Donnerstag, Mai 1

Das Verhältnis zwischen Liga und Verband ist im Schweizer Eishockey tief getrübt. Die Verwerfungen überschatten vor dem WM-Auftakt am Freitag gegen Norwegen auch die Arbeit des Trainers.

Die Schweiz startet am Freitag (16 Uhr 20, SRF 2) gegen Norwegen in die Eishockey-Weltmeisterschaft in Prag und Ostrava. Dieser Match markiert einerseits den nächsten Anlauf der Schweizer, eine Medaille zu gewinnen oder sogar Weltmeister zu werden. Andererseits beginnt auch das nächste Kapitel in der Seifenoper «Swiss Ice Hockey gegen die National League».

Seit sich die Liga 2020 mitten in der Corona-Pandemie vom Verband gelöst hat, tobt zwischen den beiden wichtigsten Organisationen im Schweizer Eishockey ein erbitterter Kampf um Macht, Einfluss und Geld. Im Zentrum der neusten Episode der Seifenoper stehen nicht nur die Leistungen auf dem Eis, sondern auch die Protagonisten in der Führung des Verbandes: der CEO Patrick Bloch, der Sportdirektor Lars Weibel und der Nationalcoach Patrick Fischer.

Dieses Trio wird während der kommenden WM in Tschechien unter besonderer Beobachtung der führenden Schweizer Klubs und somit der Liga stehen. Der Trainer Fischer beginnt sein zehntes grosses Turnier als Kopf der wichtigsten Auswahlmannschaft. Der 48-jährige Zuger übernahm das Team im Herbst 2015 vom unbeliebten Kanadier Glen Hanlon. Schon damals kam es zu Nebengeräuschen im Verhältnis zwischen Liga und Verband.

Eigentlich wollte der damalige Nationalmannschaftsdirektor Raeto Raffainer anstelle von Fischer Kevin Schläpfer verpflichten. Doch unter Tränen verzichtete dieser, weil ihm der EHC Biel die Freigabe nicht erteilt hatte. Dass der Verband einem Schweizer Klub den Trainer abzuwerben versucht, war ein bis zu diesem Zeitpunkt einzigartiger Vorgang. Das war Kapitel Nummer eins in der Seifenoper zwischen Liga und Verband.

Statt Schläpfer übernahm Fischer das Team zusammen mit Felix Hollenstein und Reto von Arx. «Swissness» lautete das Schlagwort des Moments. Man garnierte T-Shirts und andere Fanartikel mit Armbrust und Hellebarde. Damit verlieh man dem Nationalmannschaftsprogramm viel Pathos. Trotzdem verpassten die Schweizer an der WM 2016 in Moskau die Viertelfinals. Ab dem zweiten Jahr führte Fischer das Programm alleine weiter. Bereits an seinem vierten grossen Turnier gewannen die Schweizer 2018 in Kopenhagen WM-Silber. Im Final waren sie erst im Penaltyschiessen den Schweden unterlegen.

Fischers Silberbonus ist aufgebraucht

Von der Silbereuphorie zehrt der Coach bis heute. Fischer hatte dem Team damals einen offensiveren Stil, vor allem aber auch eine neue Erwartungshaltung implementiert. Man löste sich vom gängigen Ziel «Viertelfinal-Qualifikation» und sprach stattdessen offen über Medaillen und den Weltmeistertitel. Die Spieler folgten dem Beispiel ihres Coachs und traten, getragen von der wachsenden Zahl an NHL-Spielern, unschweizerisch selbstsicher auf.

Jüngst allerdings hielten die Resultate nicht mehr mit dem siegessicheren Auftreten Schritt. Seit der Silbermedaille in Kopenhagen scheiterten die Schweizer fünfmal in Folge im Viertelfinal. Keine dieser Niederlagen war bitterer als jene vor einem Jahr. Fischers Team spielte eine perfekte Gruppenphase ohne Niederlage. Doch es schied nach einer enttäuschenden Leistung und einem 1:3 gegen Deutschland im Viertelfinal aus.

Diese Niederlage, die dritte in Folge in einer Knock-out-Partie gegen den grossen Rivalen, veränderte die Wahrnehmung des Coachs und seines Programms. Seither werden Fischer und seine Rhetorik öffentlich kritischer beurteilt. Doch Fischer ist keiner, der sich von Selbstzweifel auffressen lässt oder sich vor einer Herausforderung verkriecht. Anfang dieser Woche sagte er in einem Interview mit der NZZ: «Ich kenne meine Qualitäten und vertraue in diese. In meiner Karriere als Spieler habe ich die meisten der Ziele, die ich angestrebt habe, auch erreicht. Das ist auch als Coach mein Anspruch.»

Fischers Team enttäuschte allerdings in den Testspielen des vergangenen Winters schwer. Es reihte Niederlage an Niederlage; insgesamt 13 am Stück. Trotzdem verlängerte der Verband den Vertrag mit dem Coach im Februar nicht zuletzt auf Drängen seiner unmittelbaren Vorgesetzten Weibel und Bloch um zwei Jahre bis nach der Heim-WM 2026 in Zürich und Freiburg. «Wir sind auf dem richtigen Weg» wurde zur Losung, die mit jeder weiteren Niederlage zusätzlich an Überzeugungskraft verlor.

Der Entscheid, Fischers Vertrag vorzeitig zu verlängern, stiess nicht nur beim Publikum, sondern auch in der National League auf einiges Unverständnis. Warum zu diesem Zeitpunkt? Weshalb noch bevor bekannt ist, wie die Equipe an der WM abgeschnitten hat? Der Verband hat sich mit einer Ausstiegsklausel abgesichert. Sollte Fischer mit seinem Team dieses Jahr die WM-Viertelfinals verpassen, soll der Vertrag ohne finanzielle Konsequenzen für den Verband aufgelöst werden können. Doch selbst eine Viertelfinal-Qualifikation in Prag wird nicht automatisch ein Freifahrtschein für den Coach und seinen Staff in die Zukunft sein.

