Freitag, Dezember 27

Dividenden sind wichtig, aber es ist notwendig, das Konzept zu verstehen. Die Maximierung Ihrer Gewinne hängt nicht davon ab, dass Sie in Unternehmen investieren, die hohe Dividenden zahlen. Das perfekte Unternehmen zahlt nicht einmal Dividenden. Weshalb? Aus einfachen mathematischen Gründen.

English version

«Der Zinseszinseffekt ist das achte Weltwunder. Wer ihn versteht, verdient daran, alle anderen bezahlen ihn»
Albert Einstein, theoretischer Physiker (1879–1955)

Die Dividendensaison beginnt.

Ich gestehe; die Dividende war noch nie ein Merkmal eines Unternehmens, das mein Interesse geweckt hat. Doch nach mehr als einem Jahrzehnt in der Finanzbranche bin ich immer noch erstaunt, wie sehr Dividenden die Anlegergemeinschaft faszinieren. Dividendenerträge scheinen so verlockend zu sein, dass sie die Investoren oft dazu verleiten, den gesunden Menschenverstand zu vergessen oder sich von der Investmentbranche dazu verführen zu lassen.

Dividenden oder Einkommensstrategien mit Aktien sind für mich nicht wichtig. Weshalb? Aus einfachen mathematischen Gründen.

Betrachten wir aber zunächst das Thema Dividenden.

Das falsche Sicherheitsgefühl von Dividenden

Wie oft haben Sie schon gehört, dass der grösste Teil der langfristigen Rendite aus Aktienanlagen durch die Reinvestition von Dividenden erzielt wird? Diese These wird in der Regel von Abbildungen begleitet, die den Unterschied zwischen den Renditen eines Index mit ausgeschütteten und eines Index mit reinvestierten Dividenden zeigen.

Es versteht sich von selbst, dass Letzterer (in der folgenden Grafik dunkelgrün dargestellt) eine deutlich höhere Rendite aufweist.

Grafik 1: der Zinseszinseffekt reinvestierter Dividenden

Es ist klar, dass Dividenden wichtig sind, aber es ist notwendig, das Konzept dahinter zu verstehen. Die Maximierung Ihrer Gewinne hängt nicht davon ab, dass Sie in Unternehmen investieren, die hohe Dividenden ausschütten.

Meiner Meinung nach gibt es mehrere Punkte zu beachten.

Eine Aussage, die ich sehr oft höre, ist eine sehr emotionale – und für mich problematische – Bemerkung. Die Dividende gibt Ihnen ein Gefühl der Sicherheit, denn egal was passiert, Sie werden die 3% Dividende auf Ihre Investition erhalten, richtig? So nach dem Motto: «Es ist kein Problem, wenn der Aktienkurs 30% fällt, ich bekomme ja immer noch meine 3% Dividende.»

Ich denke, Sie verstehen, worauf ich hinaus will.

Aber warum wollen Anleger überhaupt ein regelmässiges Einkommen aus Dividenden? Wenn man in Rente geht, braucht man natürlich Geld zur Deckung seiner Liquiditätsbedürfnisse. Aber warum muss es aus Dividenden stammen? Ist der richtige Ansatz nicht, so zu investieren, dass die Gesamtrendite maximiert wird? Schliesslich können Sie den Betrag, den Sie für Ihre Ausgaben benötigen, auch durch Verkäufe von Aktien erhalten. Das scheint eine psychologische Hürde zu sein. Der Anleger will den Spatz in der Hand (Dividenden), denn er ist mehr wert als die Taube auf dem Dach (eine unbekannte Gesamtrendite).

Ineffiziente Reinvestition

Hier liegt das Hauptproblem in Bezug auf die Dividenden und die Maximierung der Gesamtrendite: die Effektivität der Reinvestition. Die Ausschüttung von Dividenden macht sie ineffizient und beeinträchtigt den langfristigen Zinseszinseffekt, besonders für Privatanleger. Dazu später mehr.

