert das eine oder andere Detail – etwa, ob die Sicherheitsnetze nach einem Sturz vom Vortag wieder sauber aufgestellt wurden. An diesem Samstag ist der Schnee durch den Wind etwas ausgetrocknet, das heisst aggressiver und gröber.

Beim Warten wird Organisatorisches erledigt

Eine Sesselfahrt später sitzt Tom Stauffer bei einem Café crème im Bergrestaurant Allmend und scrollt auf der FIS-App durch Welt- und Europacup-Ranglisten. Er hat eine A4-Seite Papier aus seiner Jacke geholt, diese auseinandergefaltet und notiert sich nun mit einem Bleistift säuberlich Reihen von Namen und Nummern. Warten gehört an einem Renntag dazu, Stauffer erledigt in dieser Zeit allerlei Dinge – auf dem Papier steht nun das Aufgebot für die Rennen in Kitzbühel nächste Woche.

Seit bald elf Jahren ist Stauffer der Cheftrainer der Schweizer Männer; als er sie übernahm, waren sie Siebte in der Nationenwertung, er sagt: «Das war nicht so lustig.» Der Berner aus Unterlangenegg ist ein Top-Organisator, hat ein riesiges Netzwerk und brachte Konstanz in die Trainerarbeit. Von der Skitechnik bis zum Athletiktraining sollen alle vom selben reden und in dieselbe Richtung arbeiten, das ist ihm wichtig.

Besonders oft gelobt wird, wie er die jungen Fahrer entwickelt. In ständigem Austausch mit den verschiedenen Trainern schafft er es, dass sie jeweils am richtigen Ort trainieren und Rennen fahren. Gerade ist Stauffer wieder am Telefon: Es geht darum, ob er einen B-Kader-Athleten, dem es im Welt- und Europacup gerade nicht so gut läuft, an ein Rennen in Nordamerika schicken soll. Für Stauffer macht dieses Gespür für den richtigen individuellen Weg den Reiz seiner Aufgabe aus: «Und das musst du einfach besser machen als die anderen.»

Es wird Zeit für die Fahrer-Besichtigung. Stauffer skatet auf seinen Ski ein paar hundert Meter einen Waldweg entlang, dann geht es durch den Wald abwärts, bis er bei einem Einlass auf die Rennstrecke gelangt. Es ist 10 Uhr, eigentlich sollten die Fahrer nun mit dem Besichtigen der Piste beginnen, aber noch sind von der FIS keine Informationen dazu gekommen. Die internationalen Athleten wurden in die Team Hospitality unten am Wixi-Sessellift geschickt. «Das war ein Fehler», sagt Stauffer, denn der Lift läuft wegen des Windes immer noch nicht, die Fahrer sitzen fest.

Die Schweizer sind nicht auf diesen Lift angewiesen: Swiss Ski hat auf der Kleinen Scheidegg einen Aufenthaltsraum gemietet. Dort gibt es Musik und Fernsehen, die Fahrer können ihre Gymnastikmatten ausrollen und werden kulinarisch verwöhnt: Kaffee, Nussgipfel, Bratwurst. Das ist kein Witz: Marco Odermatt und Justin Murisier gehören zu den Athleten, die auch vor einer Lauberhornabfahrt eine Bratwurst verdrücken können.

Stauffer spricht per Funk mit ein paar seiner Schweizer Trainerkollegen, dann ruft er die Helikopterbasis an: «Wir sind verspätet, wie lange dürft ihr fliegen?» Die Schweizer werden nach der Besichtigung per Helikopter wieder hinaufgeflogen, um ihnen das Fan-Chaos in den vollen Zügen zu ersparen. Die Helikopter dürfen aber nicht beliebig fliegen, während der Show der Patrouille Suisse herrscht eine Sperrfrist.

Endlich kommt die Whatsapp-Nachricht: Die Besichtigung findet von 10 Uhr 30 bis 11 Uhr statt, kürzer als sonst. Das reicht für die Helikopterflüge, nicht aber für Interviews im Zielraum. Stauffer gibt der Medienverantwortlichen von Swiss Ski Bescheid, dann fährt er los zu seiner Position beim Ziel-S. Hektik mag das Rennen erfasst haben, ihn sicher nicht.

