Montag, Oktober 7

Der britische Street-Art-Star ist schon fast so berühmt wie Picasso. Sein Erfolgsrezept ist sein bestgehütetes Geheimnis.

Banksy treibt zurzeit sein Unwesen in London. Dabei meint er es – wie immer – nur gut. In einer nächtlichen Aktion vor wenigen Wochen hat der Aktivist – ja, so muss man diesen britischen Strassenkünstler, der sich in Anonymität hüllt, korrekterweise bezeichnen – Tiere aus dem Londoner Zoo freigelassen.

Neun Tierbilder sind diesen August in London aufgetaucht. Auf dem Rollladen des Eingangs zum Londoner Zoo ist ein Gorilla zu sehen, der ebendiesen hochhebt, um die eingesperrten Zootiere in die Freiheit zu entlassen. Auf Instagram feierten seine Fans die tierische Aktion als «Die grosse Flucht».

Warum aber bejubeln so viele Banksy? Und wer sind diese Banksy-Fans eigentlich? Nicht die Museumskuratoren, nicht die Galeristen, und auch nicht die klassischen Kunstliebhaber. Dafür war Strassenkünstlerkunst lange nicht attraktiv genug. Banksys auf Hausfassaden und Hinterhofgemäuer gesprayte Werke sind nicht wirklich geschaffen für tapezierte Museumswände und schicke Kunstvernissagen. Sein massenhafter Zuspruch kommt nicht aus der Kulturelite.

Es sind da zuallererst einmal die tierliebenden Briten, die dem im Grunde illegalen Tun des unbekannten Sprayers so viel abgewinnen können. Sein Bild beim Zooeingang wurde sofort gesichert. Der Londoner Zoo hat das Werk abgebaut, um es an einem geschützten Ort zu bewahren, und durch eine Kopie ersetzt, damit es weiterhin bewundert werden kann.

«Wir entschuldigen uns für jegliche Enttäuschung, aber hoffen, dass Sie trotzdem noch die Freude und Kreativität von Banksys brillantem Werk hier geniessen können», liess der Zoo auf X mitteilen.

Moderner Robin Hood

Dabei ist Banksy schon lange berühmt und beliebt nicht nur bei den Briten, sondern in der ganzen Welt. Er setzt sich nicht nur für Tiere ein. Er hat ein feines Gespür für die Ungerechtigkeiten und Missstände rund um den Globus. Er ist sozial engagiert. In seinen Bildern klagt er neben Tierversuchen den Rassismus an, es geht um Polizeigewalt, um Klimawandel, um die Flüchtlingskrise.

Banksy erinnert an Robin Hood: Der legendenhafte Held aus der englischen Sage hatte sich starkgemacht für die Benachteiligten und Unterdrückten – damals nicht mit Farbdose und Schablone, sondern mit Pfeil und Bogen.

Robin Hood bestahl die Reichen und half den Armen. Banksy aber ist inzwischen schon so beliebt, dass er nun selber bestohlen wird. Sein Heldentum wird ihm immer mehr zum Verhängnis. Ein heulender Wolf, auf eine Londoner Satellitenschüssel gesprayt, ist verschwunden. Die Schüssel wurde geklaut. Der Wolf heult jetzt irgendwo zu Hause bei einem Banksy-Verehrer.

Auch unter den Reichen hat Banksy seine Fans. Schon verschiedentlich wurden seine Murals abgenommen und versteigert, um dann im Schlafzimmer eines Milliardärs zu landen. Auch jetzt wurde eine sich auf einer verfallenen Werbetafel räkelnde Katze an einer Strasse im Nordwesten Londons entfernt. Angeblich aus Sicherheitsgründen, behauptete eine Firma, die für die Demontage verantwortlich ist. Sie will die Werbetafel einer Kunstgalerie spenden, liess die Polizei verlauten. Ausgerechnet. Denn dorthin, in den elitären Kunstbetrieb, wollte Banksy eigentlich gar nie.

Gelegentlich hat er aber den Fuss dennoch in diese noblen Gefilde gesetzt. 2018 liess er sein berühmtes Spraybild «Girl with Balloon» – ein Lieblingsbild der Briten – in einem goldenen Bilderrahmen beim Auktionshaus Sotheby’s an Londons vornehmer New Bond Street für eine Million Pfund versteigern.

Kurz nachdem der Hammer des Auktionators gefallen war, wurde das Bild durch einen versteckten Mechanismus im Innern vor aller Augen bis über die Hälfte in lauter dünne Streifen geschreddert. Wieder so eine Banksy-Aktion. Damit wischte er dem Kunstbetrieb eins aus.

Das kaputte Werk, nun höchstens noch tauglich für den Abfalleimer, wurde vom Künstler umbenannt in «Love is in the bin» (Die Liebe ist im Eimer). Und war nun noch begehrter. Drei Jahre später erzielte es am selben Ort 16 Millionen Pfund.

Banksys Strassenkunst ist wertvoll geworden. So wertvoll, dass ein Londoner Polizeihäuschen abgesperrt werden musste. Banksy hatte es mit Piranhas verziert, so dass es aussieht wie ein Aquarium. Es wurde dann schleunigst an einen sicheren Ort verfrachtet: aus Angst vor Diebstahl und Vandalismus.