Ein weiteres Problem ist die Vermarktung sogenannter High-Dividend- oder Income-Strategien durch viele Banken und Vermögensverwalter. Der «High Dividend ETF» verfolgt mich in meinen Träumen. Die ausschliessliche Konzentration auf hohe Dividendenrenditen (z.B. mehr als 3%) kann gefährlich sein und ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln, denn:

  • Viele Aktien mit hohen Dividenden stammen aus wachstumsschwachen Sektoren mit grossen strukturellen Herausforderungen, beispielsweise Banken, Versorger, Telecom Energie oder aus der Automobilindustrie. Da sie kaum Wachstumsperspektiven haben, schütten sie überschüssige Barmittel, die nicht profitabel reinvestiert werden können, als Dividenden aus.
  • Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen verfügen oft nicht über die notwendige Ertragskraft, um das Ausschüttungsniveau langfristig hoch zu halten, was zu Engagements in Unternehmen mit hoher Verschuldung führt und häufig Dividendenkürzungen zur Folge hat.
  • Eine starke Fokussierung auf einzelne Branchen und Länder führt zu potenziell gefährlichen Klumpenrisiken.

Das führt mich zu zwei Schlussfolgerungen. Erstens, dass Dividenden- oder Einkommensstrategien eher Marketinggeschichten als effiziente und letztlich gute Anlagemöglichkeiten sind. Zweitens, dass die einzige Möglichkeit, sich auf Dividendenstrategien zu konzentrieren, darin besteht, die so genannte Dividendenertrags-Wachstums-Strategie zu verfolgen. Diese konzentriert sich auf Unternehmen mit hoher Qualität und soliden Bilanzen, die ihre Dividenden jährlich erhöhen können und nach 25 Jahren zu sogenannten Dividendenaristokraten oder nach 50 Jahren sogar zu Dividendenkönigen werden.

Der Schwerpunkt dieser Strategie liegt nicht auf der Höhe der Dividendenrendite per se, sondern auf der Wachstumsrate. Diese Dividendenertrags-Wachstums-Strategie (weisse Kurve in der folgenden Grafik) ist reinen Dividendenstrategien langfristig überlegen. Im ersten Corona-Schock vom Frühjahr 2020 büssten Titel aus dieser Klasse deutlich weniger ein als Aktien mit hoher Dividendenrendite (orange und gelb).

Grafik 2: Dividendenwachstum ist wichtiger als Dividendenrendite

Ein solides, aber nicht so offensichtliches Beispiel ist Visa, eine Portfoliobeteiligung von arvy. Das Unternehmen begann unmittelbar nach seinem Börsengang im Jahr 2008 mit der Zahlung einer bescheidenen Dividende. Im Lauf der Jahre betrug die jährliche Wachstumsrate dieser Dividende 26%, während sie 15 Jahre in Folge erhöht wurde. Anleger, die Aktien des Unternehmens kauften, als Visa seine erste Dividende zahlte, würden heute eine Rendite von rund 14% auf ihre ursprüngliche Investition erzielen.

15 Jahre mögen wie eine lange Zeit erscheinen, aber wir sind langfristige Investoren, die nach nachhaltigen Gewinnen von starken, qualitativ hochwertigen Unternehmen suchen. Wenn Ihnen dieser Zeithorizont zu lang erscheint, sind Aktien vielleicht ohnehin nicht die richtige Wahl für Sie.

Schauen wir uns nun genauer an, warum ein perfektes Unternehmen keine Dividenden ausschüttet.

Der effizienteste Weg, Ihr Kapital zu vermehren

Mein Ziel ist es, mein Kapital zu vermehren. Das Management eines Unternehmens hat mehrere Möglichkeiten, was es mit dem erwirtschafteten freien Cashflow machen kann:

  1. In das eigene Unternehmen investieren
  2. Andere Unternehmen aufkaufen
  3. Ausschüttung von Dividenden
  4. Aktien zurückkaufen
  5. Schulden tilgen

Um mein Kapital zu steigern, ist es am effizientesten, wenn das Management die Wege Nr. 1 und 2 geht, das heisst in das eigene Unternehmen zu investieren oder – vorzugsweise kleinere – Übernahmen tätigt. Wichtig ist, dass diese Investition eine Rendite abwirft, die über den Kapitalkosten liegt, konkret: Die Rendite auf dem investierten Kapital (Return on Invested Capital, ROIC), muss höher sein als die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (Weighted Average Cost of Capital, WACC).

Wenn das Unternehmen eine Dividende ausschüttet, verfügt es nicht mehr über das Kapital, um dies zu tun. Meiner Meinung nach ist dies daher eine weniger effiziente Art, mein Kapital zu vermehren.

Rechnen wir nach, um herauszufinden, warum.

Heute hat das durchschnittliche Unternehmen im amerikanischen S&P 500 eine Ausschüttungsquote von 40%. Mit anderen Worten: Ein typisches Unternehmen erwirtschaftet einen Gewinn von 100 $ und schüttet 40 $ an Sie als Aktionär in Form von Dividenden aus. Die 60 $ verbleiben im Unternehmen und können für die anderen vier Optionen verwendet werden.

