Montag, November 25

Die britische Band um den charismatischen Sänger Chris Martin hat ein neues Album herausgebracht. «Moon Music» ist der Versuch, es allen recht machen zu wollen.

Sie wollten hoch hinaus in hymnische Sphären. Und doch ist es in den letzten Jahren musikalisch den Bach runtergegangen, in den Mahlstrom der Trends und durchs Tal des Kommerzes weiter in den breiten Mainstream, der Coldplay in jenen ozeanischen Abgrund manövriert hat, in dem sich die Band auf ihrem neuen Album «Music of the Spheres Vol. II: Moon Music» präsentiert.

Musikalische Mission und Geschäftssinn sind bei Coldplay allmählich zu einer fatalen Gier verschmolzen, die sich in immer grösseren Hallen und Stadien austobte. Die Songs wurden immer simpler. Umso bunter und bombastischer der Sound, der Band und Publikum auf eine gemeinsame Frömmigkeit einstimmen sollte.

Der dramatische Niedergang erinnert an ein Grundproblem: Ein musikalisches Profil zeichnet sich eigentlich dadurch ab, dass man sich von gewissen Traditionen und Trends bewusst distanziert. Pop-Stars wie Coldplay aber möchten viele Fans, am besten gleich die ganze Menschheit, in ihren Bann ziehen durch gefällige Mixturen.

Fröhliche Weltverbesserer

Ein Song auf «Moon Music» trägt den passenden Titel «We Pray» – ein seltsamer Hybrid aus Gebet und trashigen Beats: Das Gutgemeinte wird mit viel Überschwang angerührt. Der Lobgesang strotzt vor wogenden Streichern, darunter paukt tief ein fetter Beat. In der Ferne sind Engelsstimmen zu hören, dann erhebt auch Chris Martin seine Stimme. Er betet dafür, dass er sein Bestes geben könne, dass seine Brüder gesegnet seien, dass ihm seine Sünden vergeben würden, dass wir alle bescheiden und ehrlich blieben. Und wenn ihm irgendwann nichts mehr einfällt, trällert er dann «la la la».

Bei seinem Pop-Gebet steht ihm eine diverse Auswahl von Stars zur Seite – von der britischen Rapperin Little Simz über die palästinensisch-chilenische Sängerin Elyanna und die argentinische Schauspielerin Tini bis zum nigerianischen Afrobeats-Superstar Burna Boy. Sie bekommen alle ein kurzes Solo. Im Video zum Song bringen sie sich als fröhliche Front von Weltverbesserern in Stellung. Aber das macht den seicht-sakralen Gassenhauer nur noch fahriger.

Coldplay zählte zwar nie zur Avantgarde der Coolness, aber eine respektable Band war sie durchaus. Die vier Briten haben sich in den 2000er Jahren als eine späte Indie- und Britpop-Gruppe mit einem sanften Stil in die Charts gespielt, der allerdings rockig aufgeraut wurde in Hits wie «Yellow» oder «In My Place». Auf ihren ersten Alben definierten sie einen eigenen Sound, der sich indessen bald als Hypothek erwies. Die Karriere ragte immer mehr über die Blüte ihres Könnens hinaus. Den Erfolg im Rücken, spürten sie immer mehr die Schwerkraft des Marktes.

Coldplay - WE PRAY (feat. Little Simz & Elyanna) (Glastonbury 2024)

Coldplay hat es dann zwar geschafft, den eigenen Sound zu erneuern und weiterzuentwickeln. Diese Entwicklung aber wurde für die Musiker zum Verhängnis. Allerdings nicht für Chris Martin. Der Sänger konnte sich auf sein röhrendes Organ stets verlassen. Und noch in billigsten Schnulzen erzielt er mit seinem kehligen Gesang, der in bewegenden Momenten in den Falsett ausbricht, eine enthusiastische oder elegische Wirkung. Wobei der lachende Stoiker den von ihm beschworenen Gefühlen gegenüber meist immun scheint.