Wenn Banksy nächtens mit der Spraydose herumgeht und Hausfassaden mit seinen Spuren versieht, dann ist das keine Sachbeschädigung. Die Gebäudebesitzer fühlen sich vielmehr beschenkt – in den allermeisten Fällen jedenfalls. Und die Tatorte werden schnell zu Wallfahrtsorten. Wenn Banksy eine Londoner Fish-und-Chips-Bude mit hingesprühten Pelikanen versieht, die es dort auf fischige Beute abgesehen haben, dann ist das in den Augen der meisten so etwas wie: Kunst.

Hingegen gab es einen Aufschrei der Entrüstung, als ein angeblich maskierter Mann Banksys Nashorn in London nur wenige Stunden nach dessen Entdeckung beschmierte. «Warum tust du das?», riefen Passanten frustriert und empört, die Zeugen dieser Kunstzerstörung wurden.

Ein Künstler für alle

Banksys Erfolg ist einmalig in der Gegenwartskunst. Millionen haben seine Wanderausstellung gesehen. Sie tourt seit über zwei Jahren durch europäische Städte – eine Schau übrigens mit lauter Kopien und vom Künstler nicht autorisiert. Die Originale sind über die ganze Welt verstreut. Sie sind schon in rund dreissig Ländern aufgetaucht. Bereits 2010 wurde Banksy im «Time Magazine» in der Liste der hundert einflussreichsten Menschen genannt, neben Persönlichkeiten wie Barack Obama, Steve Jobs oder Lady Gaga.

Banksy ist vor allem auch ein Liebling der Medien. Mehr als jeder andere Künstler der Gegenwart. Er weiss sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, indem er unerwartet auftaucht. Nie weiss man, wo er wieder zuschlägt. Seine immer wieder neu entdeckten Bilder sind stets eine Meldung wert. Zudem sind sie fotogen. Und oft auch etwas rätselhaft. Was will er uns wieder mitteilen? Die Interpretationsmaschine läuft dann auf Hochtouren.

Banksy, das sind eigentlich immer Good News über Bad News. Denn Banksy weist mit seinen Sprayereien immer auf irgendeinen Missstand hin. Seine Kunst ist engagiert, sie steht politisch auf der richtigen Seite. Sie steht ein für eine bessere Welt. Daher ist Banksy auch der Liebling vieler Journalisten.

Banksys Bilder gehen zu Herzen. Sie lassen niemanden kalt. In der Ukraine hat er tanzende Mädchen auf Fassaden zerbombter Häuser gesprüht. Sein pinkfarbenes Hochgeschwindigkeitsschiff auf dem Mittelmeer zur Rettung von Migranten in Seenot ziert ein aufgespraytes Mädchen, das eine Schwimmweste trägt und einen herzförmigen Rettungsring in der Hand hält.

Dabei ist seine Kunst nicht einmal überragend gut. Seine sozialkritischen Sprayereien weisen die Bildsprache ganz gewöhnlicher Cartoons auf. Jeder versteht sie.

Was Banksy so massentauglich macht, ist der Umstand, dass es ihm gar nicht um Kunst geht. Der Kunst haftet etwas Elitäres an. Bei Banksy aber ist sie, wie bei so vielen Aktivisten heutzutage, bloss ein Mittel zum Zweck. Banksy schreddert seine eigenen Werke: Seis drum. Er futiert sich um seine gestohlenen Originale: okay, solange sie Schlagzeilen generieren. Er toleriert eine Ausstellung mit lauter Kopien seiner Werke: «Urheberrechte sind für Verlierer», liess er auch schon einmal die Öffentlichkeit wissen.

Auch fabriziert er seine Graffiti-Bilder mit einer Schablone. Dafür wird er von der Street-Art-Szene kritisiert. Für wahre Graffiti-Artisten zählt der künstlerische Ausdruck. Banksy aber pfeift auf den genuinen Schwung mit der Spraydose. Er markiert nicht den genialen Künstler. Im beschaulichen, einsamen Atelier zu pinseln, wäre nie sein Ding. Er sprayt im dichten, urbanen Umfeld. Denn für ihn zählt allein die Message.

Das wahre Erfolgsrezept des Graffiti-Stars ist aber ein anderes: Es ist zugleich sein bestgehütetes Geheimnis – seine Identität. Niemand weiss, wer er ist, wie er aussieht oder wie er wirklich heisst. Verbürgt ist lediglich sein Geburtsort Bristol. Aber wie schafft er das? Er reist um die Welt und sprayt zahllose Metropolen voll, ohne dabei aufzufliegen.

Es wurde schon vermutet, dass sich hinter Banksy mehrere Personen verbergen. Jedenfalls lässt er seine Mitteilungen durch einen Sprecher ausrichten. Er unterhält einen Instagram-Account mit 13 Millionen Followern. Dort schaltet er seine neusten Werke frei. Überdies beschäftigt er einen ganzen Stab an PR-Fachleuten. Diese kümmern sich vor allem auch darum, seine Anonymität abzusichern.

Banksy ist ein Mysterium. Man kann auf ihn projizieren, was man will. Deshalb wohl ist er heute schon beinahe so berühmt wie Picasso. Allerdings brauchte Picasso die Galeristen, die Sammler, die Museen, um der berühmteste Künstler der Moderne zu werden. Banksy hingegen: Er hat sich ins kollektive Gedächtnis gearbeitet ganz ohne Zutun der Kunstgeschichte. Jeder kennt heute seine Bilder und seine Handschrift.

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