Doch was ist für den Aktionär wertvoller: die Reinvestition der erhaltenen Dividende in neue Aktien oder die Reinvestition des Cashflows durch das Unternehmen selbst? Für meine Berechnung verwende ich das aktuelle Kurs-Buchwert-Verhältnis des S&P 500, das bei 4 liegt.

Der erste Nachteil von reinvestierten Dividenden ist, dass sie für die meisten Anleger steuerpflichtig sind. In der Schweiz unterliegen sie der Einkommenssteuer. Wenn wir einen Einkommenssteuersatz von 30% annehmen, dann verbleiben Ihnen für 40 Fr. an Dividenden nach Steuern noch 28 Fr. Wenn Sie nun diese Mittel wieder in neue Aktien investieren wollen, dann müssen Sie dies zum Marktpreis tun – das heisst, Sie bezahlen das Vierfache des Buchwerts (am Beispiel des S&P 500). Das bedeutet, dass die 28 Fr., die Sie reinvestieren, einen erheblichen Kaufkraftverlust erleiden, ganz zu schweigen von den Transaktionskosten (Geld-/Briefspanne, Gebühren, usw.) und der Dauer bis zur Wiederanlage (Opportunitätskosten).

Das klingt nicht gerade nach einem Schnäppchen.

Wenn das Unternehmen den einbehaltenen Gewinn dagegen selbst reinvestiert – also in eine Ausweitung seines produktiven Kapitalstocks –, dann wird dieser Gewinn nicht doppelt besteuert. Zudem kann er zum Buchwert in das Kapital des Unternehmens reinvestiert werden, so dass die 60 Fr., die einbehalten werden, zu 100% in Kapital umgewandelt werden.

Als ob das nicht schon Grund genug wäre, die einbehaltenen Gewinne den Dividenden vorzuziehen, werden die 60 Fr., die für Sie einbehalten werden, in einen Marktwert von 240 Fr. (60 Fr. x 4) umgewandelt, da die Aktien unseres fiktiven Unternehmens zum 4-fachen Buchwert gehandelt werden.

Kurz gesagt: 60 Fr., die vom Unternehmen einbehalten und in den eigenen produktiven Kapitalstock reinvestiert werden, ergeben einen Aktionärswert von 240 Fr., während 40 Fr., die als Dividende ausgeschüttet werden, Ihnen unter dem Strich nach Steuern nur 28 Fr. einbringen, die Sie zu einem viel höheren Wert wieder anlegen müssen. Angenommen, das Unternehmen könnte den erwirtschafteten Gewinn vollständig bei unveränderter Kapitalrendite in den eigenen Kapitalstock reinvestieren, dann würden 100 Fr. sogar 400 Fr.

Lassen wir uns von der Mathematik nicht zu sehr verwirren und betrachten wir den Kapitalfluss in dieser Visualisierung.

Grafik 3: Kapitalströme innerhalb und ausserhalb des Unternehmens

Das öffnet einem die Augen, nicht wahr?

Und das ist noch nicht alles.

Die Magie des Zinseszinses

Dieser Effekt lässt sich erheblich verstärken, wenn man sich auf die wichtigste Aufgabe eines CEO und des Managements konzentriert, wie Warren Buffett in seinem Jahresbrief 1979 erklärte: die effiziente Kapitalallokation.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum die erfolgreichsten Unternehmen wie Alphabet, ASML, Berkshire Hathaway, Hermès, Microsoft, Visa und viele andere keine Dividenden zahlen, oder wenn, dann nur einen vergleichsweise geringen Betrag? Das liegt daran, dass sie ihren erwirtschafteten Cashflow zu hohen Renditen ins eigene Geschäft reinvestieren können. Sie sind in der Lage, strukturelle Wachstumsmärkte und ihre Marktführerschaft zu nutzen, um ihr einbehaltenes Kapital effizient und gewinnbringend zu investieren.

Wenn es uns gelingt, Unternehmen zu finden, die über solide Wachstumsperspektiven verfügen, die es ihnen ermöglicht, ihre Cashflows mit hohen Renditen zu reinvestieren, dürfen sie keine Dividende zahlen. Die Dividende beeinträchtigt die Magie des Zinseszinses.