Mit fast 4,5 Kilometern hat das Lauberhorn die längste Abfahrt im Weltcup. Dementsprechend aufwendig ist die Besichtigung: An elf Positionen steht ein Trainer der Schweizer, wobei ein finnischer und ein liechtensteinischer Trainer dazugehören, weil ihre Athleten im System von Swiss Ski integriert sind. Der Abfahrts-Chef Reto Nydegger bestimmt vor dem ersten Training, wer welche Position einnimmt. Dann gibt es eine Trainer-Besichtigung, auf der er seine Vorstellung von der optimalen Linie teilt.

Nachdem alle Fahrer schon zwei Trainings absolviert haben, wird bei der Besichtigung am Renntag nicht mehr allzu viel besprochen. Man redet über das optimale Set-up für die Schneeverhältnisse. Stauffer fragt die Fahrer, was ihr Plan für das Ziel-S sei, und gibt ihnen seine Einschätzung, ob dieser am heutigen Tag realisierbar ist. Am Samstag etwa gab es eine Kompression, für die gewisse Fahrer im Training zu direkt gefahren wären. Ausserdem ist der Schnee weiter aussen etwas grober – das muss man im Hinterkopf haben, wenn es einen abtreibt.

Franjo von Allmen ist «zu locker drauf»

Telefonanruf zu Nydegger die Piste hoch. Wie ist denn Franjo von Allmen drauf, der Sieger des Super-G vom Vortag? «Zu gut, zu locker», sagt Nydegger, «es ist wichtig, dass er nicht zu viel will und einfach so Ski fährt, wie er das kann.» Dasselbe gelte für Odermatt, dem der Super-G nicht wunschgemäss gelungen ist. Beide nehmen sich das zu Herzen – Odermatt siegt zwei Stunden später, von Allmen wird Zweiter.

Nach der Besichtigung fährt Tom Stauffer nochmals zur Allmend ins Café. Wieder erledigt er Organisatorisches, ruft den Slalomfahrer Luca Aerni an und fragt, ob mit dem Transfer aus dem Wallis nach Wengen alles geklappt habe. Und er studiert auf seinem Handy eine Tabelle, die viele Daten des Super-G vom Vortag zeigt: Schnee- und Lufttemperatur, Windstärke, Zwischenzeiten. Diese Daten wird er gemeinsam mit jenen von der Abfahrt am Nachmittag auswerten. Die Resultate helfen zum Beispiel den Serviceleuten bei der Analyse, weil sie zeigen können, weshalb ein Fahrer auf einem Abschnitt langsam oder schnell war.

Wieder skatet Stauffer den Waldweg hinauf, durch den Wald auf die Piste, zu seiner Position auf der Trainer-Plattform beim Ziel-S. Hier ist es nicht allzu gedrängt, es gibt ungemütlichere Coaching-Positionen: Am Lauberhorn sitzen drei Swiss-Ski-Trainer in den Bäumen, um einen besseren Überblick zu haben, bis zu dreissig Meter über dem Boden. Manche haben Turnschuhe dabei zum Klettern, manche klettern in den Skischuhen. Als Hilfe und zur Sicherung nutzen sie Steigeisen, Seile oder Leitern. Wer wo sitze, sei international relativ hierarchisch geregelt, sagt Stauffer: Die besten Äste bekämen «die, wo gäng dert si gsi».

Das Rennen beginnt eine Viertelstunde verzögert beim Originalstart, der Guggiföhn hat sich abgeschwächt. Nach den ersten zwei, drei Fahrern werden alle elf Coaching-Positionen angefunkt, um zu prüfen, ob sich eine Passage etwa als schneller erweist als angenommen. Danach gibt es nur noch individuelle Funks zum Trainer am Start, Vitus Lüönd, falls jemandem etwas auffällt. Manchmal filmen die Trainer die Fahrten der Athleten mit den hohen Startnummern, weil bei diesen wegen der kürzeren Startintervalle nicht von der ganzen Fahrt Fernsehbilder existieren.

Welches ist für Tom Stauffer der schönste Moment eines Rennwochenendes? «Kann ich sagen: die Heimfahrt?» Es ist der Moment, in dem alle Resultate der verschiedenen Rennstufen vorliegen. Und Stauffer die nächsten Schritte planen kann. Welcher junge Fahrer einen Platz an einem Weltcup-Rennen verdient hat. Und wer vielleicht noch einen Flug nach Amerika braucht.

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