Während der charismatische Frontmann im Zeichen stilistischer Anpassungen immer dominanter wurde in der Band, nahm die Bedeutung der Kollegen ab. Zu Beginn war Coldplay eine Formation befreundeter Studenten, die ihre geteilte Leidenschaft auf herkömmlichen Instrumenten auslebten. Guy Berryman setzte am Bass ein leichtes Fundament; Jonny Buckland prägte den Sound an der Gitarre mit elektrisierenden Motiven. Will Champion bewies ein Gespür für die flirrenden und federnden Grooves, die dem Trend des beginnenden 21. Jahrhunderts entsprachen: Die Rockmusik zeigte sich damals von der verzärtelten Seite und erklärte «the quiet» zum neuen «loud».

Die Produzenten dominieren

So trat Coldplay als Rockband mit poppigem Gepräge auf. Das änderte sich spätestens mit dem vierten Studioalbum «Viva La Vida» (2008). Vielleicht wussten Chris Marin und seine Kumpanen bereits nicht mehr, wo die musikalische Reise hingehen sollte. Vielleicht war es auch die Lust auf klangliche Abenteuer, die die vier Freunde dazu bewog, Brian Eno ins Studio zu holen. Der erfahrene Produzent schaffte es, die Band mit neuen Klängen einzukleiden.

Das neue Album aber lebte nun von orchestraler Wucht, von synthetischen Farben und sphärischen Effekten, die die alten Instrumente samt Instrumentalisten ins Abseits manövrierten. Im Studio braucht es sie seither kaum noch. Und auf der Konzertbühne reduziert sich ihre Aufgabe darauf, die Studiokonserven mit ein paar Live-Klängen zu beleben. Und Will Champion ist zum sklavischen Pauker degradiert worden, der quantifizierte Beats in den Raum zu prügeln hat.

Nach «Viva La Vida» hat die Band mit einer Reihe unterschiedlicher Produzenten zusammengearbeitet und dabei den Fokus auf ein eigenes künstlerisches Gepräge immer mehr verloren. Die neuen Alben wurden je nachdem mit Pop, Dance, Softrock, R’n’B, Weltmusik oder Ambient abgefüllt, um jeden potenziellen Musikfan anzusprechen.

Um diese Strategie weiterzuverfolgen, hat man schliesslich Max Martin mit ins Boot geholt. Beim Schweden, der jetzt das Repertoire von «Moon Music» geprägt hat, handelt es sich um einen der vielseitigsten und erfolgreichsten Songwriter und Produzenten überhaupt; er hat von den Backstreet Boys bis hin zu Taylor Swift noch jeden internationalen Star mit einem Hit bedient. Auf Kategorien wie Originalität und künstlerische Geschlossenheit legt er hingegen wenig Wert.

Ein Ende mit Schmerzen

Das erklärt das Allerweltsmenu des neuen Coldplay-Albums. Auf den Titelsong, eine Streicherouvertüre samt lieblichen Piano-Motiven folgen ein Schlager («Feelslikeimfallinginlove»), eine Pop-Hymne («We Pray»), eine Gitarren-Pop-Nummer («Jupiter»), etwas Dance-Pop («Good Feelings»), etwas Ambient («Rainbow»), ein Pop-Banger («IAMM»), Disco/House samt Highlife-Chor («Aeterna»), eine Schnulze («All MY Love») und ein sphärisch-meditativer Elektro-Track mit Vogelstimmen («One World»): Rotkehlchen und Amsel sorgen hier noch für einen späten Höhepunkt.

Seit Jahren spricht Chris Martin von einer baldigen Auflösung von Coldplay. Schon nach dem siebten Album sollte Schluss sein. Jetzt ist man beim zehnten angelangt. Das Dutzend werde nun noch vollgemacht, sagt er heute, dann aber solle es das gewesen sein. Wer jetzt darüber heult, ist ein falscher Fan. Nach «Moon Music» kann man Chris Martin und seinen Kollegen nichts Besseres wünschen als das Ende ihrer Band und ihres Niedergangs.

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