Peter Zahner, der CEO der ZSC Lions, sitzt als Delegierter der National League auch im Verwaltungsrat von Swiss Ice Hockey und ist Mitglied im Nationalmannschaftskomitee. Vor seinem Engagement im ZSC war er selber Verbandsdirektor und damit der Kopf des Nationalmannschaftsprogramms. Zahner sagt: «Die Resultate sind nicht das einzige Kriterium, es geht auch um die Art und Weise, wie Fischers Team in Prag auftritt.» Einen blassen Auftritt wie vor einem Jahr im Viertelfinal gegen Deutschland können sich die Schweizer und ihre Führung kaum mehr leisten.

Die bevorstehende WM ist nicht das Einzige, was Zahner und seine Kollegen im National Team Committee, kurz NTC, umtreibt. Das achtköpfige Gremium hat nur beratende Funktion. In Entscheidungen und damit auch in die Verantwortung eingebunden ist es hingegen nicht. Viele sehen es als Schattenkabinett ohne wirklichen Einfluss.

Trotzdem ist ein Teil seiner Exponenten alles andere als glücklich mit diversen Entscheidungen von Swiss Ice Hockey. Ein Beispiel dafür ist die Art, wie der Verband die Affäre um den talentierten Verteidiger Lian Bichsel gelöst hat. Weil sich der 19-Jährige jüngst zweimal nicht für die U-20-Nationalmannschaft zur Verfügung gestellt und sich stattdessen auf seine Klubkarriere beim schwedischen Spitzenteam Rögle konzentriert hatte, schlossen ihn Lars Weibel und Patrick Fischer bis nach der WM 2026 aus dem Nationalteam aus. Betroffen von dieser Massnahme ist auch das Olympiaturnier im selben Jahr in Mailand.

Der Verzicht auf Bichsel, vor allem aber die Härte der Sanktion gegen den NHL-Erstrunden-Draft wurde innerhalb des Verbandes kontrovers diskutiert. Die Causa gilt als Beleg dafür, wie weit sich die Verbandsspitze von der Basis gelöst hat. Zahner sagt, er könne nicht nachvollziehen, weshalb man einen Spieler wegen eines einzelnen Vergehens derart hart bestrafe. «So grosse Talente wie Bichsel sind in der Schweiz selten. Man hätte für die bevorstehende WM auf ihn verzichten und die Angelegenheit im Sommer regeln können, ohne die Türe gleich für zwei Jahre zuzuschlagen.»

Weibel gilt als «unbelehrbar» und «beratungsresistent»

Speziell der Nationalmannschaftsdirektor Weibel wird von der zunehmenden Zahl seiner Kritiker als «unbelehrbar» und «beratungsresistent» bezeichnet. Das sind happige Vorwürfe an die Adresse des ehemaligen Spitzentorhüters und ein Hinweis darauf, dass die Gräben, die sich nach der Loslösung der Liga vom Verband aufgetan haben, alles andere als zugeschüttet sind. Im vergangenen Herbst folgte Stefan Schärer als Verbandspräsident auf Michael Rindlisbacher. Schärer erbte vom Vorgänger die Aufgabe, zwischen Verband und Liga zu vermitteln. Es ist ihm bisher nicht gelungen, die Fronten aufzuweichen.

Schärer sagt, das Ganze sei ein Prozess, der Zeit brauche. «Es gibt gewisse Altlasten, die wir aufarbeiten müssen.» Gleichzeitig lege er Wert auf die Feststellung, dass sich die beiden Parteien in wichtigen Punkten massiv nähergekommen seien. Es gebe eine neue Dienstleistungsvereinbarung und auch wieder einen regelmässigen Austausch zwischen dem Verbands-CEO Patrick Bloch und dem Ligadirektor Denis Vaucher. Zu den Vertragsmodalitäten mit Patrick Fischer will sich Schärer nicht äussern. «Es ist nun nicht der Moment dazu, und ausserdem sind Vertragsdetails vertraulich», sagt Schärer.

Der Konflikt zwischen Verband und Liga ist also alles andere als ausgestanden. Nach mehr als drei Jahren Streit und Intrigen ist es nur noch schwer vorstellbar, dass sich die Spannungen mit den gegenwärtigen Protagonisten in den führenden Funktionen noch lösen lassen. Nötig ist wahrscheinlich das, was die Nordamerikaner als «house cleaning», als einen Neustart mit neuen Köpfen an den Schlüsselpositionen, bezeichnen.

In diesem Klima der Argwohn und Missgunst starten die Schweizer und ihr Coach in Prag zur Weltmeisterschaft. Sie tun das mit der wahrscheinlich besten Mannschaft, die Fischer in seinen mittlerweile bald neun Jahren als Nationalcoach zur Verfügung gestanden hat. Im Interview mit der NZZ sagte der Coach: «Ich versuche mich auf das zu konzentrieren, was meine Aufgabe ist.»

Wenn es um die Zielsetzungen geht, hat sich seine Tonalität merklich verändert. Fischer spricht defensiver, redet nicht mehr von Medaillen und Titeln, sondern sagt, die Schweiz sei die Nummer 7 der Weltrangliste. Es gebe sechs Teams, die besser klassiert seien. «Daher können wir nicht einfach den Anspruch erheben, eine Medaille zu gewinnen.» Mittlerweile scheint Fischer realisiert zu haben: Er wird an den Resultaten gemessen, die auf seine Worte folgen.

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