Nachfolgend die Beispiele für drei Unternehmen, A, B und C:

Unternehmen A erwirtschaftet eine Kapitalrendite von 18%. Es zahlt keine Dividende und reinvestiert 100% seiner Gewinne ins Wachstum des eigenen Geschäfts.

Unternehmen B erwirtschaftet ebenfalls eine Kapitalrendite von 18%. Es reinvestiert 60% seiner Gewinne – die anderen 40% werden wie in unserem vorherigen Beispiel als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet, aber diese reinvestieren sie nicht in neue Aktien, sondern geben das erhaltene Geld anderweitig aus.

Unternehmen C reinvestiert 100% seiner Gewinne, erzielt aber nur eine Kapitalrendite von 6%.

Grafik 4: Rendite von anfänglich 100 Fr. für Unternehmen A, B und C über 20 Jahre

Dies wurde von Charlie Munger, dem langjährigen Geschäftspartner Buffetts, weiter konkretisiert, dessen Zahlen ich gerade im vorherigen Beispiel verwendet habe, indem er sagte: «Langfristig kann eine Aktie kaum eine bessere Rendite erzielen als das Unternehmen, das ihr zugrunde liegt. Wenn das Unternehmen über vierzig Jahre 6% auf das investierte Kapital erwirtschaftet und Sie die Aktie vierzig Jahre lang halten, werden Sie nicht viel mehr als 6% Rendite pro Jahr erzielen – selbst wenn Sie es ursprünglich mit einem grossen Abschlag gekauft haben. Wenn ein Unternehmen dagegen über zwanzig oder dreissig Jahre 18% Kapitalrendite erwirtschaftet, haben Sie selbst bei einem teuer anmutenden Preis am Ende ein verdammt gutes Ergebnis.»

Das ist die Arithmetik des Zinseszinses, und das ist es, was sich Aktienanleger zunutze machen sollten. Das ist einfache Mathematik. Und es ist eine Eigenschaft von Aktien, die keine andere Anlageklasse bietet. Ein Teil der von dem Unternehmen erwirtschafteten Gewinne wird einbehalten und automatisch für Sie reinvestiert. Dadurch wird mehr Wert geschaffen, als Sie jemals durch die Reinvestition von Dividenden realisieren können – natürlich mit einem wichtigen Vorbehalt: Das Management muss einen guten Leistungsausweis in der Reinvestition der Gewinn haben, und die Kapitalrendite muss konsistent über den Kapitalkosten bleiben.

Dies ist bei Anleihen oder Immobilienanlagen nicht der Fall. Als Investor erhalten Sie zwar Zinsen oder Mieten aus diesen Anlagen, aber sie werden nicht automatisch für Sie reinvestiert.

Das klingt alles wunderbar, ich weiss, und natürlich gibt es einen Haken.

Ein perfektes Unternehmen gibt es nicht

Die Magie des Zinseszinses funktioniert nur, wenn Sie in Unternehmen investieren, die ihre Cashflows mit hohen Renditen reinvestieren können. Man muss also Gewinner finden, die Gewinner bleiben, und sie lange genug halten, d.h. Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, um in den Genuss des Zinseszinseffekts zu kommen. Ich stimme Ihnen zu, dass dies leichter gesagt als getan ist. Und dass es so etwas wie das perfekte Unternehmen nicht gibt.

Da Sportanalogien bei Investitionen immer so gut funktionieren und wir kürzlich den Super Bowl erlebt haben, möchte ich Ihnen zum Schluss das passende Zitat mitgeben. Es stammt von Vince Lombardi, einer NFL-Trainerlegende, die 1967 mit den Green Bay Packers den ersten Super Bowl gewann und deren Trophäe (Vince Lombardi Trophy) seit jeher seinen Namen trägt: «Perfektion ist nicht erreichbar, aber wenn wir nach Perfektion streben, können wir Exzellenz erreichen.»

Wir werden nie ein perfektes Unternehmen finden, aber wir werden in der Lage sein, ein exzellentes zu finden.

Das reicht, um aus dem achten Weltwunder Kapital zu schlagen.

Thierry Borgeat

Thierry Borgeat ist einer der Gründungspartner von arvy, einer Investmentgesellschaft in Zürich, die sich auf globale Qualitätsaktien spezialisiert. Er hat den überwiegenden Teil seiner Karriere damit verbracht, bei Privatbanken und Investmentboutiquen verschiedene Anlagestrategien mit Schwerpunkt auf Aktien und globalen Makrostrategien zu verwalten. Thierry hat einen Bachelor-Abschluss in Finanzen und ist CFA-Charterholder.
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